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Breit neutralisierende Antikörper – Traum oder Hirngespinst?

Nach bisherigen Untersuchungen werden für einen wirksamen Einsatz Kombinationen oder bi- bzw. trispezifische Antikörper erforderlich sein. Die vermutlich hohen Kosten dieser neuen Therapeutika könnten jedoch einer breiten Anwendung im Wege stehen.

Wie müsste ein Präparat zur HIV-Prävention aussehen?

Nach bisherigen Untersuchungen werden für einen wirksamen Einsatz Kombinationen verschiedener Antikörper oder bi- bzw. trispezifische Antikörper erforderlich sein. Die vermutlich hohen Kosten dieser neuen Therapeutika könnten jedoch einer breiten Anwendung im Wege stehen. Weitere Befunde zu breit neutralisierenden Antikörper (bNAbs) stellte Daniel R. Kuritzkes, Brigham and Women's Hospital, Boston, bei der 25. CROI am 7. März 2018 in Boston vor.

Breit neutralisierende Antikörper (bNAbs) sind humane monoklonale Antikörper, die eine breites Spektrum von HIV-1-Isolaten neutralisieren können, in dem sie an der transmembranären Hülle des Virus angreifen. Sie verstärken zudem verschiedene Effektorfunktionen, wie die über Komplement vermittelte Lyse, die Antikörper-abhängige zellvermittelte Zytotoxizität (ADCC), die Antikörper-abhängige zelluläre Phagozytose (ADCP) sowie HIV-1-spezifische Immunreaktionen. Diese Antikörper können so abgewandelt werden, dass sie verschiedene Eigenschaften kombiniert enthalten oder ihre Halbwertszeit verlängert ist.

Die bNAbs können danach eingeteilt werden, an welchem Teil der transmembranären Hülle sie angreifen, z. B. an der CD4-Bindungsstelle, an V1/V2, an V3/Asn332 glycan patch, an gp120/gp41-interface oder an MPER.

Denkbare Einsatzmöglichkeiten und Vorteile

Breit neutralisierend Antikörper könnten therapeutisch und prophylaktisch eingesetzt werden. In Kombination mit einer ART könnten sie deren Wirkung verstärken. Denkbar wäre ein Einsatz in der Erhaltungstherapie bei Patienten, deren HIV-Konzentration kontrolliert ist. Mit bNAbs könnte ein viraler Rebound unterdrückt werden. Sie könnten als Therapiealternative bei Patienten mit Mehrfachresistenz oder ART-Unverträglichkeit und in der Prävention zur Prä- (PrEP) und Postexpositionsprophylaxe verwendet werden. Als Vorteile der bNAbs nannte Kuritzkes

Die antivirale und präventive Wirkung konnte in Tiermodellen nachgewiesen werden, wie im Beitrag "Neutralisierende Antikörper als frühe Therapie für HIV-Infektionen" dargestellt.

Pharmakokinetische Ergebnisse

Pharmakokinetische Studien am Menschen mit VRC01 zeigten, dass die neutralisierende Kapazität des Antikörpers direkt mit seiner Plasmakonzentration korreliert. VCR01 war in diesen ersten Studien gut verträglich. Durch Modifikationen kann VCR01 so verändert werden, dass sich die Halbwertzeit deutlich auf etwa 24 Wochen verlängert.

Derzeit laufen mit VRC01 zwei großen Wirksamkeitsstudien zur PrEP. In der HVTN703/HPTN084-Studie der Phase 2 b wird VRC01 in zwei Dosierungen alle 8 Wochen im Vergleich zu Placebo bei 1.500 Frauen in Schwarzafrika eingesetzt. In der Phase-2b-Studie HVTN704/HPTN085 erhalten etwa 2.700 Homosexuelle in Nord- und Südamerika den Antikörper im Vergleich zu Placebo.

Bei Gabe einer Einzeldosis von 3BNC117 zeigten pharmakokinetische Studien eine raschere Clearance, wenn die Probanden mit HIV-infiziert waren als Nichtinfizierte. Dies kann nach Aussage von Kuritzkes damit erklärt, dass der Antikörper bei HIV-Infizierten durch Bindung an seine Zielstrukturen rascher aus dem Plasma verschwindet. Ob dies klinische Konsequenzen hat, ist noch unklar.

Antivirale Wirksamkeit und Resistenzprobleme

In ersten Studien am Menschen zeigten die Antikörper VCR01 und 3BNC117 eine antivirale Aktivität, die jedoch nach kurzer Zeit durch das Hochwachsen resistenter Viren wieder aufgehoben wurde. Beobachtungen mit BNC117 legen nahe, dass der Antikörper die körpereigene Immunreaktion gegen das Virus stärken kann. Unklar sind derzeit noch das Ausmaß und die klinische Bedeutung dieser Reaktion.

Wurden VRC01 und BCN117 bei HIV-Patienten gegeben, deren ART gestoppt worden war, kam es zum Anstieg der Konzentration von vorher bereits resistenten HI-Viren. Eine Möglichkeit, dieses Resistenzproblem zu umgehen, wäre die Gabe einer Antikörperkombination, die an unterschiedlichen Stellen angreift. Ein anderer Ansatz zur Lösung des Resistenzproblems ist die Konstruktion trispezifischer Antikörper, wie z. B. SAR 441236.

Theoretische Anforderungen für die Umsetzung in die klinische Praxis

Theoretisch müsste das Produktprofil eines Antikörperpräparats zur HIV-Prävention folgende Eigenschaften aufweisen:  Zwei IgG-monoklonale Antikörper (oder ein trispezifischer Antikörper) zur Prävention der HIV-Infektion, der eine Infektion durch >98% der Stämme verhindert. Zielpopulation wären Jugendliche und Erwachsene mit hohem Risiko einer HIV-Infektion, Kinder von HIV-positiven Müttern bei der Geburt und während des Stillens. Der Antikörper sollte alle 3 bis 6 Monate subkutan, bei Kindern einmalig bei der Geburt appliziert werden können. Nebenwirkungen sollten selten sein und die Kosten unter 50 Dollar pro Person und Jahr liegen.

Das Antikörperpräparat zur Therapie der HIV-Infektion sollte u.a. folgende Eigenschaften haben: Es sollte höchstens alle 4 Wochen, besser nur alle 6 Monate, appliziert werden müssen. Das Produkt sollte zu einer potenten und anhaltenden Suppression der HIV-Replikation führen, die maximale Virussuppression sollte mindesten 48 Wochen bestehen bleiben. Resistente Viren sollten selten sein. Natürlich muss das Präparat gut verträglich sein und es darf keine höheren Kosten als die bisherige First-Line-Therapie verursachen.

Viele Fragen offen

In der klinischen Entwicklung dieser bNAbs gibt es noch zahlreiche offene Fragen. So muss noch die optimale Kombination für Studien am Menschen gefunden werden. Offen sind ferner die Höhe der Dosis und die Applikationshäufigkeit. Unklar ist, ob sich Antikörper gegen die bNAbs und bNAb-resistente Viren bilden können. Subkutane Applikationsformen wären intravenösen vorzuziehen. Kosten, Herstellungskapazität und globaler Zugang sind weitere Herausforderungen, die es anzugehen gilt.

Fazit

Kuritzkes zog folgendes Fazit: bNAbs sind vielversprechende, lang wirkende Agenzien für die Therapie und Prävention der HIV-1-Infektion. Sehr wahrscheinlich müssen jedoch Kombinationen verschiedener Antikörper oder bi-bzw. trispezifische Antikörper eingesetzt werden. Die Wirksamkeit, Sicherheit und die Effekte auf das HIV-1-Reservoir sind noch unklar. Die Kosten werden vermutlich einer breiten Anwendung im Wege stehen.

Quelle:
Kuritzkes. Broadly neutralizing antibodies for HIV prevention and treatment:dream or pipe dream? 25. CROI, Boston, 7. März 2018, Abstract 160. http://www.croiconference.org/sessions/broadly-neutralizing-antibodies-hiv-prevention-and-treatmentdream-or-pipe-dream