DMARD: krankheitsmodifizierende Antirheumatika
DAS28: Disease Activity Score 28
CVD: Cardiovascular Disease
EULAR: European Alliance of Associations for Rheumatology
csDMARD: conventional synthetic DMARD
In den 1930er Jahren konnten die drei Forscher Eduard C. Kendall (Rochester), Otto Wintersteiner (New York) und Tadeus Reichstein (Zürich) auf der Suche nach den essentiellen Wirkstoffen der Nebennierenrinde unabhängig voneinander das Hormon 17-Hydroxy-11-dehydrocorticosteron, besser bekannt als Cortison, aus tierischen Organen isolieren.1
Etwa zur gleichen Zeit ging Philip S. Hench (Rochester) der Beobachtung nach, dass sich Schwangerschaft und Gelbsucht positiv auf die Symptome der Rheumatoiden Arthritis (RA) auswirken.2 Diese Tatsache führte zu der logischen Schlussfolgerung, dass es sich bei RA nicht wie bisher angenommen um eine mikrobielle Krankheit handelt, sondern eher um ein biochemisches Ungleichgewicht.
Die Forscher versuchten daraufhin, eine gemeinsame physiologische Komponente von Schwangerschaft und Gelbsucht zu finden und vermuteten bald, dass es sich um ein adrenales Hormon handeln könnte. 1941 testeten sie auch Kendalls „Compound E“, wie dieser sein isoliertes Cortison damals nannte. Allerdings stand ihnen die Substanz erst 1948 in größeren Mengen zur Verfügung.2
Hench und Kollegen veröffentlichten im April 1949 die ersten Ergebnisse von 14 RA-Patient:innen, die sie mit Cortison behandelten. Darunter die zuvor immobile „Mrs. G.“, die 100 mg Cortison täglich intraglutäal erhielt. Am dritten Behandlungstag konnte sie aufstehen und im Zimmer umhergehen. Nach einer Woche erledigte sie 3-stündige Einkäufe in der Stadt.1
Hench, Kendall und Reichstein erhielten für die Entdeckung und Anwendung der Glukokortikoide (GC) 1950 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.1
Die Anwendung von Cortison wurde bald auch auf andere entzündlich rheumatische Erkrankungen ausgeweitet und als Behandlungsoption gesellte sich das adrenokortikotrope Hormon (ACTH) dazu.1
Cortisol, die biologisch aktive Form des Cortisons, wirkt entzündungshemmend, indem es zirkulierende T-Lymphozyten, Monozyten, Eosinophile und Basophile reduziert und gleichzeitig die Konzentration von Neutrophilen erhöht. Die Expression proinflammatorischer Zytokine wie TNF, IL-1, IL-2 oder IL-6 wird vermindert. Genomische Effekte bewirken außerdem die Herabregulierung entzündlicher Proteine (Transrepression) und andererseits die Aktivierung antiinflammatorischer Proteine (Transaktivierung).3
Bereits nach den ersten Behandlungsserien wurde klar, dass eine längere Therapie mit GC zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann.1 1951 stellten Freyberg et al. die erste Studie dazu vor. Im Vordergrund standen psychische, dermatologische und gynäkologische Veränderungen sowie negative Auswirkungen auf das Körpergewicht der Patient:innen.3 Die heute bekannten unerwünschten Wirkungen von Glukokortikoiden sind in der Infobox gelistet:
Unerwünschte Wirkungen von GC4
Muskelatrophie
Osteoporose
Hyperglykämie
Duodenalulzera: durch Intensivierung der Magensäuresekretion
Hautatrophie
Vollmondgesicht
Striae rubrae
Katarakt
Glaukom
Wachstumsstörungen
Immunsuppression
Psychische Veränderungen (Euphorie, Unruhe, Aggressivität, Schlafstörungen, Appetitsteigerung)
Gerade die psychischen Veränderungen sind nicht zu unterschätzen und erschweren bei vielen Betroffenen das Absetzen. Rheumatolog:innen sehen relativ häufig Patient:innen, die beispielsweise gelernt haben, dass 20 mg Prednison täglich ihnen ein gutes Gefühl und Energie gibt („Steroidkick“), wogegen sie sich nach dem Absetzen energielos fühlen.3 Nicht ohne Grund wurden Glukokortikoide 1975 in die Dopingliste der Nationalen Anti-Doping Agentur mit aufgenommen.5 Sie erfreuen sich leider auch bei gesunden Menschen, vor allem bei Profisportlern und Bodybuildern großer Beliebtheit und werden zu Zwecken der Leistungssteigerung missbraucht.
Die meisten langfristigen Nebenwirkungen sind dem Prozess der Transaktivierung zuzuschreiben.3 Die genomischen Effekte werden bereits bei einer täglichen Dosis von 50 mg GC ausgelöst.3
Die dosisabhängige Wirkung von GC war den Medizinern bereits früh klar. Folglich zielte die weitere Forschung darauf ab, eine möglichst sichere Dosierung zu identifizieren. 1964 wurde die erste Studie zur Prüfung der Wirksamkeit einer Low-Dose-GC-Gabe (5 bis 10 mg Prednisolonäquivalent pro Tag) bei RA veröffentlicht, mit dem Ergebnis, dass in der Langzeittherapie eine Dosis von 7,5 mg pro Tag im Regelfall nicht überschritten werden sollte.1
In der GLORIA-Studie (2022) ging es um die Nutzen-Risiko-Abwägung von GC als Begleitmedikation zusätzlich zur Standardbehandlung mit einem DMARD bei RA. 441 Patient:innen im Alter von mindestens 65 Jahre bekamen 2 Jahre lang entweder 5 mg Prednison pro Tag oder Placebo, jeweils zusätzlich zu DMARDs. Das Ergebnis: Prednison war Placebo signifikant überlegen: Die Differenz des DAS28 zwischen Prednison- und Placebogruppe betrug nach 3 Monaten 0,62 und nach 2 Jahren 0,37 (p< 0,0001).3 In der Prednisongruppe traten bei 60 % der Teilnehmer:innen unerwünschte Nebenwirkungen auf, in der Placebogruppe bei 49 % (p = 0,02).3 Jedoch zeigten sich die größten Unterschiede bei Auftreten zumeist leichterer Infektionen. Laut Prof. Buttgereit von der Charité Berlin brachte die Prednisonbehandlung hier trotzdem mehr Nutzen als Schaden.
Eine unerwünschte Wirkung, die oft gefürchtet wird, ist ein Knochenverlust bei Langzeit-GC-Behandlungen. Die gute Nachricht: Auch für die Knochendichte scheint eine Dosierung von 5 mg/Tag ohne negative Folgen zu sein. Das zeigt eine Zwischenanalyse der Rh-GIOP-Studie mit über 1000 RA-Patient:innen. GC-Dosen von > 7,5 mg/Tag wirkten sich jedoch negativ auf die Knochendichte aus.3
Auch heute noch gibt es Diskussionen um die „richtige“ GC-Therapie sowie Befürworter und Gegner des Einsatzes in der Langzeittherapie. Der allgemeine Konsens zum Einsatz von GCs von Expert:innen ist jedoch klar:
„So viel wie nötig, so wenig wie möglich.“3
Eine internationale Arbeitsgruppe fasste die dosierungsabhängige Nutzen-Risiko-Abwägung so zusammen:1
„Bei ≤ 5 mg/Tag Prednisolonäquivalent ist das Gefährdungsrisiko für die Mehrzahl der Patienten akzeptabel (mit Ausnahme von Patienten mit einem hohen Risiko für CVD). Bei > 10 mg/Tag ist bei der Mehrzahl der Patienten das Risiko größer als der Nutzen. Bei Dosierungen zwischen > 5 und ≤ 10 mg/Tag müssen patientenspezifische Parameter berücksichtigt werden, um das individuelle Gefährdungsrisiko zu bewerten und abzuwägen.“
Laut dem Report der EULAR Empfehlungen von 2022 erhielten im Praxisalltag (gemäß Registerdaten) zu diesem Zeitpunkt immer noch etwa die Hälfte aller RA-Patient:innen dauerhaft GC. Daher wurde der Wortlaut der entsprechenden Empfehlung nochmals verschärft und lautet nun so:
“Die kurzfristige Gabe von Glukokortikoiden (in unterschiedlichen Dosierungen und Applikationsformen) sollte bei Beginn oder Umstellung einer Therapie mit csDMARDs erwogen werden, sollte aber so schnell wie klinisch möglich reduziert und abgesetzt werden.”6
In den USA steht man den GC noch skeptischer gegenüber: das American College of Rheumatology (ACR) lehnt den systemischen Einsatz von GC auch als Brückentherapie ab.3 Es beruft sich darauf, dass aufgrund der Toxizität von GC die Nachteile überwiegen.7
Neben der langen Liste der unerwünschten Nebenwirkungen und der Toxizität scheinen GC sogar das Sterberisiko zu beeinflussen, wie eine Auswertung des deutschen RABBIT-Registers von 2015 zeigte: GC-Dosierungen von über 5 mg/Tag erhöhten das Mortalitätsrisiko signifikant, und zwar unabhängig von der Krankheitsaktivität.3
Fazit
Der Einsatz von Glukokortikoiden bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sollte
- höchstens als Brückentherapie (maximal 3 Monate)6 erfolgen
- so niedrig wie möglich (möglichst ≤ 5 mg/Tag) dosiert werden
- die individuelle Patientensituation und das Risikoprofil berücksichtigen
DMARD: krankheitsmodifizierende Antirheumatika
DAS28: Disease Activity Score 28
CVD: Cardiovascular Disease
EULAR: European Alliance of Associations for Rheumatology
csDMARD: conventional synthetic DMARD
PP-AU-DE-2055