Die Corona-Warn-App des Bundes hat die zweite Corona-Infektionswelle in Deutschland nicht verhindern können. Dabei ist sie kein "zahnloser Tiger", sondern wird nur von zu wenigen Smartphone-BesitzerInnen genutzt. Eine Zusatz-Funktion könnte die Wirksamkeit spürbar erhöhen.
Der Start der Corona-Warn-App im vergangenen Sommer war hoffnungsvoll. Innerhalb weniger Wochen wurde die Schwelle von zehn Millionen Downloads durchbrochen. Doch dann wurde es ruhig um die Anwendung, die mit Hilfe von Bluetooth-Signalen feststellen kann, ob zwei NutzerInnen sich über einen gewissen Zeitraum hinweg gefährlich nahe gekommen sind.
Nun sollen die Nutzungszahlen der App noch einmal einen Schub bekommen, denn die Anwendung kann nun auch von BesitzerInnen der älteren iPhone-Modelle 5s und 6 genutzt werden. Die neuste Version steht seit 10.02. im App-Store von Apple zum Herunterladen bereit. Es kann allerdings mehrere Stunden dauern, bis die aktualisierte App in der neuen Version 1.12 auch für alle iPhone-NutzerInnen sichtbar wird.
Das Robert Koch-Institut (RKI) kommt mit der Aktualisierung der Forderung nach, die Nutzung der App auch den BesitzerInnen von älteren Smartphones zu ermöglichen. In Deutschland sind schätzungsweise noch 1,7 Millionen ältere Apple-Smartphones aktiv, auf denen nicht das bislang notwendige Betriebssystem iOS 13 oder 14 laufen kann. Die aktuelle Version der App gibt sich nun auch mit iOS 12.5 zufrieden, das auch auf dem iPhone 5s oder 6 läuft.
Was die Nutzungszahlen angeht, sind die Apple-KundInnen aber ohnehin schon gut vertreten: Die Zahl der 25,4 Millionen Downloads verteilt sich auf 14 Millionen Android-Geräte und 11,4 Millionen Downloads von einem iPhone. Dabei sind in Deutschland vier Mal so viele Smartphones mit dem Google-Betriebssystem Android in Gebrauch als iOS-Geräte von Apple. Es müssten also vor allem Android-UserInnen dazu motiviert werden, die App zu verwenden.
So oder so: Um noch effizienter zur Vermeidung einer dritten Infektionskette beitragen zu können, braucht die App noch mehr NutzerInnen. Denn der Wirkungsgrad hängt maßgeblich von den Anwenderzahlen ab. Nur wenn NutzerInnen der App bei ihren Aktivität auf andere App-AnwenderInnen treffen, kann das Tracking funktionieren.
Henning Tillmann, Informatiker und Co-Vorsitzender des Digital-Thinktanks D64, beklagt verpasste Chancen, mit denen man die App noch populärer hätte machen können: "Im vergangenen Sommer war die App weltweit der Spitzenreiter, doch dann wurde vergessen, sie weiterzuentwickeln", sagte Tillmann Anfang Februar auf einem Kongress der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID). So sei das Führen eines Kontaktdatenbuches, das der Virologe Christian Drosten bereits im August vorgeschlagen habe, erst im Januar ermöglicht und in der App umgesetzt worden.
Immerhin habe das RKI die richtige Grundsatz-Entscheidung getroffen, nämlich auf die technischen Schnittstellen von Apple und Google zu setzen. Tillmann verweist darauf, dass Frankreich und Australien mittlerweile den Versuch aufgegeben haben, ohne die Hilfe der großen Silicon-Valley-Konzerne klar zu kommen. Die dort entwickelten Apps mit eigenen Schnittstellen haben nicht funktioniert und sind gefloppt.
Dass die deutsche App technisch funktioniert, wird inzwischen kaum mehr angezweifelt, auch wenn sich etliche AnwenderInnen gewundert haben, dass die App in den vergangenen Wochen kaum noch Risikobegegnungen angezeigt hat. Die Verringerung der Zahl der ungefährlichen Risikobegegnungen war aber nicht auf einen Defekt zurückzuführen, sondern einer neuen Zählmethode. Mit der Version 1.9, die Mitte Dezember veröffentlicht wurde, konnte präziser gesteuert werden, welche Begegnungen gezählt werden sollen und welche irrelevant waren.
Auch wenn die meisten App-UserInnen das noch nicht selbst erlebt haben: Bei wirklich gefährlichen Begegnungen schlägt sie an. Und sie gibt die Warnungen zuverlässig weiter. Über die App haben bislang über 240.000 Personen, die selbst positiv auf das Coronavirus getestet wurden, ihre Mitmenschen gewarnt. Bei einem geschätzten Durchschnittswert von fünf Begegnungen mit anderen App-Nutzenden dürften damit über eine Million Warnhinweise ausgelöst worden sein.
Die Zahl der Warnungen - und damit die Wirksamkeit der App - könnte allerdings noch viel höher sein, wann tatsächlich alle NutzerInnen, die ein positives Testergebnis erhalten haben, dies auch in die App eintragen und damit die vorgesehene Alarmkette auslösen würden. Von den 391.000 positiven Testergebnissen, die seit September über einen QR-Code oder einer TeleTAN aus dem Callcenter der Telekom verifiziert wurden, lösten nur 59 Prozent den Warn-Mechanismus aus. 41 Prozent der betroffenen NutzerInnen haben sich dagegen entschieden, ihr positives Testergebnis mit den anderen App-Nutzenden zu teilen.
An der Freiwilligkeit wollen die Verantwortlichen trotz dieser enttäuschenden Quote nichts ändern. Künftig soll aber eine Erinnerungsfunktion nachhaken, ob die Warnmeldung in der Stresssituation einer positiven Corona-Diagnose nicht einfach nur vergessen wurde.
Informatiker Tillmann, der sein Konzept zusammen mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach erarbeitet hat, äußert noch einen weiteren dringenden Erweiterungswunsch: Die Corona-Warn-App sollte unabhängig vom Aufspüren potenziell gefährlicher Einzelbegegnungen in der Lage sein, Clusterbildungen - beispielsweise in einem Restaurant - zu erkennen. Massenansammlungen von Menschen könnten wegen der Aerosoleausschüttung auch dann gefährlich sein, wenn die 1:1-Kontakte relativ weit auseinander stattfinden.
Zum einen könnte die App so erweitert werden, dass die AnwenderInnen sich bei einem Event oder einem Restaurantbesuch selbst einchecken können. Mit einer moderaten Änderung der Schnittstellen von Google und Apple könnte dies auch automatisch passieren. "Wenn es an diesem Ort dann eine Infektion gab, würden hier anonym die Menschen gewarnt."