Obwohl zielgerichtete Medikamente wie Glivec die Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie (CML) revolutioniert haben, müssen betroffene Patienten das Arzneimittel meist für den Rest ihres Lebens einnehmen und damit rechnen, dass es im Laufe der Zeit an Wirkung verliert. Eine neue Forschungsarbeit schlägt nun einen Weg vor, wie diese maligne Erkrankung in Zukunft nicht nur kontrolliert, sondern auch geheilt werden könnte. Wissenschaftler vom Dana-Farber Cancer Institute und des Boston Children’s Hospitals haben festgestellt, dass CML-Stammzellen sterben, wenn man ein Protein namens Ezh2 inhibiert. Medikamente, welche diese Hemmung bewirken, werden gegenwärtig in klinischen Studien für andere Krebsarten getestet.
Diese neue Entdeckung wurde in der Zeitschrift Cancer online veröffentlicht. Stuart Orkin, ein pädiatrischer Hämatologe und Onkologe am Dana-Farber Cancer Institute / Boston Children’s Cancer und Blood Disorders Center ist leitender Autor der Arbeit. Die Ergebnisse machen Hoffnung, dass Ezh2-Blocker in Kombination mit Glivec und ähnlichen Medikamenten die CML einiger Patienten auf relativ schnelle Art und Weise heilen könnte. Andernfalls ist es auch denkbar, dass das Medikament eine wirkungsvolle Alternative für all diejenigen darstellt, bei denen sich gegen Wirkstoffe, die Glivec ähneln, Resistenzen entwickelt haben.
In einem Paper, welches zeitgleich in der Fachzeitschrift Cancer Discovery erschien, berichtet ein schottisches Forscherteam von ganz ähnlichen Ergebnissen, die aber auf einem anderen Weg erzielt wurden.
Die überwiegende Mehrheit der Patienten mit CML regiert bemerkenswert gut auf Imatinib (Glivec) und ähnliche Medikamente: Die Krankheit wird mit ihrer Hilfe gut kontrolliert und die Nebenwirkungen sind erträglich. Allerdings werden die leukämischen Zellen in nur zehn bis 20 Prozent der Patienten vollständig aus dem Körper entfernt. Bei den restlichen 90 Prozent bleibt ein Reservoir von leukämischen Stammzellen erhalten. Ein solches Reservoir kann die Krankheit immer wieder auslösen, weshalb diese Menschen das Medikament dauerhaft einnehmen müssen.
CML ist eine langsam fortschreitende Art von Blutkrebs. Sie entwickelt sich im Knochenmark und tritt vor allem bei Erwachsenen auf, wohingegen Kinder nur selten betroffen sind.
Im Laufe der Zeit entwickeln einige Patienten Resistenzen gegen Glivec und andere Medikamente, die BCR-ABL blockieren. BCR-ABL ist das fehlgeleitete Fusionsprotein, welches den Fortschritt einer CML antreibt. Obwohl Zweit- und Drittlinientherapeutika die Krankheit oft wieder in Remission bringen können, profitieren manche Patienten nicht von diesen Medikamenten oder entwickeln schwere Nebenwirkungen.
Die neue Studie entstand aus den Bemühungen, herauszufinden, ob möglicherweise verschiedene Arten von Krebs gegenüber Ezh2-Inhibitoren empfindlich sind. Mit Hilfe verschiedener Laborversuche entdeckten die Dana-Farber/ Boston Children’s Forscher nicht nur, dass Ezh2 in leukämischen Stammzellen massiv überexpremiert wird. Darüber hinaus stellten sie auch fest, dass es den Zellen dabei hilft, so lange zu überleben, bis sie sich zu vollwertigen CML-Zellen entwickeln konnten. Follow-up-Studien an Mäusen zeigten, dass eine durch Gen-Bearbeitungstechniken herbeigeführte Inaktivierung von Ezh2 CML-Stammzellen in die Apoptose treibt und die Krankheit somit an der Quelle stoppt.
Die durch die Forscher offengelegte Abhängigkeit der Stammzellen von Ezh2 deutet darauf hin, dass entartete Zellen besonders anfällig gegenüber Medikamenten sind, die auf dieses Protein abzielen. Interessanterweise sind solche Medikamente bereits in klinischen Studien für andere Erkrankungen, einschließlich Lymphomen und einige soliden Tumoren, im Einsatz.
Epizyme, ein biopharmazeutisches Unternehmen mit Sitz in Cambridge, startete vor kurzem eine pädiatrische Studie zur Testung eines Ezh2-Inhibitors an Kindern mit rhabdoiden und anderen Tumoren. Dana-Farber / Boston Childern‘s Hospital ist einer der Standorte in der multizentrischen Phase-1-Studie.
Obwohl Ezh2-Inhibitoren als Erstlinientherapie für CML das Potenzial hätten, die Behandlungszeit für viele Patienten drastisch zu verkürzen, könnten laut Orkin ethische Überlegungen dazu führen, dass es zunächst nur als Ergänzung an Patienten getestet wird, die auf Glivec und ähnliche Medikamente nicht reagieren – entweder von Anfang an oder nachdem sich eine Arzneimittelresistenz entwickelt hat. Die Autoren sind jedoch ungeachtet dessen von ihren Ergebnissen überzeugt und glauben fest daran, dass die Hemmung von Ezh2 eine Heilung von CML herbeiführen kann, sofern sie in Kombination mit den aktuellen zielgerichteten Therapien eingesetzt wird. Dieser Schritt biete einen vielversprechenden Ansatz, um die Dauer der Therapie entscheidend zu verkürzen und um eine endgültige Heilung zu erreichen. Wenn dies gelingt, wären neben dem Behandlungserfolg auch die dadurch erreichbaren Kosteneinsparungen von großer Bedeutung.