CRISPR-Cas9: Gen-Katastrophe oder Wunderwaffe? Logo of esanum https://www.esanum.de

CRISPR-Cas9 - Die kommende Gen-Katastrophe oder das rettende Werkzeug zur rechten Zeit?

CRISPR-Cas9 und Genschere: in einigen Fällen ein schwieriges Thema. Prof. Dr. Reinhard Renneberg berichtet über den Fall Jiankui He.

Der Fall Jiankui He

Während von den Zwillingen selber aus China absolut nichts zu hören oder sehen ist, tauchten nun Originaldokumente auf. Die zeigen klar, dass weit mehr ethische und legale Grenzen als befürchtet überschritten wurden. Die US-Zeitschrift "MIT Technology Review" veröffentlichte Ende 2019 Auszüge von zwei Texten. Angeblich wurden sie dem Massachusetts Institut of Technology „´"aus anonymer Quelle zugespielt". Darin beschreibt He seine Experimente detailliert.

Fünf internationale Fachleute kommentierten dies außerdem in der Zeitschrift. Sie kamen zu dem Schluss, dass das Gen-Editing keineswegs erfolgreich gewesen ist: Es wurde nicht die gewünschte Mutation CCR Delta 32 erzeugt, die immun gegen das Aids-Virus macht! Die erzeugte Mutation war ihr nur "ähnlich". In Hongkong hat He offenbar öffentlich bewusst die Unwahrheit gesagt.

Wieso haben eigentlich die chinesischen Eltern von Nana und Lulu überhaupt dem Experiment zugestimmt?

In China ist die in-vitro-Fertilisation bei HIV-positiven Paaren strikt verboten. Der Vater von Nana und Lulu ist aber HIV-positiv … Da war Dr. Hes Angebot wohl offenbar unwiderstehlich, um zu Kindern zu kommen. Eine Ethikkommission, wie das notwendig gewesen wäre, wurde aber nicht befragt.

Wirft das nun die CRISPR-Technologie generell zurück?

Alle BiowissenschaftlerInnen sind sich darin einig, dass die Gen-Scheren eine Jahrhundertentdeckung sind. Neu ist, dass die Gen-Scheren keine nachweisbaren genetischen Markierungen oder "Narben" hinterlassen. Keine DNA-Dopingkontrolle ist also möglich, dafür Babys mit Super-IQ, SupersportlerInnen, gezielte Evolution? Auch Gentechnik in Lebensmitteln mit CRISPR ist nicht mehr analytisch erkennbar!

Wo wurde Dr. He in den USA ausgebildet und ethisch geschult?

He Jiankui (geboren 1984) ist Bürger der Volksrepublik China. Er ist der Sohn von armen Reisbauern in der Provinz Hunan. Er wurde zum Studium in die USA geschickt und promovierte 2010 bei Michael Deem, Professor für Bioingenieurwesen an der Rice University, an der er seit 2007 Physik studiert hatte.

Seine Forschung galt damals einer schnellen Vorhersage-Methode, welche Grippestämme in die jährlichen Schutzimpfungen einzubeziehen sind. Nach seinem Doktorvater Deem benötigte Hes Methode nur zwei Wochen statt eines halben Jahres wie die von der WHO benutzte Methode. Die Veröffentlichung erschien im Dezember 2010 auf dem Cover von Protein Engineering Design and Selection. Eine weitere Arbeit war zu  einem mathematischen Modell für Vorhersagen zum CRISPR-Mechanismus, wie Bakterien durch natürliche Auslese Immunität gegen Krankheiten erlangen. Sein Doktorvater Deem beschrieb den dynamischen He als High impact student. Als Post-Doktorand arbeitete er dann bei Stephen Quake an der Stanford University.

Wieso kam das Ganze so unerwartet?

Gentherapie mit CRISPR war zwar bei verschiedenen Forschergruppen in Planung (zum Beispiel für Sichelzell-Anämie), ein Eingriff in die Keimbahn, wobei die Gen-Änderungen auch an Nachkommen weitergegeben werden, galt aber allgemein als verfrüht.

Dass He solche Versuche an Tieren und menschlichen Stammzellen unternahm, war allerdings bekannt. Noch auf einer Tagung in Cold Spring Harbor im Sommer 2017 hatte er zu vorsichtigem Vorgehen gemahnt, da ein Versagen das ganze Forschungsfeld in Verruf bringen könne.

Genetisch verändert und deaktiviert worden sei das Gen für den Rezeptor CCR5. Dabei habe er auch auf Off-Target-Änderungen getestet (also Kollateralschäden) und keine solche gefunden. Auch sei die Immunisierung bei einer der Zwillingsschwestern nur unvollständig erfolgt (Mosaikbildung), so dass einige Zellen künftig mit HIV doch infiziert werden könnten.

Nach den Unterlagen von He hatte, genauer gesagt, das eine Mädchen 15 gelöschte Basenpaare auf einer der beiden Kopien des CCR5-Gens und ein intaktes Gen auf der anderen Kopie, das andere Mädchen vier gelöschte Basenpaare auf einer der beiden Kopien, ein zusätzliches Basenpaar auf der anderen.

Die Babys waren zum Zeitpunkt der öffentlichen Ankündigung schon geboren und He gab in einem Youtube-Video bekannt, dass beide Mädchen wohlauf seien. He erklärte, er habe die Spender-Paare gründlich über die Risiken und die Methode des Eingriffs aufgeklärt. Außerdem habe er noch bei einem weiteren Kind einen solchen Eingriff vorgenommen. Insgesamt hatte er sieben Paare ausgewählt, bei denen jeweils nur der Mann HIV-positiv war.

KollegInnen halten seine Angaben für glaubwürdig, da der Eingriff prinzipiell relativ einfach sei. Es gibt auch natürliche Mutationen des CCR5-Gens (Delta-32-Mutation), die gegen HIV immunisieren, aber von anderer Form sind, bei ihnen fehlen 32 Basenpaare im CCR5-Gen.

Nach eigenen Angaben ging Dr.He auf eigene Kosten und ohne Wissen seiner Universität vor. Die Freiwilligen fand er in einer AIDS-Selbsthilfegruppe, hält aber deren Identität geheim. Ein Komitee der Klinik in Shenzhen, an der er den Eingriff vornahm, war allerdings eingeweiht.

He bedauerte auf der Konferenz, dass sein Vorgehen vor einer wissenschaftlichen Veröffentlichung (die 2018 schon eingereicht wurde und sich im Begutachtungsstadium befand) bekannt wurde. Den Eingriff selbst hielt He aber für moralisch vertretbar, da es bisher keinen wirkungsvollen Impfstoff gegen AIDS gebe und Zugang zu wirksamen Medikamenten in China schwierig sei.

Die chinesischen Behörden bestätigten bis Mitte Januar 2019 zwei Schwangerschaften in Folge von Hes Eingriffen.

Was unternahm nun die Regierung Chinas?

Chinas Nationale Gesundheitsbehörde verurteilte natürlich den Eingriff und ordnete eine genaue Untersuchung an mit möglichen Konsequenzen. Weitere Arbeiten auf diesem Gebiet untersagte man ihm. Eine Nominierung von He für den Chinesischen Nationalen Wissenschaftspreis durch die Chinesische Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie (CAST) wurde sofort zurückgenommen. Auch seine Universität verurteilte ihn wegen Verletzung akademischer Ethik und Normen.

Was sagten die führenden CRISPR-Fachleute der Welt dazu?

Nach Ansicht der jetzigen Nobelpreisträgerin  Emmanuelle Charpentier ist deutlich eine rote Linie überschritten worden. Nobelpreisträger David Baltimore bemängelte neben fehlender Transparenz auch die fehlende medizinische Notwendigkeit, da eine HIV-Infektion auf konventionelle Weise verhindert werden könne und die Zwillinge möglicherweise nun gegen andere Viren empfindlicher wären. Wie hätte man außerdem die Probe auf Resistenz durchgeführt?

Verdacht, dass ein defektes CCR5-Gen zu schwererem Verlauf von Grippe führt

Ein deutlicher negativer Effekt der CCR5delta32-Mutation wird durch eine 2019 veröffentlichte Populationsstudie von Xinzhu Wei (University of California) und Rasmus Nielsen (Universität Kopenhagen) nahegelegt. Sie berichten anhand britischer Registerdaten von über 400.000 Menschen eine 21 Prozent höhere Sterblichkeitswahrscheinlichkeit für homozygote Träger der Mutation in der Altersgruppe von 41 bis 76 Jahren.

Was sagten andere führende WissenschaftlerInnen auf der Hongkonger Konferenz?

Die Respektsperson David Baltimore trat auf der Konferenz in Hongkong unmittelbar nach dem Vortrag von He vor und erklärte das Vorgehen von He für unverantwortlich.

Wie steht Hes Doktorvater zu der Angelegenheit?

Sein ehemaliger Doktorvater Michael Deem an der Rice University wurde Gegenstand einer ethischen Untersuchung. Er wusste von dem Eingriff bei den Zwillingen und war auch zugegen, als die Spender-Paare ihre Einwilligung für den Eingriff gaben. Deem hält zudem kleinere Anteile an zwei Firmen, die He gründete, und gehört deren wissenschaftlichem Beraterteam an.

Dem tüchtigen He gelang es immerhin, nach seiner Rückkehr aus den USA 35 Millionen Dollar (!) für seine Start-ups einzusammeln. Er gab Umfragen in Auftrag, die öffentliche Zustimmung für sein Vorhaben signalisieren sollten. Seit 2015 hatte He auch 5 Millionen Dollar öffentliche Forschungsgelder erhalten.

Wie reagieren chinesische KollegInnen?

Viele chinesische Biotechnologen sehen ihre Bioindustrie gefährdet und insbesondere die vielversprechende CRISPR-Technologie. Sie wandten sich besonders scharf gegen das Vorpreschen von He und veröffentlichten einen Protestbrief mit 122 Unterschriften, die sein Experiment als verrückt bezeichneten.

Wieso haben da ÄrztInnen überhaupt mitgemacht?

Die beteiligten ÄrztInnen waren wahrscheinlich nur unvollständig informiert, was auch ihr Fehlen als Autoren der Studie nahelegt. In der Arbeit von He fehlen außerdem Angaben über die Finanzierung. Es gibt Hinweise, dass He ein Geschäftsfeld "Medizin-Tourismus für genmanipulierte Babys" aufziehen wollte, wobei er Unterstützung in Zentren für künstliche Befruchtung in den USA suchte.

Nachdem es über Hes Aufenthaltsort keine Informationen mehr gegeben hatte, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua Ende Dezember 2019, dass er in einem nichtöffentlichen Prozess in Shenzhen zu drei Jahren Freiheitsstrafe und der Zahlung einer Geldstrafe von umgerechnet rund 380.000 Euro wegen unethischer und nicht genehmigter Medizinforschung verurteilt worden sei.

Laut Gerichtsurteil habe Dr.He, um "Ruhm und Profit" zu erlangen, "absichtlich die relevanten nationalen Regulierungen wissenschaftlicher und medizinischer Forschung verletzt und die Grenzen wissenschaftlicher und medizinischer Ethik überschritten". Zwei Kollegen, darunter ein Veterinärmediziner, wurden ebenfalls zu Geld- und Haftstrafen verurteilt.

Probiert der Mensch einfach alles aus, was technisch möglich ist? Ist CRISPR die kommende Gen-Katastrophe oder das rettende Werkzeug zur rechten Zeit? Sollte man Gen-Scheren generell verbieten? Diskutieren Sie mit!