Die kardiovaskulären Endpunktstudien zu Empagliflozin und Liraglutid haben für Aufsehen und Bewegung in der Diabetologie gesorgt. Müssen die Leitlinien deshalb umgeschrieben werden? Eine Antwort aus Niedergelassenen-Sicht.
"Aus der Praxis für die Praxis" – dieser Grundsatz ist bei Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft niedergelassener diabetologisch tätiger Ärzte e. V. (AND) garantiert. Der in der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) beheimatete Verein setzt sich seit bald 30 Jahren für eine qualitätsgesicherte Diabetologie in der niedergelassenen Praxis ein. Entsprechend gut besucht war das AND-Symposium beim DDG-Kongresses 2017 in Hamburg. Dabei ging es u. a. um die neue Evidenz zu SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Analoga mit Blick auf kardiovaskuläre Endpunkte bei Diabetes-Patienten.
Müssen die Leitlinien nach den jüngsten Studien umgeschrieben werden? Dieser Frage widmete sich der AND-Vorsitzende Dr. Gerhard Klausmann (Aschaffenburg), der auch das Symposium leitete, in seinem Vortrag. Er präsentierte die relevante Evidenz aus ausgewählten Studien zu den neuen oralen Antidiabetika und den assoziierten kardiovaskulären Ereignisraten. Aus den Daten wird ersichtlich, dass es neben wirkstoffgruppen- auch substanzspezifische Effekte gibt, die für die Anwendung in der therapeutischen Praxis von Bedeutung sind.
Die erste kardiovaskuläre Endpunkt-Studie mit einem GLP-1-Rezeptor-Agonisten war die ELIXA-Studie. Sie sollte eigentlich den Nachweis erbringen, dass Lixisenatid Patienten mit Typ-2-Diabetes besser vor einem kardiovaskulären Ereignis schützt als eine herkömmliche blutzuckersenkende Therapie. Statt einer Überlegenheit konnte allerdings nur die Nicht-Unterlegenheit belegt werden. Das gilt Klausmann zufolge auch für Exenatid, wobei die Studiendaten bisher noch nicht präsentiert wurden. Für Dulaglutid ist diese Frage dagegen noch ungeklärt. Somit weist unter den GLP-1-Analoga bis jetzt nur Liraglutid eine das kardiovaskuläre Risiko senkende Wirksamkeit auf. Dieses Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Wirkstoffgruppe konnte in der LEADER-Studie demonstriert werden.
Zuvor hatte bereits die EMPA-REG-Outcome-Studie für großes Aufsehen gesorgt, bei der sich für den SGLT2-Hemmer Empagliflozin überraschenderweise – und erstmals bei einem neueren Antidiabetikum – ein deutlicher kardiovaskulärer Schutzeffekt zeigte. "Das sind Daten, die so nicht zu erwarten waren", so Klausmann. In der Empagliflozin-Gruppe konnte das relative Risiko folgendermaßen gesenkt werden: um 14% für den kombinierten kardiovaskulären Endpunkt (nicht tödlicher Herzinfarkt, nicht tödlicher Schlaganfall oder kardiovaskulärer Todesfall), um 38% für den kardiovaskulären Tod, um 32% für die Gesamtmortalität, um 13% für nicht tödlichen Herzinfarkt und um 35% für die Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz.
Als bemerkenswert erwies sich auch der nephroprotektive Effekt von Empagliflozin. Für den kombinierten renalen Endpunkt aus Verdopplung des Serum-Kreatinin-Werts, Beginn der Nierenersatz-Therapie oder Tod aufgrund Nierenerkrankung wurde eine Risikoreduktion um 46% ermittelt. Der SGLT2-Hemmer wirkte sich auf das Neuauftreten oder die Verschlechterung einer Nephropathie günstig aus, unabhängig davon, ob bereits eine Niereninsuffizienz bestand oder nicht. Das Hospitalisierungsrisiko wegen Herzinsuffizienz lag bei niereninsuffizienten Patienten um 40% niedriger als in der Kontrollgruppe.
Für Liraglutid wurde in der LEADER-Studie beim kombinierten kardiovaskulären Endpunkt eine Risikoreduktion um 13% ermittelt, für den kardiovaskulärer Tod um 22%, für die Gesamtmortalität um 15% und für den nicht tödlichen Herzinfarkt um 12%. Anders als bei Empagliflozin gab es in der Liraglutid-Studie auch beim nicht tödlichen Schlaganfall eine signifikante Verbesserung (11%), nicht aber bei der Senkung der Hospitalisationsrate wegen Herzinsuffizienz.
Empagliflozin und Liraglutid wurden in den beiden großen Doppelblindstudien jeweils zusätzlich zur Standardtherapie gegeben und mit Placebo plus Standardtherapie als Kontrollgruppe verglichen. Die meisten der rund 7.000 Patienten in der EMPA-REG-Outcome-Studie und der über 9.000 Patienten in der LEADER-Studie waren bereits kardiovaskulär vorerkrankt (99% bzw. 81%). Sie waren durchschnittlich 63 bzw. 64 Jahre alt und erhielten zu 48% bzw. 42% eine Insulin-Therapie.
"Letztlich gibt es zwischen den beiden Studien keine großen Unterschiede", bilanzierte Klausmann. Die Wirkmechanismen beider Substanzen sind aber unterschiedlich und auch das jeweiliges Nebenwirkungsprofil ist bei der individuellen Therapieentscheidung zu berücksichtigen.
Müssen die Leitlinien also neu geschrieben werden? "Ja, für Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren!" lautete abschließend die Antwort des AND-Vorsitzenden. "Auch für Patienten mit Niereninsuffizienz", fügte er hinzu.
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Referenz:
Klausmann G. Müssen die Leitlinien nach den jüngsten Studien umgeschrieben werden? AND-Symposium beim Diabetes Kongress 2017. Hamburg, 26. Mai 2017.