Während in den Großstädten und Ballungsräumen in Deutschland ein dichtes Versorgungsnetz für HIV-Patienten von der Diagnose bis zur Therapie existiert, ist der ländliche Raum vergleichsweise unterversorgt. Die Großstadt bietet zudem oft eine Anonymität, welche die bestehenden Ängste der HIV-Patienten vor Stigmatisierung und Diskriminierung abzumildern vermag. Auf dem Lande, in Kleinstädten oder gar im dörflichen Umfeld, ist es weitaus schwieriger, eine solche Infektion lange geheim zu halten. Doch können es auch dort Schwerpunktarzt und Patient gemeinsam schaffen, eine gute Versorgung fernab der medizinischen Zentren zu etablieren.
Wieder einmal geht es nach Bayern, genauer in die "ländliche Region" um Landshut. Mit mehr als 70.000 Einwohnern ist dieses ländliche Gebiet sicher keineswegs mit den "unendlichen" Weiten z. B. des brandenburgischen oder mecklenburgischen Nordens zu vergleichen. Jedoch treffen hier derzeit zwei wichtige Parameter der HIV-Versorgung außerhalb von Ballungszentren zusammen – Menschen mit HIV und deren Ängste vor Stigmatisierung in kleineren Städten und Gemeinden sowie Flüchtlinge mit HIV-Infektion, für die das Bundesland Bayern häufig den ersten Eintrittspunkt nach Deutschland darstellt.
Ein Hausarzt aus München verließ vor einigen Jahren die recht einträgliche Großstadt, um in Landshut mit seiner Praxis einen Neustart zu wagen. Als HIV-Schwerpunktarzt wollte er in Zukunft kürzer treten, da er ja wusste, das Problem HIV ist außerhalb der Großstadt sicher kein drängendes Problem. Doch die Versorgungsrealität holte ihn sehr schnell wieder ein und mittlerweile betreibt er die einzige HIV-Schwerpunktpraxis im Landkreis.
Anfangs sei es nicht leicht gewesen, sich gegen die eigenen Zweifel zu behaupten. Werden HIV-negative Patienten die Praxis nicht meiden, wenn sie erfahren, dass auch Menschen mit HIV behandelt werden? Doch diese Angst seitens des Arztes war vollkommen unbegründet. Er machte schließlich keine Werbung für seinen zusätzlichen Praxisschwerpunkt in seiner internistischen Hausarztpraxis.
Viel eher haben manche HIV-Patienten Bedenken, dass Nachbarn oder Freunde etwas herausfinden könnten. Gerade in kleineren Städten oder Dörfern fürchteten die Patienten Stigmatisierung und Ausgrenzung. Apotheken, welche die HIV-Medikamente ausgeben, könnten tatsächlich in manchem kleineren Ort ein Problem darstellen. Am einfachsten ließe sich dies jedoch über in Deutschland zertifizierte Internet-Versandapotheken umgehen.
Zusätzlich bekommt die Praxis monatlich Menschen der umliegenden Flüchtlingsunterkünfte zugewiesen, zum Großteil Patienten aus Westafrika. Selbst diese tragen immer häufiger vor, dass sie bitte einen Termin bekommen möchten, zu dem keine anderen Afrikaner aus ihrem Wohnheim in der Praxis anwesend sind. Nicht alle Flüchtlinge, welche die Praxis aufsuchen, sind mit HIV infiziert, manche kommen auch einfach nur wegen ihres Diabetes oder anderer Belange. Doch in der Community würde schnell eine Frage die Runde machen: "Hat der bzw. die etwa (auch) HIV?" So etwas spricht sich schnell herum und würde dann für so manchen Migranten zum sozialen Todesstoß.
Gefühlt gibt es auf dem Lande sehr viel mehr Late-Presenter, die sich häufig bereits mit ersten AIDS-Indikatorerkrankungen vorstellten. Im Falle der Flüchtlinge sei die Diagnosestellung und Therapieeinleitung dann nicht immer so einfach. Sprachmittler oder Dolmetscher müssen hinzugezogen werden, was nicht selten konfliktbeladen ist. Kommt ein Sprachmittler etwa aus dem gleichen Kulturkreis mit meist deutlich von unseren Standards abweichenden Krankheitsvorstellungen, ist nicht immer garantiert, dass die Informationen rund um die HIV-Infektion auch faktenbasiert und genau wiedergegeben werden. Auf Menschen aus der gleichen Flüchtlingsunterkunft kann ebenso wenig zurückgegriffen werden, denn es droht schlimmstenfalls der Ausschluss des Patienten aus seiner Gemeinschaft vor Ort.
Ein weiteres Problem, dass es zu lösen gilt, sind ältere HIV-Patienten im Allgemeinen. Hausbesuche oder die regelmäßige Versorgung von Pflegeheimen des Einzugsbereiches gehören fest in den Terminplan. Gerade für ältere Patienten, die außerhalb der Großstädte leben, kann der Weg in die Stadt zum regelmäßigen Bluttest oder um ein neues Rezept zu bekommen, zunehmend beschwerlicher sein.
Eine dritte Gruppe von Patienten sind Menschen mit HIV, welche im Alter – z. B. aus Kostengründen – auf´s Land ziehen möchten und dabei jedoch einer Weitertherapie ihrer HIV-Infektion bedürfen. Diese Menschen profitieren von einem entsprechenden Angebot im ländlichen Raum. Für den Arzt rechnet sich eine reine HIV-Schwerpunktpraxis außerhalb der Großstadt natürlich nicht, aber als Zusatzangebot in der internistischen Hausarztpraxis lässt sich die Versorgungssituation für die HIV-Patienten ganz nachhaltig verbessern – ein Ansatz, der sich vor allem mit mehr Lebensqualität auf Seiten der Patientinnen und Patienten bezahlt macht.
Quelle:
Corner Stone Labs I "HIV-Versorgung auf dem Land", 17. Münchner AIDS- und Hepatitis-Tage, 24.03.2018, Berlin