81 Jahre alt ist der Reisbauer, und nach Jahrzehnten Feldarbeit ist sein Rücken gebeugt. U Mya Oo schafft es kaum auf die Untersuchungsliege. Seine Hände zittern und er atmet schwer. Wochenlang hat er gewartet und gelitten, es gibt nur wenige Ärzte im Irrawaddy-Delta in Myanmar. Ihre Praxis zu erreichen, dauert oft stundenlang. Jetzt hat endlich das Ärzteschiff in der Nähe von Bauer Oos Dorf wieder angelegt.
“Meine Tochter hat mich im Ruderboot hergebracht, unser Dorf ist einen Kilometer entfernt”, sagt er. Seit 2014 finanziert die Artemed-Stiftung aus Tutzing in Bayern die schwimmende Ärztepraxis der “River Doctors” mit Spenden.
Entstanden ist die Idee nach Zyklon Nargis, der das Delta in dem bitterarmen Land in Südostasien 2008 verwüstete und 140 000 Menschenleben forderte. Damals herrschte noch die Militärregierung, die Helfer nur zögernd ins Land ließ.
“Wir wollten auch nach der Katastrophe nachhaltig helfen”, sagt Projektleiter Aung Thein Myint. Seit 2010 ist das Schiff das ganze Jahr im Einsatz. Er kann die Dörfer auch in der Regenzeit erreichen, wenn Straßen und Felder unter Wasser stehen.
Der Bauer bekommt erstmal eine Infusion, um ihn aufzupäppeln. Die Tochter blickt von draußen durch das Fliegengitter besorgt in die Kajüte. Durch die Tür dudelt Popmusik von einem Smartphone hinein. Auf dem Fluss rattert ein Boot mit knatterndem Motor vorbei und bringt den ehemaligen Reisfrachter, sachte ins Schwingen.
Die Patienten sind bitterarm. Wer kann, lässt ein paar Cent als Honorar an Bord. Abgewiesen wird aber niemand, der ärztliche Hilfe braucht. Das Schiff ist das ganze Jahr in dem weit verzweigten Delta unterwegs. Zwölf Dörfer schafft die Besatzung im Monat. An Bord sind ein Arzt, ein Zahnarzt und drei Schwestern. “Früher mussten wir in den nächsten Ort mit Krankenhaus”, sagt die Tochter. “Das hat mit dem Boot drei Stunden gedauert.” Eine Tortur für ihren alten Vater.
Myanmars Gesundheitssystem ist nach fünf Jahrzehnten Militärdiktatur heillos unterfinanziert. Seit 2011 öffnet sich das Land zwar langsam. Trotzdem flossen 2014 nur 6,5 Prozent des Budgets in das Gesundheitswesen, 30 Prozent ins Militär. Es gibt nicht genügend Ärzte, Pflegekräfte, moderne Geräte. “Die Situation ist schlimmer als in anderen Ländern der Region”, sagt Alyssa Davis, Beraterin beim Kinderhilfswerk “Save the Children”. Die Regierung steckt zwar nun mehr Geld in das Gesundheitssystem. Aber das reiche bei weitem nicht.
Auch das Schiff muss mit wenig Mitteln auskommen. EKG, Infusion, ein paar Medikamente, mehr ist kaum drin. Die Hygienestandards sind dürftig. Bauer Oo bekommt ein paar Stöße Asthma-Spray, die Schwester wischt das Mundstück mit Toilettenpapier ab und steckt es wieder in die Schublade. Doktor Chit Pè schiebt sich zwischen EKG und Herzton-Abhören einen Löffel Salat in den Mund.
“Der Standard würde den durchschnittlichen Deutschen abschrecken”, sagt der Hamburger Medizin-Student Nikolaus Behr, der hier für zwei Wochen hospitiert. Er räumt fetttriefende Blätterteigtaschen weg, die neben dem Medizinschrank stehen. “Ameisen”, stöhnt er. “Hygienischer Supergau!”
Das Schiff versorgt rund 100 Patienten am Tag, 25 000 im Jahr. Die meisten kämen mit Bluthochdruck, Asthma und Herzproblemen, sagt Pè. Weil viele Menschen hauptsächlich glukosereichen Reis essen, sei auch Diabetes ein Problem. Bauer Oo musste vor allem wieder zu Kräften kommen. “Es geht mir besser”, sagt er nach der Infusion. “Ich bin froh, dass mir endlich geholfen wurde.” Dann steigt er mit seiner Tochter wieder ins Ruderboot und schippert zu seinem Dorf zurück.
Text: dpa /fw