Das Thema Migration und der Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund ist nach wie vor ein großes Thema. Kein anderes wird öffentlich so oft debattiert und dafür benutzt zu polarisieren. Dem zu Grunde liegen oft falsche Vorstellungen von anderen Kulturen, so dass eine systemische und ethische Reflektion auch im Gesundheitsbereich nötig ist.
Um zu reflektieren muss eine Wissensgrundlage bestehen, warum verhält sich der Mensch wie er es tut und wie denkt er selbst über seine Krankheit. Menschen aus anderen Kulturkreisen haben ein anderes Gesundheitsverständnis und auch ein anderes Ernährungsmuster. Da es keine evidenzbasierten Studien gibt, gibt es auch keine Leitlinien. Kulturelle und religiöse Aspekte sind aber für den Erfolg von Therapien, gerade bei Diabetes Erkrankungen, relevant und sollten in der medizinischen Beratung Beachtung finden.
Das Fach der Medizinethnologie versucht hier ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen. So beschäftigt es sich mit der Frage, wie sich das Krankheitsverständnis von Menschen zusammensetzt. Am meisten gehen hier die Erklärungen der Ursachen für Krankheiten auseinander ob durch die Umwelt, das Klima oder die soziale Sphäre, die auch Hexerei oder einen übernatürlich Glauben beinhalten kann, alles Mögliche wird als Auslöser verhaftet. Dieses Erklärungsverhalten beeinflusst auch den Umgang mit der Krankheit und welche Behandlung vom Erkrankten gewählt wird. Die strukturellen Bedingungen der Gesundheitsversorgung spielen ebenfalls eine große Rolle, und im Fall von Migranten auch die Migrationswege und der Aufenthaltsstatus. Studien sollen Einblicke in die Zusammenhänge zwischen Medizin und Kultur ohne Stereotype geben, denn Krankheit und kranksein ist eine psychosoziale Wahrnehmung. Auch hier fragen Patienten nach dem Sinn der Erkrankung.
Das Thema Schuld ist nicht nur einer Kultur zugeordnet, nur wird in verschiedenen Kulturen anders damit umgegangen. Wird hierzulande oft das Individuum aufgrund seines imperfekten Lebensstils verantwortlich gemacht, so ist es anderorts die Schuld im übertragenen Sinne. Oft dient die Krankheit auch als Metapher, sie ist quasi die Schuld die sich ein Mensch aufgeladen hat. In ihrem Vortrag erwähnte C. Meier zu Biesen (Berlin) ein Beispiel aus Tansania, in dem Schlaganfälle im Zuge einer Diabetes Erkrankung als Geister-Besessenheit wahrgenommen werden. Ein rationaler Umgang mit dem Krankheitsbild ist aber nicht allein für deutsche Patienten reserviert. Neben kulturellen Konventionen müssen auch Zufälle mit berücksichtigt werden. Zusammengefasst muss das jeweilige Gesundheitsverständnis als sehr komplexe Erscheinung wahrgenommen werden.
Und warum ist das alles wichtig? Weil zunehmend mehr Menschen transnationale Lebenswege mit wechselnden Grundernährungsmitteln erleben. Therapien die sich auf Ernährung stützen, müssen das Krankheitsverständnis und die Essensgewohnheiten der zu behandelnden Personen vermehrt mit einbeziehen. Fragen von Ab- und Ausgrenzung werden neu verhandelt. Auch medizinisches Personal bleibt von der Verunsicherung neuer Gegebenheiten nicht verschont. Es bestehen oft auch Zugangsbarrieren wie das Problem der Arzt/Patienten Kommunikation, inkompatible Krankheits- und Erklärungsmodelle oder eine unterschiedliche Gesundheitskompetenz. Hinzu kommt teilweise ein Unverständnis dafür wie ein Patient sein Leiden ausdrückt sowie Probleme fachsprachlicher Natur, (rassistische) Diskriminierung und zeitliche Zwänge. Neben medizinischen Fragen sind aber auch soziale und ökologische Fragen relevant. Strukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen müssen berücksichtig werden, die Komplikationen in der Arzt/Patienten Kommunikation liegen nicht immer am kulturellen Background. Soziale Unsicherheit und kulturelle Stereotypien auf Seiten des Personals geben Missverständnissen den Weg frei. Um dem Entgegenzuwirken sollte die positive Verwendung des Kulturbegriffs gestärkt und die transkulturelle Kompetenz ausgebaut werden.
Wie können wir also Patienten mit Migrationshintergrund besser erreichen? Eine Kulturalisierung sollte vermieden werden. Wissen und Erfahrung kann den Umgang und das Verständnis erleichtern. Fortbildungen in interkultureller Kompetenz können medizinischem Personal Sicherheit geben. Um das Krankheitsverständnis des Patienten nachvollziehen zu können, kann auch medizinethnologisches Wissen nützlich sein. Vertrauensbeziehungen müssen gerade bei bestehenden ethnischen Unterschieden aufgebaut werden und auch eine wertneutrale Reflektion der eigenen Kultur ist für eine erfolgreiche Behandlung maßgebend. Darüberhinaus können Übersetzer und das Einbeziehen von Netzwerken die Kommunikation erleichtern. In der Schweiz etwa gibt es "Migrant friendly Hospitals", in denen die Kulturkompetenz des medizinischen Personals genauso großgeschrieben wird, wie deren medizinischen Fähigkeiten. Der Fokus wird dort auf die Resilienz von Flüchtlingen gelegt, denn Flucht ist an sich schon eine Bewältigungsstrategie und nicht Trauma per se.
Der Vorsitz der Session, F. Berger (Ratingen), fasste den Vortrag wie folgt zusammen: bei diesem wichtigen Thema müsse man erst mal verstehen lernen, warum Patienten nicht einfach tun, was ihnen gut tut. Wichtig sei es, sich auf die Patienten einzulassen und offen auf sie zuzugehen, um die richtige Medizin sinnvoll einsetzen zu können. Das gelte nicht ausschließlich für Patienten mit Migrationshintergrund. In solchen Fällen seien Hintergrundwissen und Fortbildungen in interkultureller Kompetenz sicherlich hilfreich. Dafür müssen allerdings wiederum strukturelle Bedingungen existieren, die Zeit und finanzielle Mittel für eine adäquate Patientenbetreuung auch zulassen.
Quelle:
DDG 2018: Diabetes – Ernährung - Migranten, F. Berger; Ratingen; A. Pfeiffer, Berlin; 10:30 – 12:00; insbesondere: Kulturspezifische Wahrnehmung von Erkrankung und Gesundheit; C. Meier zu Biesen, Berlin; 10:30 – 11:00