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Chancengleichheit in der Medizin sollte selbstverständlich sein

Die Ärzteschaft wird weiblicher. Allerdings sind Ärztinnen seltener in Führungspositionen vertreten und verdienen im Durchschnitt weniger als männliche Kollegen. Das muss sich ändern.

Die Ärzteschaft wird weiblicher. Allerdings sind Ärztinnen seltener in Führungspositionen vertreten und verdienen im Durchschnitt weniger als männliche Kollegen. Das muss sich ändern. Mehr Frauen in der Medizin bieten neue Chancen.

Von Dr. Bodo Müller

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau erklärte im vergangenen Jahr die Zusammenstellung seines Kabinetts aus 15 Frauen und 15 Männern mit folgenden Worten: “Because it’s 2015” – weil es 2015 ist. Was der allgemein als überaus smart und modern wahrgenommene Trudeau damit ausdrückte, gilt im Jahr 2016 für die Politik genauso wie für die Medizin: Es muss Chancengleichheit herrschen. Und vor allem muss es bei den Aufstiegsmöglichkeiten und der Bezahlung für Frauen und Männer gerecht zugehen.

Der Anteil der Ärztinnen an der Gesamtzahl der berufstätigen Ärzte beträgt der Bundesärztekammer zufolge 46,0 Prozent – im Vergleich zu 33,6 Prozent 1991. Bei den Erstsemestern im Fach Humanmedizin sind fast 70 Prozent Studentinnen – Tendenz steigend. Der Arztberuf wird weiblicher. In den nächsten Jahren werden zahlreiche Ärzte aus Altersgründen – der Anteil der über 59-jährigen Ärzte liegt bei 17,3 Prozent – in den Ruhestand gehen. Zudem führt die steigende Lebenserwartung dazu, dass chronische Krankheiten wie Herz- und Kreislauferkrankungen, Krebs und Diabetes deutlich zunehmen werden. Der Bedarf an Ärzten steigt. Immer weniger Ärzte wollen sich zudem in ländlichen Regionen niederlassen, so dass es auch hier eine wachsende Nachfrage gibt.

Vor diesem Hintergrund ist es dringend notwendig, den Arztberuf attraktiver zu machen – besonders für Frauen, die häufig Schwierigkeiten haben, ihre ärztlichen und familiären Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Wenn fast zwei Drittel der ärztlichen Berufseinsteigerinnen weiblich sind und aufgrund ihres Alters zwischen 25 bis 35 Jahren ein großes Interesse an Gründung einer Familie besitzen, muss sich die Struktur des Arbeitsplatzes so ändern, dass Arbeit und Familienleben miteinander vereinbar sind. Auch in einem Schichtsystem wie im Krankenhaus lassen sich Dienstzeiten planbar und ohne Überstunden organisieren und Teilzeitmodelle einführen, die notwendig sind, wenn beide Elternteile arbeiten wollen. Bereits jetzt entscheiden sich immer mehr Ärzte gegen eine Vollzeitstelle. Der Anteil der niedergelassenen Teilzeitärzte wuchs laut Bundesärztekammer von 2009 bis 2013 von rund 5 auf 13,6 Prozent.

Arbeitszeiten müssen flexibler und familienfreundlicher werden

So genannte Flexi-Dienste, die es Kollegen ermöglichen, beispielsweise für zwei Stunden für eine Kollegin einzuspringen und den eigenen Dienst zu verlängern, sind genauso ein richtiger Ansatz wie eine Ausweitung der Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Bei der Masse an Verwaltungsaufwand im heutigen Krankenhausbetrieb können auch Ärzte einen Teil ihrer Aufgaben von Zuhause aus erledigen. Kein Arzt steht nur im OP oder ist pausenlos in Patientengespräche vertieft! Der Drang nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance ist im Übrigen bei männlichen Ärzten nicht weniger ausgeprägt als bei weiblichen Kollegen.

Dass es eine Dominanz von Männern in ärztlichen Führungspositionen gibt, ist nicht von der Hand zu weisen. An den Vivantes-Kliniken in Berlin (an denen der Autor als Chefarzt tätig ist) sind nur 15 Prozent der Chefarztposten von Frauen besetzt; 88 Männern stehen lediglich 17 Ärztinnen gegenüber. Hier wäre das Krankenhausmanagement gefragt umzudenken und umzulenken – Kriterien sollten allerdings Qualifikation und Leistung sein und nicht eine starre Quote.

Natürlich gibt es Patienten, die es bevorzugen würden, von einem Mann operiert oder behandelt zu werden; genauso gibt es aber auch welche, die eine Frau als Arzt präferieren. Die Sicht der Patienten ist sicherlich kein Kriterium, warum Frauen so selten in Führungspositionen vertreten sind. Vielmehr gibt es offenbar in vielen Krankenhausverwaltungen ein eher antiquiertes Rollenverständnis. Männliche Chefärzte kosten die Krankenhäuser im Übrigen mehr, da sie bei außertariflichen Honoraren mehr verdienen oder – um es anders auszudrücken – mehr für sich herausholen. Auch das wirkt auf Frauen frustrierend und lässt sie eher keine Karriere in der Medizin anstreben, wenn ihr zum einen die Aufstiegschancen verbaut sind und sie zum anderen weniger verdient. Sinnvoll wäre es z.B. in der ambulanten Betreuung Fachbereiche wie Kinderheilkunde, Allgemeinmedizin oder Gynäkologie aufzuwerten, indem sich die Verdienstmöglichkeiten der dort tätigen Ärzte denen in von Männer dominierten Fachbereichen wie Radiologie oder Orthopädie angeglichen werden.

Bei aller Sympathie für Chancengleichheit sollten nicht die alten Geschlechterkämpfe ausgefochten werden. Wenn führende Ärztinnenvertreterinnen eine höhere Präsenz von Frauen in der Medizin damit begründen, dass Frauen die besseren Ärzte sind, da sie empathischer seien und besser zuhören könnten, dann führt das nicht in die richtige Richtung. Sind deshalb Männer die besseren Operateure, weil sie mehr Kraft haben und länger am Operationstisch stehen können? Diese Form der Diskussion sollten wir vermeiden. “Because it’s 2016.”

Über Dr. Bodo Müller

Dr. Bodo Müller ist Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe im Vivantes-Klinikum Berlin Hellersdorf. Gleichzeitig ist er Gründer von esanum.