RSI: Welches Muskelrelaxans bei Ileuseinleitung? Logo of esanum https://www.esanum.de

Blitzintubation: Zwei Muskelrelaxanzien im Vergleich

Das Risiko einer Paralyse bei Bewusstsein während einer Ileuseinleitung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit unterschätzt. Worauf sollten Ärztinnen und Ärzte in der Notaufnahme achten?

Rapid Sequence Induction: Riskant, aber notwendig

Übersetzt aus dem Französischen

Die dringliche Intubation eines oft nicht nüchternen Patienten wird Blitz- oder Ileuseinleitung (englisch: Rapid Sequence Induction, RSI) genannt und ist ein gängiges Verfahren in der Notaufnahme. Bei dieser Technik wird ein schnell wirkendes, muskelerschlaffendes Mittel wie Succinylcholin oder Rocuronium verwendet. Die Sedierung erfolgt durch ein kurzwirksames Hypnotikum wie Ketamin, Etomidat oder auch Propofol.

Solange der Patient mechanisch beatmet wird, muss eine kontinuierliche Sedierung und Analgesie gewährleistet sein, um eine Paralyse im Rahmen der muskelrelaxierenden Medikation bei vollem Bewusstsein zu vermeiden.

Eine Paralyse bei Bewusstsein (englisch: Awareness With Paralysis, AWP) ist für Patienten nur schwer zu bewältigen. Sie nehmen zwar ihre Umgebung wahr, können aber nicht handeln oder gar ihre Störung mitteilen. Dies kann nicht nur zu einer schmerzhaften Erfahrung, sondern langfristig auch zu einem erheblichen psychischen Trauma führen. In der manchmal hektischen und chaotischen Umgebung von Notaufnahmen ist jedoch ein Szenario möglich, bei dem die Sedierung verzögert oder unzureichend ist. Dieses Szenario ist sogar noch plausibler, wenn ein langwirkendes paralytisches Medikament wie Rocuronium verwendet wird.

Ein unterschätztes Risiko in der Notaufnahme?

Zwei neuere Studien werfen ein Licht auf dieses möglicherweise unterschätzte Risiko. Bei der ED-AWARENESS-Studie handelt es sich um eine prospektive, monozentrische, beobachtende Kohortenstudie mit 383 mechanisch-beatmeten Notfallpatienten. Sie wurde 2021 in den Annals of Emergency Medicine veröffentlicht.1

Nach der Extubation beurteilten die Autoren die AWP der Patienten anhand des modifizierten Brice-Fragebogens. Mit dem Brice-Score wird die subjektive Wahrnehmung des Bewusstseins bewertet. Zehn der Patienten hatten eine Paralyse bei Bewusstsein, was einer Prävalenz von 2,6 % entspricht. Die Odds Ratio für AWP mit Rocuronium betrug 5,1 im Vergleich zu Succinylcholin - d. h. ein 5-faches Risiko.

Im Jahr 2022 veröffentlichte dasselbe Team in der Zeitschrift Critical Care Medicine eine multizentrische prospektive Kohortenstudie, um das Wissen zu diesem Thema zu erweitern.2 Knapp 400 Patienten nahmen an der Studie teil. Von den 3,4 %, bei denen eine AWP-Episode auftrat, haben - bis auf einen - alle Rocuronium als Muskelrelaxans für die Ileuseinleitung erhalten.

Darüber hinaus hatten diese "Rocuronium"-Patienten auch einen signifikant erhöhten durchschnittlichen Brice-Score. Ein hoher Brice-Score korreliert mit einem erhöhten Risiko, eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nach einer Ileuseinleitung zu entwickeln.

Was können wir aus diesen Ergebnissen lernen?

Die erste monozentrische Studie deutet darauf hin, dass eine beträchtliche Anzahl von Patienten in der Notaufnahme von AWP betroffen sein könnte. Dieses Risiko scheint durch die Verwendung von Rocuronium erhöht zu werden. Die mit dem RSI-Verfahren verbundene Vorsicht sollte daher auch für die Aufrechterhaltung der Analgosedierung gelten, um das Auftreten von AWP zu verhindern.

Die zweite multizentrische Studie konsolidiert die Ergebnisse der ersten Studie. Die Autoren kamen zu folgendem Schluss, dass AWP bei einem beträchtlichen Anteil der mechanisch-beatmeten Patienten in der Notaufnahme auftrat, und bringen dies mit der Rocuronium-Exposition in Verbindung. AWP führte zu einem erhöhten Bedrohungsempfinden, wodurch die Patienten einem größeren Risiko der Entwicklung einer PTBS ausgesetzt waren. In dieser neuesten Studie ist die beobachtete AWP-Rate von 3,4 % in der Notaufnahme viel höher als die gemeldete Inzidenz bei Patienten im Operationssaal (0,1 %). Dies deutet darauf hin, dass die Praktiken zur Aufrechterhaltung der Analgesie und Sedierung nach der Anwendung von RSI bei Notfallpatienten verbesserungswürdig sind. Studien, die darauf abzielen, AWP in diesem gefährdeten Patientenkollektiv weiter zu quantifizieren und ihr Auftreten zu verhindern, sind dringend erforderlich.

Auswirkungen auf die medizinische Praxis

Rocuronium ist ein beliebter pharmakologischer Wirkstoff für die Ileuseinleitung und wird aufgrund der unerwünschten Arzneimittelwirkung von Succinylcholin vor diesem bevorzugt. Es ist jedoch zu beachten, dass die Wirkungsdauer von Rocuronium länger ist als die von Succinylcholin. Der behandelnde Arzt in der Notaufnahme sollte auf eine suffiziente Analgosedierung nach Ileuseinleitung achten, um das Auftreten einer Paralyse bei Bewusstsein zu verhindern.

Referenzen:

  1. Pappal RD, Roberts BW, Mohr NM, Ablordeppey E, Wessman BT, Drewry AM, Winkler W, Yan Y, Kollef MH, Avidan MS, Fuller BM. The ED-AWARENESS Study: A Prospective, Observational Cohort Study of Awareness With Paralysis in Mechanically Ventilated Patients Admitted From the Emergency Department. Ann Emerg Med. 2021 May;77(5):532-544. doi: 10.1016/j.annemergmed.2020.10.012. Epub 2021 Jan 21. PMID: 33485698; PMCID: PMC8166299.
  2. Fuller BM, Pappal RD, Mohr NM, Roberts BW, Faine B, Yeary J, Sewatsky T, Johnson NJ, Driver BE, Ablordeppey E, Drewry AM, Wessman BT, Yan Y, Kollef MH, Carpenter CR, Avidan MS. Awareness With Paralysis Among Critically Ill Emergency Department Patients: A Prospective Cohort Study. Crit Care Med. 2022 Oct 1;50(10):1449-1460. doi: 10.1097/CCM.0000000000005626. Epub 2022 Jul 21. PMID: 35866657.