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Das Mikrobiom im Darm – wenn aus Freunden Feinde werden

Das Mikrobiom ist ein Immunmodulator und gilt als potenzieller Faktor bei der Entstehung von rheumatischen und muskuloskelettalen Erkrankungen (RMDs).<sup>1,2</sup> Erfahren Sie, wie sich die Mikroorganismen des Darms bei Betroffenen ver&auml;ndern und weshalb dieses Wissen therapeutisch genutzt werden k&ouml;nnte.

Der Begriff Mikrobiom wurde von Joshua Lederberg, seines Zeichens Nobelpreisträger für Medizin, als eine ökologische Gemeinschaft von Mikroorganismen definiert, die sich mit uns wortwörtlich denselben Körper teilen.2

Besonders zahl- und artenreich ist das Mikrobiom des Menschen im Darm – mit einer Biomasse von bis zu 2 kg.3 Dabei zeigen eine Reihe von Studien: Das Mikrobiom beeinflusst  physiogische Stoffwechselprozesse im menschlichen Körper und kann auch die Immunantwort modulieren.2

Könnten also Erkrankungen, die mit einer gestörten Immunantwort des Körpers assoziiert sind, einen Einfluss auf das Mikrobiom haben? Und wäre es möglich, dass ein gestörtes Mikrobiom an der Entstehung von rheumatischen und muskuloskelettalen Erkrankungen (RMDs) beteiligt ist?

Die Wissenschaft ist diesen Fragen nachgegangen und zu spannenden Ergebnissen gekommen.

Darminfektionen bei Psoriasis-Arthritis (PsA)

Eine Verbindung zwischen Arthritiden und Darminfektionen ist schon länger bekannt. Das zeigt sich am Beispiel der reaktiven Arthritis (ReA), die in manchen Fällen bei genetisch prädisponierten Patient:innen durch pathogene Darmbakterien ausgelöst werden kann.2 Auch bei PsA lassen eine Reihe von Studien auf eine Wechselwirkung zwischen Mikrobiom und Erkrankung schließen.2

Tatsächlich kommt eine subklinische Darminfektion bei über 50 % der PsA-Patient:innen vor. Vergleicht man das Mikrobiom im Darm von gesunden Menschen mit dem von Erkrankten mit PsA oder Psoriasis, fällt auf, dass es auch hier zu einer pathologischen Veränderung des Mikrobioms (Dysbiose) kommen kann.2

Bei Patient:innen mit Psoriasis sind Bakterien einer bestimmten Gattung seltener im Darm vertreten als bei Gesunden, während im Fall von PsA weitere Gattungen signifikant seltener vorkommen – ein Hinweis auf einen kontinuierlichen Verlust der Biodiversität des intestinalen Mikrobioms während des Krankheitsprozesses, bei dem die Psoriasis in eine PsA übergeht.2

Nach derzeitigem Stand der Forschung ist eine intestinale Dysbiose mit einem Mangel an mittelkettigen Fettsäuren im Darmlumen assoziiert, die zur natürlichen Barrierefunktion des Darmepithels beitragen.2

Eine Veränderung des Mikrobioms bei PsA scheint also tatsächlich stattzufinden. Interessanterweise wurden Dysbiosen auch bei anderen RMDs wie der rheumatoiden Arthritis (RA) nachgewiesen – mit einigen Unterschieden in der Biodiversität des Mikrobioms vor und nach Krankheitsbeginn.1

Dysbiose bei rheumatoider Arthritis (RA) – Ursache oder Folge der Erkrankung?

Es wird vermutet, dass mehrere Umweltfaktoren bei genetisch vorbelasteten Menschen eine arthritogene Aktivität des Immunsystems auslösen und so zu einer RA führen können ein schleichender Prozess, der möglicherweise außerhalb der Synovialis beginnt, bevor es zur chronischen Entzündung der Gelenke kommt.1

Laut der mukosalen Ursprungshypothese der RA ist das Mikrobiom im Darm an diesen initialen Prozessen beteiligt. Aber welcher Mechanismus wäre denkbar? Eine mögliche Ursache ist, dass  die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Darm bei Patienten:innen in der prä-arthritischen und frühen Phase der RA aus dem Gleichgewicht gerät.1

Hier zeigt sich die relative Häufung eines bestimmten Bakteriums – der Spezies Prevotella copri. In einer Studie konnte bei 32 % der rekrutierten Patient:innen mit neu diagnostizierter RA eine Antikörperreaktion auf dieses Bakterium bzw. auf eines seiner Peptide nachgewiesen werden. Interessanterweise findet sich dieses Ungleichgewicht zugunsten von Prevotella copri nicht in der späteren Phase der Erkrankung oder bei Patient:innen mit PsA.1

Bei Tierversuchen wurde zudem herausgefunden, dass sich bei der Transferierung des intestinalen Bakteriums Subdoligranulum in Mäusen RA-assoziierte Autoantikörper und eine Arthritis entwickelt. Dieses Bakterium konnte in einer aktuellen Studie im Stuhl bei Patienten mit einer frühen RA oder einem hohen Risiko für RA (anti-CCP3 positiv) erstmalig nachgewiesen werden.4

Verschiedene Studien zeigen also, dass das Mikrobiom des Darms eine Rolle bei der Entwicklung oder Progression von RMDs spielt. Lassen sich also RMDs durch die Wiederherstellung einer gesunden Darmflora behandeln?5

Den Darm wieder flott machen – die fäkale Mikrobiota-Transplantation (FMT)

Die Versuchsansätze, um einer intestinalen Dysbiose entgegenzuwirken, sind vielseitig.1

Ob nicht-medikamentöse Interventionen – z. B. ballaststoffreiche Diäten oder Probiotika – bei Risikopatienten:innen vor Krankheitsbeginn einen präventiven Nutzen haben, konnte bisher nicht abschließend geklärt werden. 1

Eine vielversprechender Therapieansatz ist allerdings die FMT. Hierbei werden fäkale Mikroorganismen eines gesunden Spenders in den Verdauungstrakt der Patient:innen über eine nasogastrale Sonde, mit einem Koloskop oder in Form von Kapseln eingeführt. Ziel ist die Wiederherstellung einer ausgewogenen Zusammensetzung der Mikroorganismen im Darm (Eubiose).5

Aufgrund der bislang geringen Anzahl an Studien bleibt abzuwarten, ob diese Methode eine breite Anwendung finden wird. Im Fall der RA scheinen die bisherigen Ergebnisse allerdings vielversprechender zu sein als bei Patient:innen mit PsA. In ihrer Gesamtheit liefern die Studien dennoch ein positives Bild und lassen auf einen therapeutischen Durchbruch hoffen.5

Fazit:

  • Das intestinale Mikrobiom des Menschen ist ein Immunmodulator.1
  • Subklinische Darminfektion kommen bei über 50 % der PsA-Patient:innen vor.2
  • Bei PsA-Patient:innen konnte eine intestinale Dysbiose festgestellt werden.2
  • Eine Dysbiose im Darm tritt auch bei RA-Patienten:innen auf – unter anderem in der prä-arthritischen und frühen Phase der RA.1
  • Nicht-medikamentöse Interventionen in der frühen oder sehr frühen Phase der RMDs könnten einen kurativen Ansatz bieten. Das wachsende Wissen um krankheitsauslösende Umweltfaktoren ist möglicherweise der Schlüssel zu gezielten Präventionsstrategien.1
  • Die bisherigen Studien zur Anwendung von FMTs bei RMDs liefern in ihrer Gesamtheit ein positives Bild und lassen auf einen therapeutischen Durchbruch hoffen.5

Quellen

  1. Vural M, et al. Front Cell Infect Microbiol 2020; 10: 491160.
  2. Scher JU. J Rheumatol Suppl 2018; 94: 32-35.
  3. DE: Darmkeime und Rheuma: Wie das Mikrobiom die Krankheitsneigung beeinfluss. DMZ (2022); unter: https://www.mittellaendische.ch/2022/05/29/de-darmkeime-und-rheuma-wie-das-mikrobiom-die-krankheitsneigung-beeinflusst/#gsc.tab=0 (abgerufen am 05.12.2022).
  4. Chriswell M, et al. Arthritis Rheumatol.2022; 74 (suppl 9). https://acrabstracts.org/abstract/an-arthritogenic-strain-of-subdoligranulum-specifically-detectable-in-the-feces-of-individuals-at-risk-for-and-with-rheumatoid-arthritis-is-bound-by-acpa-and-stimulates-th17-cell-activation-in-those/. (Abgerufen am 09.12.2022).
  5. Belvoncikova P, et al. International Journal of Molecular Sciences. 2022; 23(18):10729.

PP-AU-DE-1413