Jahrzehntelang hat Chefarzt Wolfgang Röder operiert und die Unfallchirurgie einer Klinik geleitet. Nun hat der 62-Jährige den Job an den Nagel gehängt - um ein unbezahltes Praktikum bei einer Brauerei zu machen.
Sudkessel schrubben, Hefesäcke schleppen, Bierkästen tragen und Fässer in den Keller wuchten - Wolfgang Röder macht all das jeden Tag. Er ist Praktikant in der Brauerei Faust im unterfränkischen Miltenberg. So weit so gut. Doch Röder ist nicht etwa frisch von der Schule und sucht seinen beruflichen Weg. Im Gegenteil: Der Mann ist 62 Jahre alt und hat sein Berufsleben bereits fast hinter sich. Vor fast drei Monaten hat er seinen Job als Chefarzt und Chirurg an einer Klinik gekündigt. Nur einen Tag später hat er mit seinem unbezahlten Praktikum in der Familienbrauerei begonnen.
"Ich hatte einfach keine Lust mehr, im deutschen Gesundheitssystem zu arbeiten", sagt Röder dazu. Dass Ärzte Zielvorgaben für Operationen bekommen, sei seiner Meinung nach perfide und menschenverachtend. "Ich wollte kündigen, sobald ich mir das leisten konnte." Im März war es soweit. Das Handy - 21 Jahre lang "rund um die Uhr"-Begleiter - darf nun auch mal daheim liegen bleiben. Doch Ausruhen kam für den Unterfranken trotzdem nicht in Frage. "Nur nicht alt im Kopf werden", dachte sich der Mediziner und sattelte kurzerhand um.
Nun beginnt sein Arbeitstag morgens 7.00 Uhr, und der ehemalige Chefarzt muss nach der Pfeife anderer tanzen. "Er ist ein toller Praktikant. Er ist sich für keine Arbeit zu schade und ist sehr wissbegierig", lobt der dienstälteste Brauer des Unternehmens, Alfons Kaufmann, seinen Stift. Röder sagt dazu: "Nur wer sich einbringt, bekommt auch was zurück. Das war schon bei meinen Praktikanten in der Klinik so. Die Engagierten durften auch mal nähen oder das Messer führen. Die anderen standen nur daneben." Also hat Röder alle "niederen" Praktikanten-Arbeiten gut gelaunt erledigt und nebenbei den Experten des Brauhauses Löcher in den Bauch gefragt.
Das Brauhaus Faust in Miltenberg hat im Jahr gut ein Dutzend Praktikanten. "Es ist wichtig, dass wir Bierbrauer-Nachwuchs haben. Also zeigen wir natürlich auch, was wir hier machen", sagt Johannes Faust, der die Brauerei gemeinsam mit seinem Cousin in vierter Generation führt. Bei Fausts wird noch sehr handwerklich gearbeitet. Computer spielen eine untergeordnete Rolle. "Deshalb müssen Praktikanten und Lehrlinge hier richtig arbeiten. Deshalb haben sie aber auch schnell Verantwortung und müssen mitdenken", sagt Brauereichef Faust weiter.
Genau deshalb hatte sich Ex-Chefarzt Röder auch in Miltenberg als Praktikant beworben. Er wollte so viel wie möglich über das Bierbrauen lernen und sein theoretisches Wissen mit Praxiswissen anreichern. Aber wie kam er auf die Idee mit dem Brauerei-Praktikum? "Ich trinke einfach gern Bier. Und nachdem mir ein Patient ein Brauseminar geschenkt hatte, war das Interesse daran geweckt." Also studierte Röder nebenberuflich ein Semester lang als Gasthörer Brauereitechnologie und holte sich zudem das Biersommelier-Diplom.
Nach ersten Bierbrau-Experimenten in der eigenen Küche hat der 62-Jährige nun einen kleinen 50-Liter-Braukessel. "Das Thema interessiert mich wissenschaftlich sehr. Man muss die reine Naturwissenschaft verstehen, um damit spielen zu können." Er selbst trinkt übrigens am liebsten ganz klassisch Weizenbier und Pils.
Dem Deutschen Brauer-Bund zufolge gibt es derzeit in Deutschland rund 1400 Braustätten, die zusammen etwa 9,6 Milliarden Liter Bier produzieren. Das sind rund 100 mehr als noch vor zehn Jahren. Auch die Zahl der Azubis (aktuell 918) sei mittlerweile stabil und nicht mehr rückläufig, sagt Brauer-Bund-Sprecher Marc Oliver Huhnholz. "Wir erleben in Deutschland eine wahre Renaissance des Bieres und des Brauens – auch dank neuer Hopfensorten und alter Rezepturen. Von diesem Trend profitieren alle Brauereien", so Huhnholz weiter.
Brauerei-Chef Faust findet es ebenfalls großartig, dass sich immer mehr Menschen für das Bierbrauen interessieren. Vor allem das sogenannte Craftbeer aus Amerika hätte das Bewusstsein für Bier verändert. Seit etwa zehn Jahren spielen diese handgemachten und experimentelleren Biere dem Deutschen Brauer-Bund zufolge eine immer größere Rolle. "Wir haben hierzulande wieder eine richtige Bierkultur", sagt auch Faust dazu.
Ein Praktikumszeugnis wird Röder im Anschluss an seine Zeit in der Brauerei wohl nicht brauchen. Denn der Bierliebhaber will sein eigener Arbeitgeber werden, künftig in Alzenau Bierseminare anbieten und natürlich auf seiner Terrasse mehr Bier brauen. Und noch eine Vision hat der Alzenauer Stadtrat: "Ich will den Bürgermeister davon überzeugen, eine kommunale Brauerei aufzumachen. Mit mir als Brauer."