Denken Sie bei Ihren adipösen Diabetes-Patienten mit unkontrollierter Glykämie trotz optimaler Medikation an die Möglichkeit eines operativen Eingriffs? Kürzlich wurde eine Stellungnahme internationaler Diabetes-Organisationen im Fachjournal Diabetes Care publiziert, die genau das empfiehlt. Aufgrund der gewachsenen Evidenz halten die Autoren die Aufnahme der metabolischen Chirurgie in den Behandlungsalgorithmus bei Typ-2-Diabetes für angebracht.
Auch die interdisziplinäre S3-Leitlinie zur “Prävention und Therapie der Adipositas” verleiht in aktueller Fassung den bariatrisch-chirurgischen Maßnahmen einen höheren Stellenwert. An der der gesundheitspolitischen Relevanz der Adipositastherapie hapert es allerdings. Erst im vergangenen Jahr ist das Zustandekommen eines Disease Management Programms (DMP) für Fettleibige im G-BA gescheitert. So bleibt es vorerst dabei, dass Betroffene geeignete Therapieangebote oft nur mühsam finden und bei der Nachsorge weitgehend auf sich selbst gestellt sind. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten nur auf Kulanzbasis und “nach Kassenlage”. Die Etablierung einer ganzheitlichen und stabilen Versorgung wird dadurch erschwert.
“Dabei rechnet sich die Operation für die Krankenkassen. Aber erst nach drei Jahren”, sagt Dr. Sylvia Weiner vom Adipositaszentrum am Frankfurter Krankenhaus Nordwest. Dass die Fettleibigkeit in Deutschland formal nicht als Krankheit anerkannt ist, kann sie nicht verstehen. „Die Adipositas ist sie eine komplexe chronische Krankheit, die potenziell tödlich endet!“ Bei der 10. Herbsttagung der DGG warb die Chirurgin mit Nachdruck um ein besseres Verständnis für diese chronische Stoffwechselerkrankung – und für die operativen Möglichkeiten, ihr entgegenzuwirken. Diese werden in Deutschland bisher offenbar nur unzureichend genutzt.
Etwa 2 Millionen Menschen weisen hierzulande einen BMI über 35 kg/m2 auf, also eine Adipositas Grad II oder III. Das sind immerhin 2,8 % der Bevölkerung. Nur ein Bruchteil von ihnen wird einer Operation zugeführt. Über 9.000 Fälle sind es mittlerweile pro Jahr. Wird hier dennoch übertrieben viel operiert, wie mancher Kostenträger mutmaßt? Dieser Einschätzung widerspricht ein Blick auf die europäischen Zahlen: Die Bundesrepublik liegt hier weit unter dem Durchschnitt. Der betrug im Jahr 2013 21,3 Operationen pro 100.000 Einwohner. In Deutschland waren es nur 8,8, in Schweden als Spitzenreiter dagegen 77,9.
Eigentlich geht es beim Vergleich der Adipositastherapien “konservativ vs. chirurgisch” – so der DDG-Symposiumstitel – gar nicht so sehr um ein Gegeneinander. Vielmehr kommt die Chirurgie normalerweise erst dann in Betracht, wenn konservative Maßnahmen wie Lebensstil-Interventionen und Medikamente keinen Erfolg zeitigen. Da sich der Diabetes mellitus Typ 2 häufig als Komorbidität zur Adipositas gesellt, sollte auch der Diabetologe die bariatrische Option im Blickfeld haben und seine Patienten umfänglich beraten. “Erwägen Sie bei adipösen Diabetikern vor dem Start einer Insulin-Therapie, ob eine Operation in Frage kommt und beraten Sie Ihre Patienten dazu!”, lautet die Botschaft von Weiner. Denn die Insulingabe kann mit der Operation für etliche Jahre hinausgezögert werden.
Zahlreiche Studien bezeugen mittlerweile, wie gut sich mit der metabolischen Chirurgie eine glykämische Kontrolle erzielen und kardiovaskuläre Risikofaktoren mindern lassen. Angesichts der prominenten Rolle, die der hormonbildende Gastrointestinaltrakt im Stoffwechselgeschehen spielt, ist das durchaus nachvollziehbar. Von einem Tag auf den anderen brauchen vorher insulinpflichtige Patienten dann plötzlich ihre Medikamente nicht mehr, wie Weiner berichtet.
Der Weg zur Operation beginnt mit Erstgesprächen und Veranstaltungen zur Patienteninformation. Es folgen Ernährunsberatung und Gutachtenerstellung für den Antrag bei der Krankenkasse. Die Korrespondenz mit den Zuweisern und mitbehandelnden Kollegen ist häufig von starker Skepsis bei den Niedergelassenen geprägt. “Aus Unwissenheit”, so Weiner. Die Endstrecke besteht aus Aufklärung, Vorbereitung, erweiterter Diagnostik, dreiwöchigem Leberfasten und präöoperativem Check-up. Somit vergehen zwischen der Erstvorstellung beim Chirurgen und der OP im Schnitt 16 Monate.
Es gibt verschiedene restriktive und malabsorptive OP-Verfahren zur Gewichtsreduktion. Die weltweit am häufigsten durchgeführte Operation ist der Magenbypass (Roux-en-Y Gastric Bypass, RYGB). Der mögliche Verlust an exzessivem Körpergewicht (EWL) ist hierbei maximal und beträgt 70-80 %. Der Patient befindet sich in Beach-Chair-Position, der Zugang erfolgt laparoskopisch über mehrere Kanäle, wie Weiner ausführte. Das Risiko des Eingriffs verglich sie mit dem bei einer Gallenblasen-OP.
“Hinterher ist alles besser”, so die Chirurgin. “Die Operierten können ein ganz normales Leben führen.” Auch mit der Fertilität sieht es gut aus. Die Leitlinie führt zu den Ergebnissen aus, dass es bei der Mehrheit der Patienten zur Normalisierung von Hyperglykämie, Dyslipidämie, Blutdruck, Schlafapnoe, Lebensqualität und Lebenszeit dank einer deutlich gesenkten Mortalität kommt. 75 % der Diabetiker erreichen ein Stadium der Heilung auf Zeit. Eine dauerhafte Heilung ist allerdings auch mit der metabolischen Chirurgie nicht möglich. Schließlich handelt es sich nicht um eine kausale Behandlung.
Nachteilig am Magenbypass ist, dass es sich um einen irreversiblen Eingriff handelt, der eine lebenslange Substitution mit Vitaminen und Spurenelementen erfordert.
Dieses Manko weist das reversible EndoBarrier®-Verfahren nicht auf, das Dr. Katharina Laubner vom Universitätsklinikum Freiburg vorstellte. Das Wirkprinzip ähnelt zwar dem Magenbypass. Statt einer Operation erfolgt aber die Implantation eines 60cm langen flexiblen Schlauchs. Dieser besteht aus impermeablem Fluoropolymer, sprich Teflon. Der Schlauch wird mithilfe eines Stents im Bulbus duodeni distal des Pylorus fixiert. Er verhindert den Kontakt zwischen Nahrung und Darmwand im Duodenum bzw. proximalen Jejunum. Die Implantation und die Explantation nach 9-12 Monaten erfordern lediglich einen endoskopischen Kurzeingriff.
Die Indikationsstellung erfolgt ähnlich wie bei der Adipositas-Chirurgie, ab einem BMI > 30 kg/m2. In Frage kommt das Verfahren etwa bei Typ-2-Diabetikern, deren individuelles HbA1c-Ziel unter zweifacher antidiabetischer Medikation oder hohen Insulindosen nicht erreicht wird. Der EndoBarrier® bietet sich auch als Therapieoption für morbid adipöse Patienten (BMI 45 bis > 60 kg/m2) an, bei denen die bariatrische Operation nicht durchgeführt werden kann, oder zur präoperativen Gewichtsreduktion (“Bridging”). Voraussetzung ist eine hohe Compliance und Motivation der Patienten.
Mit knapp 70 Patienten ist die Zahl der Behandelten noch recht überschaubar, wenngleich Freiburg damit deutschlandweit an der Spitze liegt. Ein zusammen mit den Hamburger Kollegen eingerichtetes Register kommt mittlerweile auf gut 300 Fälle. “Die Evidenz ist relativ mau”, räumt Laubner ein.
Es konnte eine Gewichtsreduktion (EWL) von 35 % erreicht werden. Als positive Effekte auf metabolische Parameter wurden nachgewiesen: signifikanter Gewichtsverlust, Verbesserung des Typ-2-Diabetes, Reduktion der antihyperglykämischen Therapie und Verbesserung der kardiovaskulären Risikofaktoren. Wie nachhaltig die erzielten Wirkungen sind, bleibt allerdings vorerst noch fraglich. Ein Drittel der bisherigen Freiburger Patienten nutzte das Verfahren als Bridging-Methode, um sich später operieren zu lassen. Ein größerer Teil der Patienten hat nach Entfernung des Schlauchs wieder zugenommen. Was nur nochmal verdeutlicht: Die Adipositas erfordert als chronische Stoffwechselerkrankung nicht nur eine hohe Compliance der Patienten, sondern auch eine ganzheitliche Betreuung durch die Versorgergemeinschaft.
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Quelle:
DDG-Symposium: Adipositastherapie 2016: konservativ vs. chirurgisch. 10. Diabetes Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Nürnberg, 11. November 2016.