Pflegerat will Modell der Gemeindeschwester etablieren Logo of esanum https://www.esanum.de

Braucht Deutschland die Community Health Nurse?

Der Deutsche Pflegerat fordert die Schaffung einer Community Health Nurse, die selbständig heilkundliche Tätigkeiten – Diagnosen, Arznei- und Heilmittelverordnungen – ausübt.

Community Health Nurse soll Gesundheitsversorgung unterstützen

Der demografische Wandel, Fachkräftemangel in Gesundheitsberufen und zunehmende Multimorbidität stellen die Gesundheitsversorgung in Deutschland vor eine "enorme Herausforderung", konstatiert der Deutsche Pflegerat in einem jüngst publizierten Positionspapier. Dies erfordere flexible Versorgungsmodelle und einen neuen Zuschnitt etablierter Berufsrollen und beruflicher Kompetenzen. Dazu soll das Berufsbild der Community Health Nurse in Deutschland etabliert werden – vom inhaltlichen Zuschnitt mit dem Ziel, große Teile der hausärztlichen Versorgung zu übernehmen.

Die Community Health Nurse (CHN) sei ein "international anerkanntes Berufsbild, welches, ausgestattet mit der nötigen Handlungsautonomie, eine kompetente primäre Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung sichern kann. Die selbstständige Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten ist dafür unabdingbar", heißt es in dem Positionspapier. International beruft sich der Pflegerat auf Erfahrungen in Kanada, Finnland und Slowenien.

Die CHN: Minihausarzt mit Schmalspur-Qualifikation

Zum Berufsbild heißt es: Die CHN ist eine ausgebildete Pflegefachperson; sie agiert in multiprofessionellen Teams und steuert ganzheitlich den medizinisch-therapeutisch-pflegerischen Versorgungsprozess.

Die Qualifikation erfordert die Berufsbezeichnung Pflegefachfrau/-mann oder Hebamme/Entbindungspfleger und zusätzlich ein Studium "Community Health Nursing" auf Masterniveau entsprechend dem Europäischen Qualifikationsrahmen Stufe 7.  

Das Tätigkeitsprofil ist charakterisiert durch die Sicherstellung der individuellen Versorgung aus einer Hand, sektorenübergreifende Steuerung des Versorgungsprozesses, neben der Übernahme erweiterter pflegerisch-klinischer Aufgaben auch medizinische Untersuchungen, Diagnosestellungen, Routineverordnungen von Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln, Förderung der Gesundheitskompetenz, Schaffung von Zugängen zu Angeboten der Gesundheitsförderung und Prävention. Das Tätigkeitsfeld der CHN ist damit zu großen Teilen mit dem der Hausärzte identisch. Würde die CHN realisiert, entstünden damit für gleiche Aufgabenstellungen zwei unterschiedliche Qualifikationsniveaus.

Pflegerat beruft sich auf Koalitionsvertrag

Zur Begründung seiner Forderungen führt der Pflegerat einerseits den Koalitionsvertrag der Ampelregierung an. Dort heißt es, die Akademisierung der Pflege solle gemeinsam mit den Ländern weiter gestärkt werden. Professionelle Pflege solle durch heilkundliche Tätigkeiten "ergänzt" werden, unter anderem durch Schaffung des neuen Berufsbilds der Community Health Nurse. Der Koalitionsvertrag gibt allerdings nichts dazu her, mit der Schaffung der CHN Hausärzte zu ersetzen.  Zum zweiten stützt sich der Pflegerat auf "bisherige Arbeiten zur CHN" der Agnes-Karll-Stiftung und der Robert Bosch-Stiftung.

"Community Health Nurses sind ein wichtiger Brückenpfeiler", so die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler. Mit ihrer Hilfe könne medizinische und pflegerische Versorgung in Deutschland stabilisiert, entlastet und ausgebaut werden. Denn die CHN erkenne frühzeitig den Bedarf notwendiger medizinischer und pflegerischer Leistungen. Das könne dazu führen, dass schwere Fälle erst gar nicht entstünden. Und Lücken in der hausärztlichen Versorgung könnten geschlossen werden.

Weigeldt: Nicht noch mehr Lasten für die Pflege schaffen! 

Beim Hausärzteverband stoßen derartige Ideen erwartungsgemäß auf wenig Verständnis: Was der Pflegerat fordere, sei in "keiner Weise nachvollziehbar und wäre ein echte Gefahr für die Versorgung der Patientinnen und Patienten", sagte Verbandsvorsitzender Ulrich Weigeldt auf Anfrage. Denn der CHN sollten grundlegende ärztliche Aufgaben wie Diagnosestellungen und die Koordination der Versorgung übertragen werden – einer Pflegekraft, die weder ein Medizinstudium noch eine ärztliche Weiterbildung absolviert hat. Das sei nicht im Interesse der Versorgungsqualität und der Patienten.  

Außerdem, so argumentiert Weigeldt, prangerten Pflegekräfte zu Recht ihre extreme Belastung an. Dazu passe aber nicht, dass Pflegeverbände von sich aus neue Berufsbilder forderten, die noch mehr Pflegekräfte aus bisherigen Tätigkeiten abziehen würden. "Wie das zusammenpassen soll, ist schleierhaft", so Weigeldt. Außerdem führe das neue Berufsbild der CHN zu einer weiteren Fragmentierung der Versorgung. Und damit auch nicht zu einer Entlastung der Hausärzte, wenn immer mehr Berufsgruppen bei den grundlegenden ärztlichen Aufgaben mitmischten.

Zi: Hausärzte sind strukturell gut aufgestellt

Etwas anders argumentiert das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi).  Dessen Vorstandsvorsitzender Dr. Dominik von Stillfried sieht die hausärztliche Versorgung – trotz Überalterung und teilweisen Ärztemangels – strukturell gut aufgestellt. Denn die rund 55.000 Hausärzte würden durch 135.000 MFA unterstützt; ferner seien mit VERAH und NÄPA – insgesamt mehr als 12.000 – durch die Hausarztpraxen nahezu flächendeckend eine aufsuchende Versorgungsstruktur geschaffen worden, insbesondere für chronisch Kranke und immobile Patienten. Aufgaben dieser hoch qualifizierten MFA übernähmen in anderen Ländern Community Health Nurses.

Vergleiche mit Kanada, Finnland oder Slowenien, wie sie der Pflegerat anführt, hält man beim Zi für irreführend: So sei die Ärztedichte laut OECD-Daten in Deutschland um mehr 30 Prozent höher als in Finnland und Slowenien, im Vergleich zu Kanada sogar um 60 Prozent höher. CHN seien auch kein Ersatz bei nicht besetzbaren Arztsitzen. 

Richtig sei es vielmehr, jetzt die berufsbegleitende Ausbildung, zum Beispiel von Physician Assistants, in der ambulanten Versorgung zu fördern. Diese könnten in die bestehenden Praxisstrukturen integriert werden. Die Politik sollte vermeiden, neue und teure Versorgungsschnittstellen zu schaffen. Wichtig seien bessere Rahmenbedingungen für Praxen, um VERAH/NÄPA sowie Physicians Assistants zu fördern.