Mit cleveren Ideen sollen Lücken bei der ärztlichen Versorgung in ländlichen Regionen gestopft werden. Im Kreis Vorpommern-Greifswald startet ein Pilotprojekt mit einer App, von dem etwa 70 Landkreise in Deutschland profitieren könnten.
Der Kreis Vorpommern-Greifswald gehört zu den dünn besiedelten Gebieten in Deutschland, doch die notfallärztliche Versorgung soll dort nicht schlechter sein als in Städten, so der Anspruch des Kreises. Dazu erprobt der Kreis unter anderem eine Lebensretter-App, um Menschen, die einen Herzinfarkt erleiden, schneller zu helfen.
Am Dienstag wurde durch die Rettungsleitstelle des Kreises die Smartphone-App "Landretter" freigeschaltet: Qualifizierte Ersthelfer wie Ärzte, Krankenschwestern oder Feuerwehrleute, die sich zufällig in der Nähe eines lebensbedrohlich Erkrankten befinden, werden per App auf ihrem Handy alarmiert. Sie könnten dann mit lebensrettenden Reanimationsmaßnahmen die ersten Minuten bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes überbrücken, sagte der Initiator des Projektes, Professor Klaus Hahnenkamp von der Universitätsmedizin Greifswald.
Diese App sei kein Ersatz sondern eine Ergänzung der bestehenden Rettungskette. Studien belegten, dass sich die Überlebenschance nach einem Herzinfarkt mit einer schnellen Laienreanimation verdopple und mit einer Reanimation durch professionelle Ersthelfer sogar vervierfache, sagte der Notfallmediziner.
Der Kreis erprobt unter dem Motto "Landretter" ein bundesweit einmaliges Vier-Säulen-Modell zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung in ländlichen Regionen. Neben der Rettungs-App, die es auch in anderen Bundesländern gibt, gehört in Vorpommern-Greifswald der Ausbau der Laienreanimation und das System des Telenotarztes dazu. Unter Federführung der Universitätsmedizin sei so in den vergangenen drei Jahren im Landkreis die Zahl der Laien, die Wiederbelebungsmaßnahmen beherrschen, von 17 auf über 41 Prozent der Bevölkerung gesteigert worden.
In Mecklenburg-Vorpommern gelten von Alarmierung bis zum Eintreffen des Rettungswagens Hilfsfristen von zehn Minuten. "Diese Vorgaben sind sportlich", sagte der Dezernent für Soziales, Dirk Scheer. Es gebe Regionen im Kreis, in denen es schwierig werde, diese Hilfsfristen einzuhalten. Dennoch will Scheer die App nicht als "Lückenbüßer" verstanden wissen, sondern als innovative Idee, den Herausforderungen ländlicher Räume zu begegnen.
Das System funktioniert so: Ist eine Krankenschwester beispielsweise beim Wochenendeinkauf, während auf dem Supermarkt-Parkplatz ein Mensch bewusstlos zusammenbricht, wird sie von der Leitstelle, bei der der Notruf aufgelaufen ist, zeitgleich mit Rettungswagen und Notarzt informiert. Sie erhält - wenn sie die Nachricht in der App bestätigt hat - den genauen Standort des Erkrankten. Ein Metronom auf dem Handy gibt dann sogar den Wiederbelebungsrhythmus von 100 bis 120 Herzdruckmassagen je Minute vor, wie Projektleiter Peter Brinkrolf erklärt. Und woher weiß die Leitstelle, dass gerade diese Krankenschwester in der Nähe ist? "Die App meldet der Leitstelle, welcher Ersthelfer mit seinem Handy in der Funkzelle eingeloggt ist, aus der auch der Notruf abgesetzt worden ist."
Rund 100 qualifizierte Freiwillige haben sich im Landkreis noch vor Projektstart als "Landretter" registrieren lassen. "Wir sind mit der Resonanz extrem zufrieden und hoffen, dass sich noch mehr Menschen bereit erklären", sagte Scheer. Jeder Interessent werde geschult, zudem müsse er einen Qualifizierungsnachweis vorlegen. Erst dann wird die App freigeschaltet.
Das Projekt "Landretter" wird mit 5,4 Millionen Euro vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses(G-BA) gefördert. Der Ausschuss das oberste Beschlussgremium der Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Angelegt als Vier-Säulen-Modell mit Telenotarzt und Laienreanimation sei das Projekt bundesweit einmalig, weil es die Probleme in ländlichen Regionen komplex angehe, sagte Joachim Paul Hasebrook von der zeb.business school der Steinbeis Hochschule Berlin. Das Projekt könnte Pilotcharakter für etwa 70 weitere Landkreise in Deutschland haben, die eine ähnliche Bevölkerungsdichte hätten wie Vorpommern-Greifswald.
Größtes Problem in den ländlichen Regionen ist allerdings bislang das lückenhafte Funknetz. Der Kreis Vorpommern-Greifswald setzt darauf, dass diese Lücken möglichst zügig geschlossen werden. "Die Bundestagswahl steht vor der Tür. Auf einmal werden von der Politik die ländlichen Regionen erkannt", sagt Kreisdezernent Scheer. Diese Signale seien positiv. Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) begrüßt Projekte wie dieses. "Für den ländlichen Raum brauchen wir innovative Lösungen in der Gesundheitsversorgung."