Ein Labor in Südafrika entwickelt einen eigenen mRNA-Impfstoff gegen Corona. Er soll ärmeren Ländern schnelleren und günstigeren Zugang zu Impfstoffen ermöglichen und kostenlos lizenziert werden. Doch es gibt Hürden zu überwinden.
Im Labor des Biotechnologieunternehmens Afrigen Biologics and Vaccines im südafrikanischen Kapstadt arbeiten Forschende unter Hochdruck. Sie befinden sich in einer entscheidenden Phase bei der Entwicklung von Afrikas erstem eigenem Corona-Impfstoff. Dieser soll das hochwirksame mRNA-Präparat von Moderna nachahmen und damit die Abhängigkeit von der Pharma-Industrie mindern.
Unterstützt von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem UN Medicines Patent Pool (MPP) sowie der Gesundheitsorganisation der Afrikanischen Union (Africa CDC) will Afrigen die Verteilung von Impfstoffen weltweit günstiger, schneller und gerechter machen. Nicht nur das: Afrigen will die beiden derzeit zugelassenen mRNA-Präparate von Moderna und Biontech/Pfizer verbessern. Ziel ist ein gefriergetrockneter Impfstoff, der keine Kühllagerung erfordert.
Anders als traditionellen Pharma-Unternehmen gehe es Afrigen nicht um Profite. Der neue Impfstoff werde nicht patentiert werden, sondern eine Art Open-Source-Technologie sein, erklärt Afrigens Geschäftsführerin Petro Terblanche. Die WHO werde kostenfreie Lizenzen an Entwicklungs- und Schwellenländer vergeben und damit ermöglichen, dass Produktionskapazitäten überall auf der Welt aufgebaut werden.
Ein breiter und schneller Technologietransfer habe dabei "absolute Priorität", so Terblanche. Etwa 40 Länder in Afrika, Lateinamerika, Asien und dem Mittleren Osten haben nach Angaben der WHO bereits Interesse bekundet. "Es ist eine Intervention. Wir werden die globale Gesundheitslandschaft ändern", verspricht Terblanche. Allerdings gibt es Hürden.
Zwar hat Moderna im Juli eine Verzichtserklärung für das geistige Eigentum an ihrem mRNA-Präparat abgegeben. Diese gilt jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum. "Weder von Moderna noch von Biontech/Pfizer haben wir einen Technologietransfer bekommen", sagt Terblanche. Somit arbeiten Afrigens Forschende mit der öffentlich zugänglichen genetischen Sequenz für den Impfstoff und mit Hilfe von wissenschaftlichen Beratern an der Entwicklung einer ersten vollständigen Laborprobe, die das Präparat von Moderna nachahmt. "Aufgrund der Verzichtserklärung können wir den Impfstoff legal bis zu klinischen Studien bringen, ohne geistiges Eigentum zu verletzen", erklärt Terblanche.
Schon im Januar 2022 sollen erste Studien an Tieren beginnen. Für November sei Phase I der klinischen Studie geplant. Anfang 2024 soll die Mittel marktreif sein. Die WHO hat für das ehrgeizige Projekt ein Budget von 92 Millionen Euro bereitgestellt. "Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass es nicht ausreicht und gefährlich ist, sich bei der Versorgung der Welt mit globalen öffentlichen Gütern auf ein paar wenige Firmen zu verlassen", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus im Juni über das Projekt.
Seit Monaten warnt er vor moralischem Versagen, weil reiche Länder eigene Verträge mit Pharmafirmen machten und sich Unmengen Impfstoff gesichert hätten. Während in reichen Ländern schon Auffrischimpfungen gemacht würden, warteten Dutzende arme Länder immer noch auf Impfdosen. Länder hätten auf seine Appelle hin zwar Impfdosen gespendet, aber bei weitem nicht genug, so Ghebreyesus.
Bislang vergeblich setzen sich die WHO und mehr als 100 Länder in der Welthandelsorganisation (WTO) dafür ein, dass der Patentschutz für Covid-19-Produkte aufgehoben wird. Die Pharmaindustrie, die Europäische Union und andere Länder wollen das nicht. Ohne Patentschutz seien Pharmafirmen nicht zu den hohen Investitionen bereit, die Innovationen hervorbrächten, argumentieren sie. Mit patentgeschützten Impfstoffen und Medikamenten nehmen Pharmafirmen Milliardenbeträge ein.
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) erinnert daran, dass in die Entwicklung der Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer Milliarden Steuergelder geflossen sind. Sie rief beide Firmen erneut auf, ihre Technologie zur Verfügung zu stellen. "Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen (...) dürfen nicht von der Wohltätigkeit und Spenden reicher Länder und der Pharmaindustrie abhängig sein", verlangte Candice Sehoma von MSF Südafrika. "Dafür stehen zu viele Menschenleben auf dem Spiel." Während Deutschland 69,3 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft hat, haben auf dem afrikanischen Kontinent mit seinen 1,2 Milliarden Menschen bislang nur 7,35 Prozent eine vollständige Impfung erhalten.
Moderna verfolgt derweil eigene Pläne. Das Pharmaunternehmen will bis zu 500 Millionen US-Dollar (442 Millionen Euro) in den Bau einer Impfstofffabrik in Afrika investieren, um jährlich bis zu 500 Millionen Dosen mRNA-Impfstoffe herzustellen. Mögliche Standorte sind Senegal, Ruanda und Südafrika. Auch Biontech/Pfizer will in wenigen Wochen mit der Produktion seines Corona-Impfstoffs in Südafrika beginnen.
Während die WHO internationalen Druck aufbaut, schreitet Afrigen auch ohne die Hilfe der beiden großen Hersteller voran. "Wir hoffen, dass die regulatorischen Probleme gelöst sind, wenn unser Impfstoff in gut zwei Jahren marktreif ist", sagt Terblanche.
Denn das Konsortium um Afrigen hat Großes vor. Die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes sei erst der Anfang. Zukünftig sollen weitere mRNA-Impfstoffe entwickelt werden, gegen HIV, Tuberkulose und Malaria - ebenfalls mit kostenfreien Lizenzen. Es sei das Ziel der Afrikanischen Union, bis 2040 rund 60 Prozent der auf dem Kontinent benötigten Impfstoffe selbst zu produzieren, erklärte der leitende wissenschaftliche Berater der Africa CDC, Nicaise Ndembi. «Wir beginnen, afrikanische Lösungen für globale Probleme zu schaffen».