An der neu eingerichteten Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg wird erforscht, wie sich Gesundheit und Wohlbefinden von Medizinstudierenden fördern lassen, um Risikofaktoren der ärztlichen Gesundheit wie Depressionen und Burn-out vorzubeugen. Die Studie erhebt mithilfe eines Fragebogens belastende Faktoren im Studium wie Prüfungsstress. Zugleich werden mögliche Präventionsmaßnahmen direkt im Augsburger Modellstudiengang eingesetzt und einem Praxistest unterzogen. Ziel ist die Entwicklung eines Maßnahmenkatalogs, der im Medizinstudium an allen Standorten deutschlandweit eingesetzt werden kann.
Dass Ärztinnen und Ärzte ein erhöhtes Risiko von Burn-out und Depressionen haben, ist durch zahlreiche Studien belegt. Dies hat negative Auswirkungen auf die Patientensicherheit und die Qualität der Gesundheitsversorgung. In der jüngsten Erneuerung der Deklaration von Genf hat der Weltärztebund deshalb auch die Beachtung der eigenen ärztlichen Gesundheit und des eigenen Wohlbefindens aufgenommen. "Die Probleme beginnen jedoch bereits viel früher", äußert sich Prof. Dr. Thomas Rotthoff von der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg. Er hat dort den Lehrstuhl für Medizindidaktik und Ausbildungsforschung inne und die Gesundheit und das Wohlbefinden der Medizinstudierenden im Blick: "Wir stellen weltweit fest, dass bereits während des Medizinstudiums die angehenden Ärztinnen und Ärzte unter Symptomen von Burn-out und Depressionen leiden. Dies ist besorgniserregend, da mit dem ärztlichen Beruf eine hohe Verantwortung einhergeht". Rotthoff leitet die Studie "Depressivität und Burnout bei Ärztinnen und Ärzten als Risiko für die Gesundheitsversorgung - Analyse und Stärkung der Selbstregulation und des Wohlbefindens von Medizinstudierenden als präventive Faktoren". Gemeinsam mit seinen Projektpartner:innen aus der Psychologie und der Empirischen Bildungsforschung an der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg möchte er herausfinden, welche Schutzfaktoren es gegenüber mangelndem Wohlbefinden, Burn-out und Depressivität bereits im Medizinstudium gibt, um den späteren Risikofaktoren ärztlicher Gesundheit vorzubeugen.
In einer multizentrischen Fragebogenerhebung mit sieben Modellstudiengängen in Deutschland wird zunächst untersucht, wie sich die psychische Gesundheit der Studierenden im Laufe des Studiums verändert. Mithilfe eines smartphone-basierten Experience Sampling, das nur in Augsburg eingesetzt wird, nimmt das Forschungsteam außerdem besonders belastende und emotional herausfordernde Phasen des Studiums in den Blick: "Die Studierenden erhalten immer wieder im Verlauf ihres Studiums für einen Zeitraum von zehn Tagen Smartphones und werden mehrmals am Tag mit Kurzfragebögen zu ihrem aktuellen Wohlbefinden, Belastungen und Tätigkeiten befragt. Das hat den Vorteil, dass wir direkt im Moment der Belastung einen Einblick bekommen, wie es den Studierenden geht", erklärt Ulrike Nett, Juniorprofessorin für Empirische Bildungsforschung an der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg. "Als besonders belastende Situationen im Studium beschreibt die Literatur Zeiträume vor den Prüfungsphasen oder den Präparier-Kurs, wenn die Studierenden das erste Mal an Körperspendern arbeiten", ergänzt Dr. Ann-Kathrin Schindler, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Medizindidaktik und Ausbildungsforschung.
Im Rahmen des Forschungsprojekts werden dann unterschiedliche Maßnahmen entwickelt, welche direkt im Augsburger Modellstudiengang eingesetzt und wissenschaftlich evaluiert werden. Zu diesen Maßnahmen zählt beispielsweise, dass die inhaltliche Entwicklung und Ausgestaltung des Studiengangs in einem gemeinsamen Prozess mit Lehrenden und Studierenden erfolgt, die ihre jeweiligen Perspektiven einbringen können. Eine wichtige Rolle spielt auch die professionelle Identitätsbildung der Studierenden im Verlauf des Studiums, die bei der Entwicklung zu einer reifen ärztlichen Persönlichkeit unterstützt werden sollen. "Ganz praktisch wollen wir zum Beispiel ein studentisches Peer-Coaching einrichten, bei dem die Studierenden sich gegenseitig bei Problemen unterstützen und auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden achten", erklärt Rotthoff weiter. Gemeinsam mit Prof. Ingo Kollar und Prof. Markus Dresel von der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät möchte das Team auch ein Online-Angebot zur verhaltenspräventiven Gesundheitsförderung entwickeln, das die Studierenden dabei unterstützt, ihre Selbstregulation zu reflektieren, indem sie zum Beispiel ihre Lernprozesse besser planen und überprüfen und dadurch einem geringeren Prüfungsstress ausgesetzt sind. Langfristiges Projektziel ist es, ein Maßnahmenpaket zu entwickeln, das in Medizinstudiengängen deutschlandweit eingesetzt werden kann.
Modellstudiengängen kommt für die Weiterentwicklung des Medizinstudiums in Deutschland eine wichtige Funktion zu. "Im Idealfall erweisen sie sich als zentral für die Erprobung, Erforschung und Anpassung laufender Reformvorgänge", erklärt Prof. Dr. Martina Kadmon, Gründungsdekanin der Medizinischen Fakultät und gleichzeitig Projektbeteiligte. Im Rahmen der Novellierung der ärztlichen Approbationsordnung werde die curriculare Adressierung ärztlicher Gesundheit an allen Medizinstandorten in Deutschland verpflichtend. "Auf der Basis unserer Erkenntnisse werden wir einen Maßnahmenkatalog erarbeiten, von dem wir uns erhoffen, dass er sich sehr gut auch auf die anderen Medizinstudiengänge in Deutschland übertragen lässt und die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Medizinstudierenden fördert", führt Kadmon weiter aus. Augsburg sei in der glücklichen Lage, durch die Neugründungssituation und die damit verbundene Neukonzeption des Modellstudiengangs aktuelle Impulse aus der Forschung direkt aufzugreifen, umzusetzen und zu überprüfen.