esanum sprach mit Bernd Göken, Geschäftsführer von Cap Anamur, über die Arbeit seiner Hilfsorganisation, die Sicherheit für Helfer in Krisenregionen und die Motivation trotz des Gefühls der Machtlosigkeit immer weiterzumachen
Das Ebola-Virus breitet sich in Westafrika immer weiter aus. Mehr als 730 Menschen sind bisher an der Krankheit gestorben – auch Ärzte haben sich inzwischen infiziert. Vor allem Guinea, Sierra Leone, Liberia und seit neuestem auch Nigeria sind betroffen. Die Krankheit verläuft oft tödlich. Meist beginnt sich eine Ebola-Infektion mit unspezifischen Symptomen wie Fieber, Kopfschmerzen oder Übelkeit zu zeigen. Anschließend sind Durchfall, Erbrechen und Blutungen typische Krankheitsmerkmale. Der Tod tritt aufgrund von Herz-Kreislauf- oder Nierenversagen ein.
Der gemeinnützige Verein „Cap Anamur – Deutsche Not-Ärzte e.V.“ leistet weltweit humanitäre Hilfe, so auch in den derzeit von Ebola betroffenen Teilen Westafrikas. Im Fokus der Arbeit stehen die medizinische Versorgung und der Zugang zu Bildung. Bernd Göken, Geschäftsführer von Cap Anamur, berichtet im Interview mit esanum über die Arbeit der Nothelfer seiner Organisation, die sich häufig auch dann noch in Gebieten engagiert, wenn das mediale Interesse wieder abgeklungen ist.
esanum: Ich welchen Ländern ist Cap Anamur derzeit aktiv?
Göken: Cap Anamur ist derzeit in neun Ländern tätig: Afghanistan, Bangladesch, Nordkorea, Madagaskar, Sierra Leone, Sudan, Syrien, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik.
esanum: Wie entscheiden Sie, wo und wie Sie sich engagieren und wem Sie ganz konkret helfen?
Göken: Zu Beginn gibt es entweder eine Hilfsanfrage aus einem Land, von einer anderen NGO oder es herrschen eine akute Krise beziehungsweise eine Naturkatastrophe. Wir informieren uns dann zunächst umfassend von hier aus über das potentielle neue Projekt und das Land, in dem es liegt. Danach fährt in der Regel einer unserer erfahrenen Mitarbeiter für eine Evaluierung an diesen Ort. Es ist unbedingt notwendig, dass wir uns ein eigenes Bild von der Situation machen. Auf Grund dieser Informationen entscheidet dann der Vorstand, ob und in welchem Rahmen Cap Anamur die Arbeit aufnimmt.
esanum: In Konflikten wie im Irak, Afghanistan, der Ukraine oder Syrien sind Helfer von internationalen Organisationen häufig Ziel von Anschlägen und Entführungen. Wie können sich die Mitarbeiter vor Ort schützen?
Göken: Da jedes Einsatzland andere Herausforderungen an unsere Arbeit und unsere Mitarbeiter stellt, lässt sich das nicht pauschal beantworten. Für jedes Krisenland wird ein eigener Sicherheitsstandard erarbeitet. Wir orientieren uns dabei auch an dem Buch „Operational Security Management in Violent Environments“ – dem wichtigsten Werk zu diesem Thema.
Für jedes unserer Projekte gilt jedoch: Der wichtigste Schutz für unsere Mitarbeiter ist, dass wir im Kölner Büro als zentrale Anlaufstelle jederzeit bestens informiert sind über die Situation und Stimmung im Land. Auf diese Weise sind wir in der Regel ausreichend früh gewarnt – eben, bevor etwas passiert – und können unsere Mitarbeiter rechtzeitig in Sicherheit bringen. Deswegen sind wir auf allen Ebenen sehr gut vernetzt. Wir sprechen mit Menschen der verschiedenen Konfliktparteien, der Vereinten Nationen, Politikern und Kollegen von anderen Organisationen.
esanum: Gibt es Länder und Konflikte, in denen Sie nicht aktiv werden würden, weil zum Beispiel für die Sicherheit Ihrer Mitarbeiter nicht garantiert werden kann?
Göken: Der Jemen ist ein Beispiel für ein Land, bei dem wir die Projektplanung abgebrochen haben. Nach einer ausführlichen Evaluation konnten in diesem Land das angedachte Projekt wegen starker Sicherheitsbedenken nicht realisiert werden.
Ein Beispiel für ein bestehendes Projekt: In Somalias Hauptstadt Mogadischu mussten wir unser Team wegen einer Verschlechterung der Sicherheitslage evakuieren und das Projekt dann vorzeitig zu Ende führen. Und unsere Arbeit in Syrien musste – nachdem konkrete Gefahr für unser Team bestand – an einen anderen Ort verlegt und dort neu aufgebaut werden. Dann gibt es Länder, beispielsweise Afghanistan und Syrien, in denen wir aus Sicherheitsgründen kein internationales Personal beschäftigen und ausschließlich mit einheimischen Mitarbeitern zusammenarbeiten.
esanum: Teil des Arztberufs ist es, mit persönlichen Schicksalen, Leid und Tod konfrontiert zu werden. Aus Kriegsregionen wie Syrien erreichen uns Bilder von schwerverletzten und sterbenden Kindern. Wie geht man als Nothelfer damit um?
Göken: Der Tod als ständiger Begleiter ist eine der größten Belastungen bei einem Einsatz. Viele Kinder kommen zu spät ins Krankenhaus und überleben nicht – trotz intensiver Rettungsmaßnahmen. Patienten, die aufgrund schwerster Verletzungen nicht mehr gerettet werden können, zeigen uns unsere Grenzen und unsere Machtlosigkeit. Das ist immer sehr frustrierend. Da bleibt oft nur der Blick auf das Gute, auf die vielen Menschen, die das Hospital gesund wieder verlassen, die durch unser Engagement gerettet wurden. Der großen Mehrzahl können wir helfen und es sind diese erfolgreichen Augenblicke, die man sich in solchen Situationen ins Bewusstsein rufen muss, wenn es wieder einen hoffnungslosen Fall gibt. Zudem ist der Austausch mit den einheimischen und internationalen Kollegen extrem wichtig. Daraus lässt sich viel Kraft schöpfen.
esanum: Zu welchem Zeitpunkt entscheiden Sie, ein Projekt zu beenden?
Göken: Sobald konkrete Gefahr für unsere Mitarbeiter besteht oder diese sich nicht mehr sicher fühlen und das Projekt verlassen möchten. Oder, im besten Fall: Wenn unsere Arbeit beendet ist und wir das Projekt erfolgreich in die Hände der einheimischen Kollegen übergeben können. Das ist bei uns glücklicherweise die Regel.
esanum: Über welche Kompetenzen und Eigenschaften sollte ein Arzt verfügen, der sich bei Ihnen engagieren möchte?
Göken: Voraussetzungen sind mindestens drei Jahre Berufserfahrung nach Ausbildungsende, gute Kenntnisse in einer Fremdsprache, die Zeit für einen Auslandseinsatz von sechs Monaten, die Fähigkeit zum selbstständigen Arbeiten, Teamfähigkeit sowie Improvisations- und Organisationstalent. Darüber hinaus ist ein gutes Einfühlungsvermögen hilfreich, denn wir arbeiten eng mit lokalen Helfern zusammen und knüpfen an bestehende Strukturen an. Für Mediziner ist ein Tropenkurs empfehlenswert, gilt aber nicht als Bedingung.
Cap Anamur sucht regelmäßig Mitarbeiter im medizinischen und technischen Bereich wie Ärzte/Ärztinnen, Krankenpfleger/innen, Hebammen, Logistiker/innen, Techniker/innen oder Handwerker.
Mehr Informationen unter: Mitarbeit bei Cap Anamur
Interview: Volker Thoms