Prof. Gabriele Schackert – Präsidentin des 133. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
Die Chirurgie hat in den vergangenen Jahren rasante Fortschritte gemacht. Moderne Technik ermöglicht es, selbst komplexe minimal-invasive Operationsverfahren einer großen Zahl von Patienten anzubieten. Aber steigt damit auch die Patientenzufriedenheit? Studien zeigen, dass diese nicht allein von dem fachärztlich durchgeführten operativen Eingriff abhängt, sondern auch in Zusammenhang steht mit der allgemeinen Betreuung, der Einbindung des Patienten sowie der Qualität von Anästhesie und Schmerztherapie.
Prof. Gabriele Schackert, Präsidentin des 133. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und Direktorin der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Dresden, kennt die gestiegenen Erwartungen der Patienten an einen chirurgischen Eingriff genau. Im Interview mit esanum spricht sie über Fortschritte in der Chirurgie, die Tumor-Therapie sowie den enormen Kostendruck, unter dem Chirurgen heute arbeiten und der ethische Aspekte des Berufs immer mehr in den Hintergrund drängt. Der Chirurgiekongress findet vom 26. bis 29 April in Berlin statt.
esanum: Was sind die Schwerpunkte des Chirurgiekongresses 2016?
Schackert: Ein großes Thema für die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie ist die interdisziplinäre Diskussion über die aktuelle Tumor-Therapie des oberen und unteren Gastrointestinaltraktes. Der Diskurs von Chirurgen, Radiologen und Internisten geht darum, die optimale Behandlung für jeden Patienten zu finden. Die Therapien ändern sich, immer öfter stellt sich die Frage: operieren oder erst Strahlen-Therapie, um einen Tumor kleiner werden zu lassen. Die Möglichkeiten der Fachgebiete ändern sich ständig. Auch in der Metastasen-Chirurgie ist vieles im Fluss, gerade im Bereich der Oligo-Metastasen. Wir können bei Leber, Lunge, Knochen, Gehirn ungeheuer viel mit der Chirurgie machen. Darum wird die Diskussion zu führen sein: Was sind Indikationen für eine OP? Was ist wann gerechtfertigt? Wovon profitiert der Patient am meisten? Muss man das Machbare auch wirklich immer machen?
esanum: Was hat sich speziell auf Ihrem Gebiet in den letzten Jahren verändert?
Schackert: Bei Hirnmetastasen brauchen wir ein Umdenken. Das ist mir ein großes Anliegen. Man kann nicht mehr sagen, ein Patient hat Hirnmetastasen, das ist dann das Ende, und die Behandlung wird heruntergefahren. Da wir in der Hirn-Chirurgie sehr gut geworden sind, muss auch bei diesen Patienten konsequent von allen Seiten weiter behandelt werden. Die verschiedenen Fachbereiche müssen näher zusammenrücken, um so das Beste für den Patienten zu erreichen. Ein Highlight auf dem Kongress ist in diesem Zusammenhang der Vortrag „Challenge of treating metastases“ von Prof. Isaiah Fidler, dem international renommierten Metastasen-Forscher aus Houston. Wir nehmen ihn auf dem Kongress als Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie auf.
esanum: Welche technischen Neuerungen im Bereich der Chirurgie beeindrucken Sie am meisten?
Schackert: Zum Beispiel die Möglichkeiten der personalisierten Medizin. Molekulare Informationen aus dem Labor ermöglichen die Entscheidung, schon präventiv zu operieren und nicht erst, wenn der Tumor entstanden ist. Dies gilt für die verschiedensten erblich belasteten Tumorerkrankungen wie beispielsweise beim Mamma-Karzimom. Und mit der intraoperativen Bildgebung erhalten wir in der Hirn-Chirurgie immer bessere Möglichkeiten, noch schonender vorzugehen, während die Elektro-Physiologie dabei hilft, die motorischen Bahnen während der OP zu erkennen und noch besser zu kontrollieren. Das alles macht Operationen heute sehr viel sicherer.
esanum: Welche Neuigkeiten aus Ihrem interdisziplinären Fachbereich erwartet die interessierte Öffentlichkeit?
Schackert: Spannende Themen sind neben der Metastasen-Chirurgie die intraoperative Bildgebung und die Roboter-Chirurgie. Durch die verbesserten technischen und medizinischen Möglichkeiten sind wir mit bestimmten Problemen neu konfrontiert. Da gibt es jede Menge Diskussionsthemen: Wie reagieren wir bei Komplikationen? Wie gehen wir mit Tumorrezidiven um? Und was machen wir bei sehr alten Patienten ab 80?
esanum: Das Kongressmotto lautet “Chirurgie im Spannungsfeld von Technik, Ethik und Ökonomie”: sehen Sie die Veranstaltung demnach auch als Plattform, um auf schwierige Herausforderungen der Zukunft aufmerksam zu machen?
Schackert: Natürlich. Hier gibt es sehr viel Diskussionsbedarf. Wir werden eine Sitzung zum Ist-Zustand der ökonomisierten Medizin haben. Da geht es um die Auswirkungen für die niedergelassenen Chirurgen, die kommunalen Häuser, die Uni-Kliniken und die Konzerne. Ich denke, wir werden bei dieser Bestandsaufnahme dahin kommen zu sagen: So geht es nicht weiter.
esanum: Wie erleben Sie die derzeit hochkochende Kostendiskussion?
Schackert: Das ist ein ganz zentrales Thema für die Ärzteschaft. Wenn wir immer mehr können, müssen wir auch klarer entscheiden lernen, was wir machen. Nicht das medizinisch Machbare kann unser Leitgedanke sein, sondern die exzellente medizinische Behandlung jedes einzelnen Patienten. Wir müssen wieder dahin zurückkommen, mehr mit dem Patienten zu reden, seinen Willen zu erfahren und ihn in die Therapie-Entscheidungen mit einzubeziehen.
Muss ich ein Pankreas-Karzinom bei einem Achtzigjährigen noch operieren? Wir können es, aber was nützt es seiner Lebensqualität? Wir brauchen keine Medizin am Fließband; kein Kostendenken, das nur noch darauf hinausläuft, möglichst viele Fälle abzurechnen. Wir wollen eine ethisch vertretbare, hochwertige medizinische Versorgung – und das flächendeckend. Dafür müssen auch Gespräche vergütet werden, damit die nicht immer zu kurz kommen. Auch Überkapazitäten müssen abgebaut und unnötige Konkurrenzsituationen vermieden werden. Sonst werden die Ärzte in die falsche Richtung gedrängt.
esanum: Welchen Einfluss hat die Umwandlung von Kliniken in Wirtschaftsunternehmen, die schwarze Zahlen schreiben müssen, auf Ihre Patienten?
Schackert: Zu stark ökonomisch motivierte Überlegungen blenden die Ethik aus. Es ist zu befürchten, dass darunter vor allem die Patienten zu leiden haben. Wenn anlässlich einer Klinik-Eröffnung in der Zeitung steht, dass jetzt etliche Millionen Euro mit der neuen Fachabteilung verdient werden sollen – dann ist das die falsche Richtung. Der Patient ist doch kein Kunde. Er ist unser Patient und wir brauchen ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, sonst nützen unsere ganzen neuen Möglichkeiten am Ende dem Kranken wenig.
esanum: Wie können die Ärzte unter diesem Druck sinnvoll agieren und reagieren?
Schackert: Das ist sicher schwierig. Wir Ärzte neigen ja dazu, alles schaffen zu wollen und leistungsorientiert zu sein. Also bemühen wir uns alle sehr, bestimmte Vorgaben auch zu erfüllen. Es wurden ja in der Vergangenheit schon Chefärzte entlassen, die gewisse Ziele nicht erreicht haben. Dennoch müssen wir alle zusammen dafür sorgen, dass in der Medizin das ethische Handeln im Vordergrund steht, auch um dem Nachwuchs zu zeigen: Das ist ein ethisch wertvoller Beruf. Das war er immer. Und das wird er bleiben. Auch dafür wollen wir uns auf dem Kongress einsetzen. Das ist unser Signal auch an die Politik, hier steuernd und planend einzugreifen – im Interesse einer weiterhin hervorragenden Medizin in Deutschland.
Das Gespräch führte Vera Sandberg.
Vera Sandberg, geboren 1952 in Berlin, absolvierte ihr Journalistik-Studium in Leipzig und war 12 Jahre lang Redakteurin einer Tageszeitung in Ost-Berlin. Im Juni 1989 wurde ihr die Ausreise bewilligt, seit 1990 ist sie Autorin für verschiedene Publikationen, Journalistin für medizinische Themen und hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt “Krebs. Und alles ist anders”. Vera Sandberg ist Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern und lebt seit 2000 bei Berlin.