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Blick in die Zukunft – Deep Learning Algorithmus sagt kardiovaskuläres Risiko voraus

Lässt sich durch eine einfache Ansicht der Netzhaut auch das kardiovaskuläre Risiko abschätzen? Der menschliche Blick reicht dazu scheinbar nicht aus, sonst hätten wir schon ein entsprechendes Screening entwickelt. Aber wie gut schlägt sich ein Computer?

Computer trifft Vorhersagen anhand von Netzhautbildern

Die Netzhaut lässt als einziges Organ einen ungefilterten Blick auf die Blutgefäße des menschlichen Körpers zu. Augenärzte lesen an ihr beispielsweise die Zeichen einer diabetischen Retinopathie ab. Doch lässt sich durch eine einfache Ansicht der Netzhaut auch das kardiovaskuläre Risiko abschätzen? Der menschliche Blick reicht dazu scheinbar nicht aus, sonst hätten wir schon ein entsprechendes Screening entwickelt. Aber wie gut schlägt sich ein Computer? Forscher aus Stanford haben in Zusammenarbeit mit Google dazu einen sogenannten Deep Learning Algorithmus entwickelt. Ihre wegweisenden Ergebnisse haben sie im März im Fachmagazin Nature veröffentlicht.

Was ist Deep Learning?

Vorab eine kurze Begriffserklärung: Der Begriff "Deep Learning" umschreibt die Fähigkeit eines Computers, mithilfe von speziellen Algorithmen aus einer enormen Anzahl von Daten (Stichwort "Big Data") Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Moderne Deep Learning Algorithmen basieren auf künstlichen neuronalen Netzwerken, die die Funktionsweise des menschlichen Gehirns imitieren. Der Clou ist, dass man die Computer nur noch mit allgemeinen Informationen zu einer Fragestellung füttern muss und sie im Verlauf selbstständig lernen "zu lernen". Die Technik steckte vor 30 Jahren noch in den Kinderschuhen. Doch seitdem hat die Rechenleistung enorme Fortschritte gemacht und wir können schon heute in verschiedensten Bereichen auf diese neuartige künstliche Intelligenz zurückgreifen. Die heutige Sprach- und Gesichtserkennung wäre ohne Deep Learning nicht möglich. Ein bekanntes Beispiel stellt zudem Googles Computer AlphaGo Zero dar, der durch bloße Kenntnis der Regeln des komplexen Brettspiels Go innerhalb von drei Wochen zum weltbesten Go-Spieler avancierte – und das komplett ohne menschlichen Einfluss.

Computer mit 280.000 Funduskopien trainiert

Nun zur Studie: Die Forscher haben ihren Algorithmus mit über 280.000 Funduskopien und den dazugehörigen klinischen Daten gefüttert. Nach absolvierter Lernphase testeten sie ihn an rund 13.000 unbekannten Funduskopien. Die Patienten dieser Testgruppe waren im Durchschnitt 56 Jahre alt. Frauen und Männer waren in etwa gleich repräsentiert. Der Algorithmus sollte nun verschiedene kardiovaskuläre Risikofaktoren aus den Netzhautbildern herauslesen. Und das konnte er erstaunlich gut. Das Alter der Patienten schätzte er in 78 % der Fälle auf +/- 5 Jahre genau. Den Blutdruck ließ sich in 72 % der Fälle auf +/- 15 mmHg genau bestimmen. Der Algorithmus konnte sogar den Body-Mass-Index (BMI) der Probanden abschätzen, in 80 % der Fälle auf +/- 5 kg/m2 genau.

Algorithmus fast so treffsicher wie SCORE-Charts

Anschließend haben die Autoren der Studie ihren Algorithmus gegen die SCORE-Charts (Systematic COronary Risk Evaluation) der europäischen Gesellschaft für Kardiologie antreten lassen, die das individuelle Risiko eines Patienten berechnen, in den nächsten Jahren ein kardiovaskuläres Ereignis (MACE) zu erleiden. Der Algorithmus konnte hier – wie gesagt nur anhand der Netzhautbilder – mit 70%iger Wahrscheinlichkeit ein MACE vorhersagen. Der SCORE war mit 72 % leicht überlegen, was sich mit einem zukünftigen noch präziseren Algorithmus aber ändern könnte.

Enormes Zukunftspotential

Die Autoren sehen in der Verwendung von Deep Learning in der Vorhersage des individuellen kardiovaskulären Risikos ein großes Zukunftspotential. Funduskopien werden heutzutage regelhaft bei Diabetes-Patienten durchgeführt und es wäre ein Leichtes, die Patienten mithilfe dieses Algorithmus zusätzlich auf ihr kardiovaskuläres Risiko zu screenen. Diese Arbeit kann ferner dazu beitragen, die Pathophysiologie kardiovaskulärer Erkrankungen weiter zu erforschen, insbesondere in Hinblick auf die Netzhaut. Zukünftig wollen die Forscher den Algorithmus mithilfe einer umfangreicheren und besser ausgestatteten Datenbank noch leistungsfähiger machen. Die in dieser Studie benutzte Trainings-Datenbank war verhältnismäßig klein und es fehlten teilweise wichtige Informationen wie die Lipidwerte. Nachfolgestudien sind bereits in Planung und vielleicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Kardiologen ihre Patienten zur Bestimmung des kardiovaskulären Risikos zum Augenarzt schicken.

Quellen:
Poplin R. et al. Prediction of cardiovascular risk factors from retinal fundus photographs via deep learning. Nature Biomedical Engineering volume 2, pages 158–164 (2018). doi:10.1038/s41551-018-0195-0.