Corona und Elternzeit aus der Sicht einer Ärztin TEIL 1 Logo of esanum https://www.esanum.de

Corona und Elternzeit aus der Sicht einer Ärztin TEIL 1

Ein Jahr Corona, ein Jahr zu Hause, ein Jahr Mutti-Themen, ein Jahr social distancing: unsere Autorin Dr. Banu Orak über ihr erstes Jahr als Mutter während der Pandemie.

Unsere Autorin Dr. Banu Orak über ihr erstes Jahr als "Pandemie"-Mutter.

Banu im PODCAST-Gespräch

Dreischichtsystem, Überstunden, ein dynamisches Team und täglich spannende medizinische Fälle füllten bis Februar 2020 meinen Alltag. Sowohl mein Berufsleben als auch mein Privatleben waren vielseitig und abwechslungsreich. Langweile kam nie auf - ein freier Tag auf der Couch purer Luxus.

Schwangerschaft. Toll! Absolutes Wunschkind. Das Beschäftigungsverbot oder die reduzierte Einsetzbarkeit waren absehbar. Vor allem durch die Hyperemesis Gravidarum lässt einen normalen Arbeitsalltag sehr unwahrscheinlich aussehen. Aber gar nicht mehr arbeiten können? Das war erst einmal ein kleiner Dämpfer.

Na gut, ich kann mich von extern weiterbilden, an Fortbildungen teilnehmen, mir Dinge aneignen, die ich schon immer wissen wollte. Eine neue Sprache lernen? Mein Spanisch aufbessern! Und ein Instrument erlernen! Geige oder Gitarre? Plötzlich kommt eine Ideenflut von Dingen, mit denen ich mich in meiner neuen Freizeit beschäftigen könnte. Abgesehen von der neuen Herausforderung des Mutter-Werdens, aber bis dahin habe ich noch viel Zeit.

Außerdem lebe ich in Berlin, mehr Kultur, Kino oder Kaffee ist fast nicht möglich.

Also stelle ich mir meinen Stundenplan zusammen und buche Kurse, plane Veranstaltungen, organisiere Kurzurlaube. Oh ja, die Berlinale ist ja bald! Ich mag kein Yoga, aber alle machen Schwangerschaftsyoga. Warum nicht? Hab ja sonst nichts zu tun. Im Mai soll es an die Nordsee gehen. Im Juni noch ein Seminar in Dresden und dann kann der kleine Mann im Juli kommen.

Pustekuchen!

Corona. Und das im Mutterschutz/Elternzeit. Keine finanziellen Sorgen, ich darf nicht meckern, aber ich will es trotzdem tun.

Die erste Zeit im Februar 2020 ist alles noch so unsicher. Wie gefährlich ist die Situation wirklich? Bin ich als schwangere gefährdeter als andere? Wie geht das Immunsystem mit einer Corona-Infektion während der Schwangerschaft um? Schade ich mir oder gar meinem ungeborenen Kind in dieser Situation? Eine kleine Recherche in Pubmed liefert nur wenige Fallbeispiele aus China, internationale Stellungnahmen stehen aus. Also doch lieber sichergehen und zu Hause bleiben. Die Berlinale kommt nächstes Jahr wieder und Filme kann man auf Netflix von der Couch aus gucken.

Freunde kann ich ja noch sehen und Gott sei Dank habe ich mich für diesen (lahmen) Schwangerschaftsyoga Kurs angemeldet. Die anderen sind ja auch schwanger und maximal „clean“.

Pustekuchen!

Lockdown und Social Distancing. Kein Yoga, keine Freunde, kein Kaffee draußen. Und der Urlaub an der Nordsee und das Seminar? Beides abgeblasen.

Ich kann ja zu Hause Sport machen, denke ich. Jetzt vor der Couch mit Online-Tutorials. Auf der Couch mich erholen statt auf Sylt und die Power-Point-Präsentation des Seminars von der Couch aus durchblättern.

Der neue Alltag spielt sich sehr konkret in einer 80qm Wohnung ab. Einkaufen und das Planen des Abendessens sind die neuen Herausforderungen. Brotbacken, einen Pizza-Stein einweihen und neue Kochbücher zu bestellen haben sich auch bei uns eingeschlichen. DYI´s werden umgesetzt, die seit Monaten geplant sind. Ich weiß jetzt, was ein Exzenterschleifer ist und lese neuerdings Blogs von australischen Hobbyhandwerkern statt der Fachzeitschrift für Pädiatrie. Kulinarischer und handwerklicher Höhepunkt meines Lebens, aber sozialer Tiefpunkt. Und beruflich erst...An den meisten Tagen vergesse ich, dass ich Ärztin war, ich meine bin. Es wird applaudiert für Klinikpersonal. Ich bin natürlich stolz auf meine Kolleg*innen, aber wäre irgendwie auch gerne dabei gewesen. Stattdessen beobachte ich die steigenden Zahlen, die Erfolge bei der Impfstoffsuche und die gesellschaftlichen Veränderungen von der Couch aus. Die Politik ist überfordert, aber wie auch nicht. Oder wer von denen hat schon einmal ein Land durch eine Pandemie manövriert? Wer kannte vorher den Namen des Gesundheitsministers von Nordrhein-Westfalen? Was für ein Ausnahmezustand.

Inzwischen kugelrund und für nicht mehr viel zu gebrauchen im Krankenhaus, aber nun doch im Nestbautrieb angekommen. Schnell noch die Wickelecke aufbauen. Es gibt Abos für Babywindeln, verrückt. Und die Ausstattung fürs Baby? Eine ganz neue Welt für die nächsten Monate.

Am Ende des Tages liege ich wieder auf der Couch im Wohnzimmer. Hatte ich erwähnt, dass ich diese Couch inzwischen nicht mehr sehen kann? Warten auf Tag X und sich innerlich darauf einstellen, dass man bald auf der anderen Seite der Medizin steht.

Bald kommt TEIL 2: Plötzlich Patientin.