Trotz der in der Pandemie zu Tage getretenen Schwachpunkte hat die Bevölkerung aktuell noch großes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems: 81 Prozent der Bürger stimmen dem zu, bei den Ärzten sind es sogar 89 Prozent, in der Bevölkerung eine Verbesserung um noch einmal vier Prozentpunkte im Vergleich zum Vorpandemie-Jahr 2019.
Dies geht aus dem 11. MLP-Gesundheitsreport hervor, der auf einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach unter 1.100 Bürgern und 400 Ärzten basiert und der am 30.06. veröffentlicht wurde.
Das noch gute Allgemeinbild darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Schwächen existieren. So sagen die Ärzte, Corona habe "große Probleme" offengelegt: 81 Prozent der Ärzte sehen dies bei der Zusammenführung und zentralen Nutzung von Daten, 78 Prozent bei der technischen und personellen Ausstattung der Gesundheitsämter und 69 Prozent bei den föderalen Organisationsstrukturen. 57 Prozent der Ärzte glauben nicht, dass Lehren aus der Corona-Krise gezogen werden und das Gesundheitssystem krisenfester aufgestellt wird.
Auffallend ist auch, dass der Anteil in der Bevölkerung, der in den vergangenen zwei Jahren schlechtere Erfahrungen mit der ärztlichen Versorgung gemacht hat, sprunghaft von 20 auf 29 Prozent gestiegen und vice versa der Anteil derer, die eine Verbesserung sehen, sich von 18 auf 8 Prozent vermindert hat. Betroffen von diesem Trend sind primär gesetzlich Versicherte, nicht Privatpatienten.
Dies hat offenbar damit zu tun, dass Privatpatienten von großer Bedeutung für die wirtschaftliche Basis vieler Praxen sind: 63 Prozent der Ärzte halten Privatversicherte für wichtig oder sogar sehr wichtig, 37 Prozent glauben, es sei unmöglich, ohne Privatpatienten wirtschaftlich zu überleben.
Das Hauptproblem des Gesundheitswesen sei, so Professor Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach, dass das personelle Fundament erodiert: Inzwischen sehen 34 Prozent der Bevölkerung in ihrer Region einen Ärztemangel (2019: 24 Prozent, 2011: 13 Prozent), im Osten erleben 53 Prozent akut einen Ärztemangel.
Das deckt sich mit dem Urteil von niedergelassenen Ärzten: Inzwischen sehen 52 Prozent (2019: 41 Prozent) zunehmenden Ärztemangel, besonders ausgeprägt mit 76 Prozent in ländlichen Regionen. Tendenziell werde sich die Personallage jedoch überall, auch in Ballungsregionen und sehr großen Städten verschärfen. Das schlägt sich konkret in der wachsenden Arbeitsbelastung nieder: 54 Prozent der Hausärzte und 41 Prozent der Fachärzte berichten von zunehmenden Patientenzahlen, die sie zu versorgen haben, besonders ausgeprägt wiederum in ländlichen Regionen mit einem Anteil von 71 Prozent.
Das führt dazu, dass Patienten – trotz der Anstrengungen des Gesetzgebers und der Selbstverwaltung beispielsweise aufgrund der Vorgaben des Terminservice-Gesetzes – "sehr lange" auf einen Behandlungstermin warten mussten: dies betrifft 65 Prozent der Bevölkerung (plus drei Prozentpunkte im Vergleich zu 2019).
Die gleiche Entwicklung zeigt sich in Krankenhäusern: Aktuell beklagen 57 Prozent der Klinikärzte einen Arztmangel, weitere 23 Prozent rechnen in Zukunft damit. Trotz zahlenmäßigen Wachstums hat sich die Personallage verschärft, und 46 Prozent der Klinikärzte berichten, dass sie mehr Patienten versorgen müssen. Dies ist umso erstaunlicher, als die Fallzahlen in Kliniken in den beiden Pandemiejahren 2020 und 2021 rückläufig waren.
Als wichtigste und wahrscheinlich auch kurz- bis mittelfristig wirksame Maßnahme sehen die Ärzte den Abbau von Bürokratie: 95 Prozent halten dies für wichtig oder sogar sehr wichtig. 81 Prozent plädieren für eine generelle Reduzierung der Arbeitslast, 71 Prozent sprechen sich dafür aus, den Zugang zum Medizinstudium zu erleichtern.
Einen gravierenden Unterschied zeigt die Umfrage hinsichtlich des Praxis- und des Pflegepersonals: Während niedergelassene Ärzte zu 22 Prozent über eine Unterbesetzung mit qualifizierten Medizinischen Fachangestellten berichten, klagen Klinikärzte zu 81 Prozent über Unterbesetzung beim Pflegepersonal. Offenbar beherrschen Praxisinhaber ihr Personalmanagement weitaus besser als Krankenhausverwaltungen, obwohl die Gehälter von MFA eher unter denen in der qualifizierten Pflege liegen. Aber auch die niedergelassenen Ärzte müssen achtsam sein: Die Rekrutierung von MFA wird zunehmend schwieriger, der Anteil der Praxisinhaber, die große Probleme sehen, ist seit 2016 von 15 auf 48 Prozent gestiegen.
Und die zukünftige Entwicklung der Gesundheitsversorgung: Da sind Ärzte deutlich pessimistischer als die Gesamtbevölkerung: 62 Prozent der Ärzte (2019: 59 Prozent) erwarten, dass sich die Versorgung etwas oder deutlich verschlechtern wird, in der Bevölkerung sind es 35 Prozent (2019: 30 Prozent). Leiden wird nach Auffassung der Ärzte vor allem die Versorgung auf dem Land (92 Prozent), die Zuwendung zum Patienten durch Zeitmangel (83 Prozent) und zunehmende Schwierigkeiten, medizinisch notwendige Leistungen zu verordnen (74 Prozent) . Die Bürger fürchten vor allem steigende Beiträge (86 Prozent), Folgebelastungen durch die Pandemie (71 Prozent) und Personalmangel (69 Prozent). Eine knappe Mehrheit der Bevölkerung (51 Prozent) erwartet wirksamere Medikamente, aber nur 32 Prozent glauben, dass das Gesundheitssystem in zehn Jahren besser auf Krisen und Pandemien eingestellt ist, und nur 27 Prozent erwarten, dass das Gesundheitswesen noch so leistungsfähig sein wird wie heute.
Ursächlich dafür ist fehlendes Vertrauen in die Gesundheitspolitik: 69 Prozent der niedergelassenen Ärzte und 60 Prozent der Klinikärzte haben Zweifel, dass die Regierung die Herausforderungen angeht. 55 Prozent der Bevölkerung und 77 Prozent der Ärzte befürchten, dass Reformen im Gesundheitswesen durch aktuelle Krisen auf der Strecke bleiben.
So fällt das Urteil über die aktuelle Gesundheitspolitik auch sehr verhalten aus: Bei den Ärzten kommt Karl Lauterbach aktuell auf eine Zustimmung von 28 Prozent im Vergleich zu 23 Prozent für Jens Spahn 2019; einen schlechten Eindruck haben 39 Prozent der Ärzte, weit weniger als vor drei Jahren mit 67 Prozent. Etwas weniger gut kommt Lauterbach bei der Bevölkerung weg: 26 Prozent Zustimmung (Spahn 29 Prozent), 33 Prozent (35 Prozent) mit einem schlechten Eindruck. Das Hervorstechende bei Lauterbach: 41 Prozent der Ärzte und 33 Prozent der Gesamtbevölkerung haben keine Meinung – offenbar ist es ein Rätsel, was Lauterbach wirklich will.