Die Corona-Krise gilt als Bedrohung für psychisch kranke Menschen. Zu einer höheren Zahl der Suizide hat die Pandemie mit ihren Auswirkungen in Bayern allerdings nicht geführt - oder noch nicht.
Bayerns Behörden haben bislang keine Hinweise auf erhöhte Suizidraten in der Corona-Krise. Nach Angaben des Landeskriminalamtes sind die Zahlen sogar etwas niedriger als im vergangenen Jahr um diese Zeit. Zwischen Anfang März und dem 25. Mai nahmen sich 388 Menschen in Bayern das Leben. Im gleichen Zeitraum 2019 waren es 399. Auch die Zahl der Suizidversuche blieb in etwa konstant. In den genannten knapp drei Monaten versuchten in diesem Jahr 461 Menschen, sich das Leben zu nehmen. 2019 waren es 457.
Einen etwas größeren Anstieg gab es im Februar, noch vor Beginn des Lockdowns in Deutschland. 321 Menschen in Bayern wollten sich in dem Monat umbringen, 142 von ihnen starben auch tatsächlich. Im Februar waren es insgesamt 272 gescheiterte und vollendete Selbstmordversuche und damit 45 Fälle mehr als im Vorjahr.
Auch bei der Hotline des Krisendienstes Psychiatrie hat sich die Zahl der Anrufe nach einer kurzzeitigen Steigerung auf rund 180 Anrufe pro Tag zu Beginn der Krise wieder auf das Normalmaß von 140 pro Tag eingependelt, teilte die zuständige Regierung von Oberbayern auf Anfrage mit.
"Viele Menschen waren besorgt und verängstigt", sagte eine Sprecherin auf Anfrage. "Häufig genannte Problemfelder sind Ängste vor Ansteckung, Isolation, Überforderung mit der Situation vor allem für Familien mit Kindern und für Alleinlebende". Dazu kämen Zukunftssorgen, Angst um an COVID-19 erkrankte Angehörige oder um den Arbeitsplatz.
Grundsätzlich sei die Situation für Menschen, die ohnehin schon an einer psychischen Erkrankung wie einer Depression leiden, besonders schwierig. "Wenn jemand vor der Coronakrise bereits seelisch unter Druck stand, kann die aktuelle Situation das berühmte Fass zum Überlaufen bringen", sagte die Sprecherin. "Durch die Belastung kann getriggert werden, was vorher gerade noch unter Kontrolle war."
Viele Menschen seien in der Krise erstmal damit beschäftigt, den Alltag zu organisieren, sagte der Ärztliche Direktor des Isar-Amper-Klinikums in Haar bei München, Peter Brieger: "Wie versorge ich mein Kind, wie besorgen ich Klopapier?" Wenn der Lockdown noch länger gedauert hätte, hätte die Situation schwieriger werden können. Und auch so befürchtet er eine "Bugwelle mit ein paar Wochen Verzögerung". Denn psychische Auswirkungen der Krise träten erst zeitverzögert ein.
"Es könnte sein, dass jetzt so viele soziale Faktoren in die Brüche gehen", sagte Brieger: "Dauerhaft Kurzarbeit, Arbeitsverhältnisse gehen verloren, Partnerschaften gehen in die Brüche, finanzielle Belastungen entstehen oder die Leute betrinken sich daheim aus Langeweile. Das sind alles Risikofaktoren für Suizid." Und noch einen Risikofaktor sieht er: "Ich glaube, langfristig ist Homeoffice nicht gut für die seelische Gesundheit von Menschen."
In keinem Bundesland ist die absolute Zahl der Suizide so hoch wie in Bayern. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden nahmen sich im Jahr 2017 insgesamt 1.597 Menschen im Freistaat das Leben - das sind 85 mehr als im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Bundesweit lag die Zahl der Suizide 2017 bei 9.241. In Deutschland sterben in jedem Jahr mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und illegale Drogen zusammen.