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Joints for Joints? Medizinisches Cannabis bei Rheuma im Faktencheck

Am 1. April 2024 klickten in Deutschland die Feuerzeuge besonders oft: Das Cannabisgesetz trat in Kraft und der Eigenkonsum wurde (mit Einschränkungen) legalisiert. Weit weniger im Fokus stand die Einführung des Medizinal-Cannabisgesetztes, das unter anderem die Verschreibung von medizinischem Cannabis regelt. Erfahren Sie mehr.

Über die Notwendigkeit des Cannabis-Gesetzes (CanG) lässt sich herrlich streiten. Nach fast sechs Monaten der Cannabis-Teillegalisierung in Deutschland steht zumindest fest, dass es weder ein überzeugender Erfolg noch ein klarer Misserfolg zu sein scheint. Weniger mediale Aufmerksamkeit erhielten wichtige Gesetzesänderungen, die mit der Einführung des CanG einhergingen und die Verschreibung von Cannabis zu medizinischen Zwecken betrafen.1  

Dürfen Sie also Ihren Patient:innen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen Cannabis verordnen? Und wie sieht die Studienlage zu diesem Thema eigentlich aus?

Was fällt unter Cannabis für medizinische Zwecke?

Die Begriffsdefinition für Medizinalcannabis ist in Artikel 2 des CanG zusammengefasst. Unter Cannabis zu medizinischen Zwecken fallen demnach:1

  • Pflanzen, Blüten und sonstige Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen, die zu medizinischen Zwecken und unter staatlicher Kontrolle angebaut wurden.
  • Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC), einschließlich des Isomers Dronabinol und deren Zubereitungen.

Die Vergabe ist in Form von:2

  • getrockneten Blüten,
  • Dronabinol-Kapseln
  • oder Fertigarzneimitteln wie Nabilon (Canemes®) bzw. Cannabisextrakt (Sativex®) möglich.

Ein schneller Blick in den Gesetzesdschungel

Seit 2017 regelt das Gesetz „Cannabis als Medizin“ den Einsatz von Cannabisarzneimitteln als Therapiealternative bei Patient:innen mit schwerwiegenden Erkrankungen.3 Damals noch im Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes, regelt nun Artikel 2 des CanG die Versorgung mit Cannabis für medizinische und medizinisch-wissenschaftliche Zwecke (Medizinal-Cannabisgesetz, MedCanG).4 

Laut des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) bleiben die bereits bestehenden Regelungen zu Medizinalcannabis im Wesentlichen bestehen. Cannabis darf weiter nach den geltenden sozialrechtlichen Voraussetzungen als Arzneimittel verschrieben werden. Eine wichtige Änderung gibt es dennoch: Die Verschreibung auf einem besonderen Betäubungsmittelrezept ist nicht mehr notwendig. Medizinalcannabis wird – mit wenigen Ausnahmen für vollsynthetische Cannabinoide – wie ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel behandelt, das kein Betäubungsmittel ist.5

Cannabis bei Rheuma: Was sagt das BMG?

Das BMG bleibt bei der Frage, welche Erkrankungen für die Cannabis-Anwendung geeignet wären, sehr vage. So sollen sich Ärztinnen und Ärzte in Eigenverantwortung über den wissenschaftlichen Sachstand informieren und entscheiden.5 Für eine Übersicht zur Anwendung von Cannabisprodukten verweist das BMG auf ein systematisches Review von Whiting et al., welches bereits 2015 veröffentlicht wurde und nur eine Studie zum Thema „Cannabis bei Rheuma“ mitaufnahm.5, 6

Aktuell wenig Neues in der klinischen Forschung

Aktuellere Reviews wie die von Nowell et al. aus dem Jahr 2022, die sich mit der Studienlage zur Anwendung von Cannabis in der Schmerzreduktion bei rheumatischen Erkrankungen befassten, kamen zu folgendem Fazit:7

Präklinische Labordaten: 

Es liegen überzeugende Daten vor, die belegen, dass Cannabinoide in Tiermodellen Schmerzen lindern und Inflammationen reduzieren können. Vermittelt wird der Effekt über das Endocannabinoid-System mit den Rezeptoren Cannabinoid 1, Cannabinoid 2 und den Capsaicin-Rezeptoren. Sie werden auf Immun- und Nervenzellen exprimiert und sind an der Regulation von nozizeptiven und neuropathischen Schmerzimpulsen sowie der Modulation von Immunreaktionen beteiligt.7

Klinische Daten: 

Je nach rheumatisch-entzündlicher Erkrankungen liegen keine bis wenige randomisierte klinische Studien (RCTs) vor. So gibt es laut den Autor:innen lediglich eine RCT, welche die Schmerzbehandlung von Patient:innen mit rheumatoider Arthritis (RA) durch ein cannabis-basiertes Medikament (CBM) untersuchte.7

In der Studie erhielten 58 Teilnehmende 14 Tage lang eine Behandlung mit einem CBM (n = 31) oder wurden in die Placebo-Gruppe (n = 27) randomisiert.8 Im Vergleich zum Kontrollarm zeigte sich bei der CBM-Gruppe eine statistisch signifikante Verbesserung des Bewegungs- und Ruheschmerz, der Funktionalität der Gelenke und der Schlafqualität. Die unerwünschten Ereignisse (UE) waren mild, sodass keiner der Teilnehmenden die Studie aufgrund der UE verließ.7

Patientenumfragen:

Die Anzahl an beobachtenden, retrospektiven Umfragestudien steige mit zunehmender Legalisierung von Cannabis, so die Autor:innen. Bei Betroffenen mit RA zeigten die Umfragen, dass großes Interesse zum Thema „medizinische Behandlung mit Cannabis“ vorherrsche. Die Mehrheit der Betroffenen, die Medizinalcannabis bereits nutzten, bestätigen die Wirksamkeit und sprachen teilweise von einer reduzierten Einnahme anderer Schmerzmittel.7 

Fazit

Es bleibt offen, ob eine Behandlung mit medizinischem Cannabis eine Hilfe für Rheuma-Patient:innen darstellen kann. Das BMG bleibt in dieser Frage (bewusst) vage.5 Trotz überzeugender Daten aus der Grundlagenforschung und positiven Patientenberichten mangelt es an aussagekräftigen RCTs, die eine eindeutige Empfehlung rechtfertigen würden.6, 7 

Ein komplexes Thema führt zu vielen Fragen: Weitere Informationen finden Sie hier auf der Webseite des BMG mit Hinweisen speziell für Ärztinnen und Ärzte.

Quellen

  1. Bundesministerium für Justiz. Bundesgesetzblatt; unter: https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2024/109/regelungstext.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen am 31.07.2024).
  2. Württembergische. Gesundheit. Medizinisches Cannabis in 2024: Das bedeutet die Legalisierung für Patienten; unter: https://www.wuerttembergische.de/blog/medizinisches-cannabis-legalisierung-2024-patienten/ (abgerufen am 02.08.2024)
  3. Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Gesetz „Cannabis als Medizin“ in Kraft getreten; unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2017/maerz/cannabis-als-medizin-inkrafttreten#:~:text=Das%20Gesetz%20%22Cannabis%20als%20Medizin,ist%20die%20Verbesserung%20der%20Palliativversorgung  (abgerufen am 31.07.2024).
  4. Bundesministerium für Gesundheit. Fragen und Antworten zum Cannabisgesetz; unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/cannabis/faq-cannabisgesetz (abgerufen am 31.07.2024).
  5. Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Hinweise für Ärztinnen und Ärzte; unter: https://www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/_FAQ/Medizinisches-Cannabis/Hinweise_Aerzte/faq-liste.html?nn=471310 (abgerufen am 31.7.2024).
  6. Whiting PF, et al. JAMA. 2015;313(24):2456–2473
  7. Nowell WB, et al. Curr Rheumatol Rep. 2022;24(5):119–131.
  8. Blake DR, et al. Rheumatology (Oxford). 2006;45(1):50–52.

PP-AU-DE-2312