Das Interview fand im Rahmen des Expertengesprächs “Ablation, Kardioversion, PCI unter therapeutischer Antikoagulation: Ja oder Nein?” (Donnerstag, 31. März 2016) statt.
Organisiert von Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG
In den letzten Wochen und Monaten ist sehr viel, auch in der Literatur, zum Thema “peri-interventionelles Antikoagulationsmanagement” gesprochen worden. Und nicht zuletzt deshalb, weil die Vorhofflimmerablation für sich genommen, mit einem relativ hohen Risiko für thromboembolische Ereignisse assoziiert ist, und das in der Regel mittelbar nach der Ablation.
esanum: Wie handhaben Sie das “Bridging” in Ihrer Klinik, also die Zeit, wo Antikoagulantien vor einer Intervention abgesetzt und danach wieder eingesetzt werden?
Professor Dr. med. Dietrich Andresen – Universitätsmedizin Berlin
Andresen: Es gibt grundsätzlich drei Wege, wie bei einem Patienten verfahren wird, der unter einer Antikoagulations-Therapie mit Marcumar oder Falithrom steht und der einen interventionellen Eingriff oder eine Operation erhalten soll:
1. Das bisher übliche Verfahren. Die Marcumar-Therapie wird einige Tage bis eine Woche vor dem operativen Eingriff gestoppt, der Patient wird in dieser Zeit überbrückend mit subkutaner Heparingabe behandelt.
Nach dem Eingriff wird überlappend wieder Marcumar gegeben und die Heparinmedikation gestoppt, sobald der INR-Wert wieder zwischen 2 und 3 liegt.
Diese Vorgehensweise ist das immer noch am häufigsten angewendete Verfahren. Es sollte jedoch bei kleineren Eingriffen verlassen werden, da in mehreren Studien gezeigt wurde, dass es darunter am häufigsten sowohl zu thromboembolischen Ereignissen als auch zu Blutungen kommt.
2. Die Marcumar Therapie wird ungeachtet des operativen Eingriffes fortgesetzt. Dies ist eine Vorgehensweise, die in jüngerer Zeit sowohl bei Patienten, die einen Herzschrittmacher erhalten als auch bei denen, die abladiert werden bzw. eine interventionelle Therapie Ihrer Koronararterien erhalten.
3. Die Marcumar Therapie wird einige Tage vor dem Eingriff gestoppt, ohne dass mit Heparin “gebridged” wird.
Bei kleineren Operationen oder Interventionen (z.B. Herzkatheteruntersuchung, Schrittmacherimplantation, Pulmonalvenenisolation) ist dies sicherlich möglich, da das Risiko eines thromboembolischen Ereignisses bei der kurzen Dauer der Antikoagulatienpause doch gering ist.
Dieses Vorgehen ist für Patienten, die die neuen gerinnungshemmenden Substanzen (NOAK) erhalten, besonders attraktiv. Kann sich doch durch die kürzere Halbwertszeit der NOAKs die antikoagulatorische Lücke auf ein bis zwei Tage beschränken.
Ich persönlich halte ein “Bridging” für entbehrlich. In den meisten Fällen wählen wir eine kurze Unterbrechung der NOAK- Medikation.
esanum: NOAKs – Ja oder Nein bei Ablation, Kardioversion, PCI (Pericutane Intervention)?
Andresen: Die Bridging-Frage stellt sich bei NOAK-Patienten nicht mehr. Die Patienten erhalten ihre letzte Tablette am Morgen des Vortages.
Fortgesetzt wird die Therapie dann am Abend des operativen Eingriffes oder am folgenden Morgen.
esanum: Das Antidot Idarucizumab – Gegenmittel zum NOAK Dabigatran – wie wenden Sie dieses in Ihrer Klinik an?
Andresen: Grundsätzlich sind thromboembolische oder auch Blutungskomplikationen sehr selten. Insbesondere treten unter den NOAKs Hirnblutungen sehr viel seltener auf als unter Marcumar/Falithrom.
Ich habe eine solche schweren Nebenwirkung zum Glück noch nicht erlebt. Es ist aber gut zu wissen, dass es aktuell für Dabigadran ein Gegenmittel gibt, mit dem die gerinnungshemmende Therapie innerhalb weniger Minuten komplett aufgehoben werden kann.
Das Antidot Idarucizumab gehört deshalb in jede Rettungsstelle/Notaufnahme und auf den Notarztwagen.
esanum: Ablation – therapeutische Antikoagulation Ja oder Nein?
Andresen: Während der Ablation wird das Blut durch Heparin verdünnt, das ist ein Muss! Hier sind die ESC-Leitlinien zu beachten. NOAKs werden vorher abgesetzt (s.o.).
Heparin wird ausschließlich während des Eingriffs gegeben. Die Dosierung erfolgt nach einem strengen Protokoll.
esanum: Kardioversion (Wiederherstellung des normalen Herzrhythmus) – Antikoagulantien ja oder nein während des Eingriffs?
Andresen: In einer randomisierten Studie wurden Patienten elektrisch kardiovertiert nachdem sie entweder vier Wochen mit Marcumar behandelt wurden oder unmittelbar vor vor der Kardioversion eine transösophagealer Echokardiographie (TEE) erhielten, ohne vorher mit Marcumar behandelt worden zu sein. Das Ergebnis beider Strategien war vergleichbar.
In unserem klinischen Alltag hat sich die transösophageale Echokardiographie vor der Kardioversion durchgesetzt, da immer wieder auch bei scheinbar gut mit Marcumar eingestellten Patienten ein Thrombus im linken Vorhof gesehen wird.
Die Weiterführung einer Antikoagulation über die folgenden vier Wochen wird in den Leitlinien empfohlen.
Auch diese Therapie dürfte mit den NOAKs risikoärmer durch zu führen sein: ein noch nicht antikoagulierter Patient, der zu uns in die Rettungsstelle mit Vorhofflimmern kommt, wird nach Ausschluss eines Thrombus im TEE elektrisch kardiovertiert und erhält danach eine Antikoagulation mit einem NOAK, dessen Wirksamkeit ähnlich wie Heparin sehr früh beginnt.
ikoagulation Ja oder Nein?
Andresen: Die Antwort lautet “Ja!”. Das Blutungsrisiko ist vor allem, wenn man den Zugang über die Arteria radialis wählt, sehr gering.
Eine stärkere subkutane Blutung, wie sie in der Leistenbeuge – insbesondere korpulenterer Patienten – unbeobachtet auftreten kann, ist bei einem Zugang über die Arteria radialis praktisch nicht möglich.
Wir versorgen 95 % aller unserer Herzkatheterpatienten mit einem Zugang über die Armarterie. Eine Blutungskomplikationen ist dadurch zu einer Rarität geworden.
esanum: Ausblick auf die Zukunft – was für eine Entwicklung sehen Sie auf Ihrem Gebiet?
Andresen: Ich sehe ein ausbaufähiges Potenzial in der Telemedizin. Wir werden in Zukunft mit großer Genauigkeit zahlreiche biologische Parameter über zuvor implantierte Sensoren erfassen können, die uns rechtzeitig und “naturgetreu” Patientendaten liefern und damit ein klares Bild für eine Diagnose bieten sowie eine eindeutige Basis für eine Therapie darstellen.
Es ist zu hoffen, dass parallel die Datensicherheit sowie eine störungsfreie Übertragung der Daten gewährleistet werden kann.
Darauf aufbauend ließen sich auch Therapien telemetrisch etablieren (“Teletherapie”). Warum sollte man nicht eines Tages ferngesteuert Fehlfunktionen eines Herzschrittmachers telemedizinisch erfassen und teletherapeutisch korrigieren?
Er wiegt lediglich 3 g und wird in die Haut injiziert. Er zeichnet kontinuierlich ein EKG auf und löst beim Arzt Alarm aus bei Irregularitäten.
Eine wünschenswerte Weiterentwicklung wäre, dass die Geräte eine so sichere 100%-ige Sensitivität und Spezifität erhielten bei der Entdeckung von pathologischen Befunden wie Vorhofflimmern, dass der Kardiologe auch als Teletherapeut tätig werden kann, was nach der heutigen Gesetzeslage verboten ist (Datenschutz).
Zum Beispiel auch bei der Herzinsuffizienz, hier gibt es neuerdings die Möglichkeit, den Blutdruck in der Lungenarterie zu messen.
Ein Piepton zeigt den Anstieg von Wasser im Herz oder der Lunge an. Das ist das Signal, um Lasix zu geben und der Patient muss nicht mehr ins Krankenhaus.
Ich wünsche mir eine Entwicklung, die das Leben der Patienten verlängert.
Weitere Informationen unter:
//leitlinien.dgk.org/files/2012_Pocket-Leitlinien_Vorhofflimmern.pdf
//leitlinien.dgk.org/2008/perkutane-koronarintervention-pci/