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Künstliche Intelligenz erobert die Gesundheitsversorgung

Das Jahr 2031: Die Gesundheitsvorsorge ist geprägt von digitalen Interventionen und künstlicher Intelligenz. Wie viel Fiktion steckt wirklich dahinter?

Eine Reise in die Zukunft der Pflegeversorgung

Übersetzt aus dem Französischen

2021 ist gerade erst vorbei und 2022 sieht nicht gerade rosig aus. Da können wir uns auch gleich ins Jahr 2031 begeben, in dem Delta und Omikron hoffentlich nur noch diejenigen heimsuchen, die in der Schule Alt-Griechisch büffeln.

Das Jahr 2031 also. In den letzten zehn Jahren wurden in der Medizin und in der Informatik schwindelerregende Fortschritte erzielt. Künstliche Intelligenz (KI) wird routinemäßig in Krankenhäusern eingesetzt, mit dem Segen der Generation Z (was nichts mit einem kurzlebigen politisch-medialen Phänomen der Jahre 2021/2022 zu tun hat). Diese Menschen, die jetzt auf den Arbeitsmarkt drängen, wurden zwischen 1997 und 2010 geboren und sind in einer digitalen Umgebung aufgewachsen. Sie haben keine Angst vor Algorithmen, ganz im Gegenteil.

Achtung, Fiktion!

Auch die Fortschritte in der Genetik waren rasant. Es ist nun möglich, sein gesamtes Genom sequenzieren zu lassen, indem man eine einfache Probe in einem medizinischen Laboratorium entnimmt. Die Sozialversicherung übernimmt die Kosten von 40€. Dank dieser Fortschritte konnte eine neue Krankheit identifiziert werden, die als "hyperalgische Sehnenglykoproteinose" (HSG) bezeichnet wird.

Noch vor zehn Jahren wurden viele Menschen mit chronischen Muskel- und Gelenkschmerzen als "Fibromyalgiker" diagnostiziert. Seitdem hat eine leistungsfähige KI die genetische Analyse einer Kohorte von 302.000 Patienten ermöglicht und ein Cluster von 236.000 Individuen aufgedeckt. Ein Team von Forscherinnen entdeckte eine Mutation im GPTO-Gen, das für das defizitäre Glykoprotein GP235 verantwortlich ist und Schmerzen im Erwachsenenalter verursacht.

Catherine ist 35 Jahre alt und leitet ein Kommunikationsunternehmen in der Region Bresse. Sie ist ledig und kinderlos. Seit einigen Monaten leidet sie unter Gelenk- und Muskelschmerzen, die sie bei den täglichen Dingen des Lebens beeinträchtigen. Wie viele Patienten im Jahr 2031 führt sie eine Vordiagnose online über die App "Symptom-Check" durch, die ihre Symptome und ihre Vorgeschichte erfasst.2,3

Ein Algorithmus schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass sie an HSG leidet, auf 87%, was weit vor der Hypothese einer rheumatoiden Arthritis oder eines Morbus Bechterew liegt. Noch bevor sie einen Arzt aufsucht, der die Diagnose verfeinert, sammelt die Patientin Daten über vernetzte Geräte, um die Entwicklung ihrer Symptome zu bewerten ("Symptom Tracking").

Wearables, Chatbots und Co.

In diesem Fall handelt es sich bei den vernetzten Geräten vor allem um "Wearables", also Kleidungsstücke, die mit Sensoren ausgestattet sind, die den Rückgang der Muskelkraft und des Gelenkumfangs messen. Eine Armbanduhr zeigt an, wenn der Patient aufgrund von Schmerzen oder Ängsten Herzrasen hat. Eine Brille zeichnet die Schlaf-Wach-Phasen von Catherine während des Tages auf, um ihre Müdigkeit zu messen.4,5

Nachdem Catherine diese Daten gesammelt hat, sucht sie auf einer Online-Plattform nach dem besten Spezialisten für HSG. Aufgrund der demografischen Entwicklung im Jahr 2031 muss Catherine für ein persönliches Gespräch mit einem HSG-Spezialisten über 500 Kilometer weit nach Paris reisen. Catherine entscheidet sich für eine Videosprechstunde und lädt die von ihr gesammelten Daten sowie ihre Laborergebnisse und bildgebenden Verfahren auf die Plattform hoch.

Noch vor der Videosprechstunde analysiert und interpretiert der Algorithmus der Plattform die Röntgenbilder.6 Der Arzt sieht sich alle in der elektronischen Patientenakte gespeicherten Daten an, bestätigt den starken Verdacht auf HSG und ordnet biologische und genetische Untersuchungen an.

Catherine bestellt online einen kompletten Bluttest: Sie gibt einige Tropfen Blut auf ein Löschpapier und schickt es per Post an das Online-Analyselabor.7,8 Die Ergebnisse liegen am nächsten Tag vor. Und sie sind eindeutig: Die genetische Analyse bestätigt das Vorliegen einer genetischen Variante p.m643v im GPTO-Gen. Die Diagnose HSG wird offiziell gestellt.

Für Catherine, die sportlich und beruflich sehr aktiv ist, ist das ein Schock. Sie meldet sich in einem der vielen sozialen Netzwerke an, die auf Gesundheitsthemen spezialisiert sind und sich mit dieser Krankheit beschäftigen. Sobald sie über ihre Gefühle und Fragen spricht, analysiert eine KI ihr Vokabular und die Häufigkeit ihrer Interaktionen, um die Intensität ihrer Stimmungstiefs zu bewerten. Je nach Schweregrad schlägt der Algorithmus ihr vor, sich mit Fachleuten in Verbindung zu setzen oder Entspannungs-Apps zu nutzen.

Auf der mit diesem Netzwerk verbundenen Plattform teilt Catherine auch bestimmte Gesundheitsdaten (gesammelte Daten, medizinische Dokumente, Vital- und Bioparameter, Röntgenbilder usw.). Für das multinationale Unternehmen, dem dieses soziale Netzwerk gehört, ist dies ein Glücksfall – es sammelt auf diese Weise Big Data, die von Tausenden von Patienten mit der gleichen Krankheit kostenlos und anonym zur Verfügung gestellt werden. Diese Daten werden zu Forschungszwecken weiterverkauft9 und füttern KIs, die auf die Diagnose von HSG spezialisiert sind. Der Kreis schließt sich.

Catherine tauscht sich in diesem Netzwerk nicht nur mit Menschen aus. Chatbots geben ihr auf der Grundlage ihres Profils einige Hygiene- und Ernährungstipps und ermutigen sie später, einen neuen Lebensstil einzuführen.10,11

Therapeutische Bildung, Drohnen und persönliche Betreuung

Eine KI bewertet, wie gut Catherine ihre Krankheit versteht. Die Funktionsweise ihres Gedächtnisses wird analysiert, um die günstigsten Tageszeiten zu ermitteln, zu denen ihr neues Wissen vermittelt werden kann. Dieses "adaptive learning" schlägt ihr einen optimalen Lernweg vor. Catherine wird auch in Echtzeit über den Fortschritt der HSG-Forschung und über klinische Studien, an denen sie teilnehmen könnte, informiert. Diese Versuche berücksichtigen mittlerweile rund 40 Parameter (im Jahr 2021 waren es nur einige wenige).

Mit dem Aufkommen der P4-Medizin - einer maßgeschneiderten Präzisionsmedizin - rückt die personalisierte Therapieentscheidung in den Vordergrund.12 Um Catherines Krankheitsverlauf zu verfolgen, erkennen Apps über Fragebögen oder vernetzte Geräte die Anzeichen eines frühen Rückfalls. Der Arzt wird in Echtzeit benachrichtigt und passt die Behandlung an.13

Im Jahr 2021 hätte Catherine in die Apotheke gehen müssen. Das klingt wie aus einer längst vergangenen Zeit. Die Vorschriften für die Abgabe von Medikamenten sind in Europa deutlich gelockert worden, der technologische Fortschritt hat den Rest erledigt. Bei ihrer Bestellung auf Amazonia® scannt Catherine den QR-Code auf ihrem Rezept. Ihre Biotherapeutika werden 45 Minuten später per Drohne in ihren Garten geliefert. Wenn sie ihr Smartphone in die Nähe des Pakets bringt, öffnet der NFC-Chip in der intelligenten Verpackung ("smart packaging") eine App, die sie direkt anspricht:


"Hallo Catherine, sag mal, heute ist es ganz schön frostig! Da es das erste Mal ist, dass du diese Art von Behandlung anwendest: Möchtest du, dass ich dir zeige, wie man eine subkutane Injektion vornimmt?"


Wenn es sich um eine orale Behandlung handelt, erinnert eine andere App Catherine an die Einnahmezeiten.14 Die Einhaltung der Vorschriften hat sich übrigens erheblich verbessert, seit es "vernetzte Kapseln" gibt: Sie werden von einem Pflaster oder einem Smartphone erkannt und geben die Medikamente nur zur eingestellten Zeit oder unterhalb des Magens ab, um die Verteilung zu optimieren.15

Als Ergänzung zur medikamentösen Behandlung greift Catherine auf digitale Therapien zurück. Sie nimmt täglich an einem schmerzlindernden Virtual-Reality-Programm teil, das eine Mischung aus Hypnose und Sophrologie ist.16 Ein Atemverstärker hilft ihr, ihren Atem zu kalibrieren, um eine entspannende Wirkung zu erzielen.17

Utopie oder Dystopie?

In dieser Fiktion – sofern es sich nicht nur um eine grobe Vorhersage handelt – erobert die KI allmählich den Behandlungsweg. Ist sie eine Verbündete des Arztes? Ist sie eine Konkurrentin? Ermöglicht sie den medizinischen Fachkräften, sich auf nicht delegierbare Aufgaben zu konzentrieren oder läuft sie Gefahr, sie zu ersetzen? Wird man im Jahr 2031 sagen können, dass es die KI war, die den Würgegriff um die liberale Medizin und das öffentliche Krankenhaus gelockert hat?

Dazu müsste Catherine allerdings akzeptieren, dass sie auf diese Weise von A bis Z betreut wird, ohne direkt auf einen Arzt zu treffen. "Unmöglich!", sind wir versucht zu denken. Aber wir sollten uns daran erinnern, dass ein Virus und einige Monate genügten, um die Fernmedizin zu etablieren.

2031: Die Technologie wird da sein, die Generation Z wird auf uns warten. Werden wir Ärzte darauf vorbereitet sein?

Kurzbiografie des Autors

Dr. Joris Galland ist Facharzt für Innere Medizin und ist derzeit im Krankenhaus in Bourg-en-Bresse, Frankreich tätig. Er beschäftigt sich leidenschaftlich mit neuen Technologien und schreibt auf esanum.fr über Technologien, Innovationen und Trends sowie deren Auswirkungen auf die Zukunft der Medizin und des Arztberufs. Als Grundlage für diesen Artikel diente die Sudie "Digital health, big data and smart technologies for the care of patients with systemic autoimmune diseases: Where do we stand?" von Prof. Laurent Arnaud der Universitätsklinik Straßburg.

Quellen

  • 1. Bergier H, Duron L, Sordet C, Kawka L, Schlencker A, Chasset F, et al.
    Digital health, big data and smart technologies for the care of patients with systemic autoimmune diseases: Where do we stand?
    Autoimmun Rev. 2021;20(8):102864.
  • 2. MyHealth.Alberta.ca – Symptoms checker: Learn About What Affects You
  • 3. medvir – L’accès aux soins augmentés
  • 4. Gossec L, Guyard F, Leroy D, Lafargue T, Seiler M, Jacquemin C, et al. Detection of Flares by Decrease in Physical Activity, Collected Using Wearable Activity Trackers in Rheumatoid Arthritis or Axial Spondyloarthritis: An Application of Machine Learning Analyses in Rheumatology. Arthritis Care Res. 2019;71(10):1336–43.
  • 5. Davergne T, Pallot A, Dechartres A, Fautrel B, Gossec L.
    Use of Wearable Activity Trackers to Improve Physical Activity Behavior in Patients With Rheumatic and Musculoskeletal Diseases: A Systematic Review and Meta-Analysis.
    Arthritis Care Res. 2019;71(6):758–67.
  • 6. Subramoniam et al.
    A non-invasive computer aided diagnosis of osteoarthritis from digitalx-ray images. Biomedical Research-tokyo 26 (2015): 0
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  • 8. Lehmann S, Delaby C, Vialaret J, Ducos J, Hirtz C. Current and future use of “dried blood spot” analyses in clinical chemistry. Clin Chem Lab Med. 2013;51(10):1897–909.
  • 9. patients like me
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  • 11. VentureBeat – Telemedicine and chatbots are using data to transform health care (2021)
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  • 13. Moovcare® – Il n'est jamais trop tôt pour détecter une rechute
  • 14. AiCure – Medication Adherence in Clinical Trials with Patient-Level AI
  • 15. AbilyfyMyCite – Stay on Top of Your Treatment
  • 16. HypnoVR – La thérapie digitale leader pour réduire la douleur et l’anxiété
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