Mehr als 150 Impfstoffe gegen das Coronavirus werden derzeit getestet. Und Fachleute gehen davon aus, dass in nicht allzu ferner Zukunft auch Mittel auf den Markt kommen. Ob das dann aber schon der ganz große Wurf ist, steht auf einem anderen Blatt.
Ein kleiner Piks könnte die Corona-Pandemie bremsen. Ein Impfstoff soll die Zahl von weltweit 200.000 registrierten Infektionen pro Tag drücken, Zehntausende Tote verhindern und möglichst bald den Menschen rund um den Globus wieder ein Leben ohne große Einschränkungen ermöglichen. Am liebsten sofort. Tatsächlich geht die Suche nach einem Impfstoff in Rekordtempo voran. Es gibt Erfolge, so bilden geimpfte Testpersonen in einigen Fällen Antikörper gegen das Virus. Der Nachweis, dass einer der Stoffe auch wirklich schützt, steht aber noch aus.
Innerhalb kürzester Zeit starteten mehr als 150 Projekte, um solche Wirkstoffe zu prüfen. Keine sieben Monate nach Ausbruch der Pandemie werden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO bereits mehr als 20 potenzielle Impfstoffe am Menschen getestet. Einige wenige befinden sich sogar schon in oder kurz vor der entscheidenden Phase der Tests.
Fachleute sind zuversichtlich, dass es Erfolge bei den Impfstoffkandidaten geben wird. "Es wäre sehr viel Pech, sollten alle scheitern", sagt etwa Soumya Swaminathan, Chefwissenschaftlerin der WHO, im Gespräch. Sie geht davon aus, dass Mitte 2021 ein Impfstoff in größerem Maßstab zur Verfügung stehen könnte. Doch selbst dann - das muss klar sein - wird Impfen vermutlich nur ein Baustein im Kampf gegen das Virus sein.
Auch Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) prognostiziert, dass es im kommenden Jahr mehrere zugelassene Impfstoffe geben wird. Er schränkt jedoch ein: "Der große Wurf wird da aber wahrscheinlich noch nicht dabei sein." So dürften die ersten Mittel nur bestimmten Gruppen zugutekommen, etwa jungen, gesunden Menschen. "Die Risikogruppen beim Corona-Virus, vor allem Senioren, sind auch am schwersten zu impfen." Ihr Immunsystem reagiert oft nicht so gut auf Impfungen.
Zwar haben einige Hersteller in den vergangenen Wochen Daten vorgelegt, denen zufolge bestimmte Impfstoffkandidaten im menschlichen Körper die Bildung von spezifischen Antikörpern anregen, die zumindest im Laborversuch die Virusvermehrung hemmen. Bislang wurde aber noch für keinen potenziellen Impfstoff nachgewiesen, dass er wirklich Menschen vor einer Infektion mit Sars-CoV-2 schützt.
Dafür sind klinische Studien der Phase III notwendig, und erst bei einem der Kandidaten ist eine solche Studie schon richtig angelaufen. Dabei bekommen Tausende Freiwillige den Impfstoff verabreicht. Nach einigen Monaten lässt sich dann feststellen, wie viele dieser Menschen sich im Vergleich zu einer Kontrollgruppe infiziert haben. "Es ist wichtig, Wirksamkeitsdaten aus kontrollierten klinischen Prüfungen zu bekommen. Dafür braucht man aber hohe Infektionsraten", erklärt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI).
Ausgerechnet in Großbritannien und China, wo es Projekte mit vergleichsweise großem Fortschritt gibt, ist das Virus aber eingedämmt. Was tun? Tatsächlich finden Phase III-Studien zu zwei dieser Impfstoff-Kandidaten nun in einem Land statt, in dem das Virus weiterhin wütet: Brasilien.
Besonders weit sind das britische Pharmaunternehmen AstraZeneca und die Universität Oxford. Gemeinsam hatten sie am 20. Juni damit begonnen, an rund 5.000 Freiwilligen die Wirksamkeit ihres Impfstoffs zu prüfen. Er basiert auf bestimmten manipulierten Viren, die eigentlich bei Affen vorkommen.
Am 20.7. wollte auch der chinesische Pharmakonzern Sinovac in Brasilien mit einem Test an fast 9.000 Angestellten aus dem Gesundheitssektor starten. Sinovac setzt dabei auf abgetötete Coronaviren. Weitere Unternehmen wie der US-Hersteller Moderna stehen in den Startlöchern.
Auch deutsche Firmen mischen mit. So legte erst kürzlich die Mainzer Firma Biontech in Kooperation mit dem US-Konzern Pfizer erste ermutigende Daten vor. Die Tübinger Firma Curevac kann sich vor Freiwilligen für eine erste Studie kaum retten. Beide deutschen Firmen arbeiten an sogenannten RNA-Impfstoffen.
Sie enthalten genetische Informationen des Erregers. Die Körperzellen der geimpften Testpersonen sollen mit ihrer Hilfe Oberflächenproteine des Coronavirus herstellen - gegen die schließlich das Immunsystem Abwehrfaktoren wie beispielsweise Antikörper bildet. Allerdings ist bislang kein genbasierter Impfstoff für Menschen zugelassen.
Die unterschiedlichen Funktionsweisen der Impfstoffkandidaten haben Vor- und Nachteile. Das Ziel ist dasselbe: Eine Immunreaktion gegen das Virus soll provoziert werden, ohne dass eine Infektion stattgefunden hat. Dadurch soll ein längerfristiger Schutz entstehen.
Unklar ist, ob und wie lange durch eine Impfung gebildete Antikörper überhaupt etwas bringen. So weisen mehrere Studien darauf hin, dass Antikörper nach einer Infektion relativ schnell wieder aus dem Blut verschwinden können. Ist das bei einer Impfung genauso? Und was heißt das dann für die Schutzwirkung? Man beobachte die Ergebnisse sehr genau, sagt Swaminathan von der WHO. Die Tatsache, dass neutralisierende Antikörper verschwinden, bedeute aber nicht, dass die Immunität weg sei. Es gebe Berichte, dass die zellenvermittelte Immunantwort - die T-Zellen-Antwort - ziemlich wichtig sein könnte.
Auch Ulbert setzt bei der Immunantwort auf T-Zellen. Sie könnten Virus-infizierte Zellen in Schleimhäuten direkt ausschalten - und Sars-CoV-2 schon im Rachen bekämpfen, unterstützt von Antikörpern. Am 16.07. hatten Medien berichtet, dass der Impfstoff aus Großbritannien auch die Bildung von T-Zellen ankurbeln kann. Es kann auch durchaus sein, dass regelmäßiges Impfen nötig sein wird.
"Es ist sehr gut, dass wir so viele verschiedene Ansätze haben", sagt WHO-Forscherin Swaminathan. Abhängig von ihrem Mechanismus könnten sie möglicherweise für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen - etwa älteren Menschen, schwangere Frauen oder Kindern - gut geeignet sein.