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Diabetes Screening - Was bringts?

Könnte angesichts der hohen Diabetes-Inzidenz ein populationsbasiertes Diabetes-Screening Sinn machen? Dieser Frage ging ein Symposium auf dem DDG-Kongress 2021 nach. Prof. Dr. Oliver Kuß vom Institut für Biometrie und Epidemiologie erläuterte die Kriterien zur Durchführbarkeit, Wirksamkeit und Angemessenheit von populationsbasierten Diabetes-Screenings und fasste die Evidenz zusammen, die vor allem aus großen skandinavischen Registern stammt.

Durchführbarkeit, Wirksamkeit und Angemessenheit im Überblick

Könnte angesichts der hohen Diabetes-Inzidenz ein populationsbasiertes Diabetes-Screening Sinn machen? Dieser Frage ging ein Symposium auf dem DDG-Kongress 2021 nach. Prof. Dr. Oliver Kuß vom Institut für Biometrie und Epidemiologie erläuterte die Kriterien zur Durchführbarkeit, Wirksamkeit und Angemessenheit von populationsbasierten Diabetes-Screenings und fasste die Evidenz zusammen, die vor allem aus großen skandinavischen Registern stammt.

Prof. Oliver Kuß grenzte das Thema zu Beginn mit Definitionen ein.

Was ist überhaupt ein Screening?

  • Klassifizierung asymptomatischer Personen bezüglich einer Krankheitswahrscheinlichkeit oder die Identifizierung derer, die diagnostische Kriterien erfüllen, mit dem Ziel, diese zu behandeln und um Krankheit und Tod zu vermeiden
  • ist ein Teil der sekundären Prävention in Abgrenzung von einer Vorsorgeuntersuchung einerseits und einer Diagnose andererseits
  • manifestiert sich in zwei Formen: Populationsbasiertes Screening - direkte Ansprache der Allgemeinbevölkerung, und opportunistisches Screening - Untersuchung von Menschen, die in Kontakt mit dem Gesundheitssystem treten, unabhängig von der Zielkrankheit

Kriterien für ein Screening

  • natürlich sollte die Krankheit hinlänglich relevant sein hinsichtlich Inzidenz und Prävalenz, sowie dahingehend, dass sie Leid verursacht, zum Beispiel die Lebensqualität einschränkt 
  • Sie sollte dann entdeckt werden, wenn sie noch nicht klinisch ist, also eine ausreichend lange präklinische Phase haben 
  • das diagnostische Verfahren sollte einfach und sicher sein, eine hohe diagnostische Güte haben, hinsichtlich Sensitivität, Spezifität und prädiktiven Werten 
  • Beim Diabetesscreening gibt es den zweistufigen Ansatz. Man testet zunächst alle Personen mit einem möglichst sensitiven, aber unspezifischen Test, evtl. nur mit einem Risikoscore. Bei einem positiven Ergebnis erfolgt anschließend eine spezifische Abklärung
  • bei einem positiven Ergebnis sollte es eine effektive Behandlung geben, mit Evidenz dafür, dass eine frühzeitige Behandlung besser ist als eine späte

Das Screening-Programm

  • sollte die Wirksamkeit in randomisierten Studien gezeigt haben
  • der Nutzen sollte größer sein als der Schaden
  • muss gesundheitsökonomisch sinnvoll sein

Die Studienlage

Was Diabetes-Typ-2 angeht, wird über diese Punkte seit längerem international gestritten. Es gibt etliche pro- und contra-Reviews, vor allem in England und den USA. 

Zu den randomisierten Studien führte Prof. Kuß zwei Beispiele aus. 

Die ADDITION-Cambridge-Studie: sie wurde in drei Ländern durchgeführt: in UK, Dänemark und den Niederlanden. Verglichen wurde, ob Personen zu einem einmaligen Screening eingeladen wurden oder eben nicht. Im Ergebnis zeigte das Outcome (Allgemeine Sterblichkeit, kardiovaskuläre und Krebssterblichkeit) keine relevante Verbesserung nach dem Screening. Die Screening-Gruppe lag hinsichtlich der Mortalität sogar leicht vor der Vergleichsgruppe, die nicht zum Screening geladen war. Das einmalige Screening auf Diabetes hatte keine Reduktion der Sterblichkeit zur Folge.

Die Ely-Studie: Ely ist eine Kleinstadt bei Cambridge. Hier hat man eine randomisierte Studie unter rund 15.000 EinwohnerInnen mit zwei Screening-Runden vorgenommen. Auswertung: wieder war das Screening ohne Effekt auf die Sterblichkeit. 

Eine weitere, nicht randomisierte Studie aus Dänemark fragte: Haben Menschen, die zu einem Screening eingeladen werden ein besseres Outcome als Menschen ohne Einladung? Auch hier sah man ein perfektes Null-Ergebnis - mit 2 Millionen Beobachtungen. Es gab keine Vorteile für die Screening-Gruppe.

Ein Nettoeffekt?

Man kann die Frage aber auch anders stellen: Gibt es vielleicht eine Art Netto-Effekt? Nutzt ein Screening also jenen, deren Erkrankung dabei entdeckt wird? Das wurde wiederum in Dänemark untersucht. Hier sind diejenigen zu unterscheiden, die beim Screening entdeckt wurden von denen, die erst später mit Diabetes-Symptomen auffielen. 150.000 Menschen wurden eingeladen. Die Gruppe, bei denen Diabetes diagnostiziert wurde, wurde entsprechend behandelt. Die Vergleichsgruppe wurde erst behandelt, nachdem sie klinisch auffällig geworden war. Hier zeigten sich klare Unterschiede. Es gab einen signifikanten Überlebensvorteil für die Menschen, die beim Screening entdeckt worden sind, bevor sie klinisch auffällig wurden. Eine schwedische Studie kommt zum gleichen Ergebnis.

Fazit

  • In Ländern mit gut funktionierendem opportunistischem Screening sind populationsbasierte Screening-Programme unnötig
  • die finanziellen Mittel dafür sind in der Behandlung von klinisch diagnostizierten Menschen besser angelegt
  • es gibt wenig Evidenz zur Effektivität von Populationsbasierten Screening-Programmen auf Typ-2-Diabetes, obwohl die Kriterien für ein Screening erfüllt sind

Quelle: DDG-Kongress 13.5.2021, O. Kuß, "Populationsbasiertes Screening für Typ-2-Diabetes: Evidenz aus Beobachtungsstudien"