Der Knorpelschwund zieht oft schmerzhafte Gelenkarthrosen bis hin zum künstlichen Kniegelenk nach sich. Besonders junge Erwachsene, die etwa nach längerem Gehen oder Joggen an Knieschmerzen leiden, sollten deshalb mögliche Achsenabweichungen ihrer Beine rechtzeitig von einem Orthopäden oder Unfallchirurgen abklären lassen. Schuheinlagen, Physiotherapie oder auch eine Umstellungsoperation können helfen, Folgeschäden zu vermeiden und einen Gelenkersatz möglichst lange hinauszuzögern. Darauf weist die AE – Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e. V. hin.
Schmerzhafte und fortgeschrittene Gelenkarthrosen sind der häufigste Grund für die Implantation eines künstlichen Kniegelenks. Zu den Ursachen für eine verfrühte und übermäßige Abnutzung des Gelenkknorpels gehören Fehlbelastungen der Gelenke durch X- und O-Beine. Doch Betroffene sind sich selbst größerer Fehlstellungen ihrer Beine oft nicht bewusst. "Wir raten deshalb dringend, schon leichtere Beschwerden, etwa einen Anlauf- und Belastungsschmerz beim Aufstehen oder Treppensteigen, abklären zu lassen", betont Prof. Dr. med. Karl-Dieter Heller, Generalsekretär der AE und Chefarzt der Orthopädischen Klinik am Herzogin Elisabeth Hospital in Braunschweig. "Denn diese Beschwerden sind oft Frühwarnzeichen für eine Überlastung von Kniegelenken, Knorpeln und Menisken", so der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Rechtzeitig erkannt, könne der Gelenkknorpel möglicherweise noch gerettet werden.
Optimal ist eine gerade Beinstellung. Hier liegen die Mitte von Hüfte-, Knie- und Sprunggelenk auf einer Achse. Mit Ganzbeinröntgenaufnahmen, die im Stehen angefertigt werden, bestimmen Ärzte Abweichungen der Beinachse gradgenau. Einen ersten Eindruck über seine Beinstellung könne sich jedoch jeder vor dem Spiegel, mit kurzer Hose oder Leggings bekleidet, verschaffen. "Die meisten Menschen haben von Natur aus leichte X- oder O-Beine", sagt Prof. Dr. med. Florian Gebhard, Präsident der AE und Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum Ulm. "Verursachen sie keine Beschwerden, bedürfen sie in der Regel auch keiner Behandlung."
Bei einer X-Bein-Stellung weichen Unterschenkel und Füße von der Ideallinie nach außen ab, die Knieinnenseiten berühren sich, nicht aber die Fußknöchel. Dadurch werden die Außenseiten des Kniegelenks zu stark belastet. Beim O-Bein haben die Fußknöchel Kontakt, die Knie stehen jedoch weit auseinander. Die Hauptlast liegt hier auf der Innenseite der Kniegelenke. Die Folge beider Achsabweichungen: frühzeitige Kniearthrosen.
Die Therapie besteht zunächst im Tragen von Einlagen und Schuhaußen- beziehungsweise Innenranderhöhungen, die die Überbelastung ausgleichen sollen. "Des Weiteren empfehlen wir gezielte Physiotherapie zur Stellungskorrektur und Kräftigung der beteiligten Muskelpartien rund um das Kniegelenk", so Heller. Wichtig sei auch, Übergewicht abzubauen.
"Reichen diese Maßnahmen nicht aus, um die Lasten besser zu verteilen, lohnt es sich oft, die Beinachse operativ zu begradigen", führt Heller aus. Bei der sogenannten Umstellungsosteotomie sägt der Chirurg den Knochen zu 90 Prozent durch und klappt ihn so weit auf, dass die Beinachse wieder stimmt. Die dabei entstandene Lücke ist oft so gering, dass sie von alleine zuwächst. Alternativ kann der Arzt den Leerraum mit patienteneigenem Knochen aus dem Beckenkamm oder künstlichem Knochenmaterial füllen. Anschließend stabilisiert er das OP-Gebiet mit einer Platte, die er nach Abschluss der Heilung wieder entfernt. Bei O-Beinen findet die Korrektur meist am Schienbeinknochen statt, bei X-Beinen auch am Oberschenkelknochen.
"Eine Osteotomie ist ein sehr hilfreicher und bewährter Eingriff, um den Gelenkknorpel in möglichst gutem Zustand zu erhalten und damit eine Knieprothese hinauszuzögern", bestätigt auch Gebhard. "Wegen des besseren Heilungspotentials tendieren wir jedoch dazu, eher jüngere Patienten damit zu versorgen." Die Operation ergäbe allerdings nur Sinn, solange die Arthrose nicht stark fortgeschritten sei. Deshalb sei es wichtig, den Eingriff rechtzeitig in Erwägung zu ziehen. "Ein Kunstgelenk stellt immer den letzten Ausweg dar", erklärt Heller.