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Von natürlicher Familienplanung bis Sterilisation: Empfehlungen für die Praxis

Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) wurde erstmals eine Leitlinie zu nicht-hormonellen Kontrazeptionsmethoden aufgelegt. Sie bietet die Grundlage für eine evidenzbasierte Beratung von Paaren in der gynäkologischen Sprechstunde.

Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) wurde erstmals eine Leitlinie zu nicht-hormonellen Kontrazeptionsmethoden aufgelegt. Sie bietet die Grundlage für eine evidenzbasierte Beratung von Paaren in der gynäkologischen Sprechstunde.

„Alle Personen haben ein Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und in diesem Rahmen auch ein Recht auf eine gute Beratung hinsichtlich aller kontrazeptiver Methoden“, heißt es einleitend zur Begründung für die Themenwahl der neuen Leitlinie.1 Die Zielgruppe umfasst somit alle Ärztinnen und Ärzte, die an der Behandlung sexuell aktiver Personen im reproduktiven Alter beteiligt sind.

Nachfrage nach hormonfreier Verhütung steigt

Wie hoch der Bedarf an aktuellen Handlungsempfehlungen zum Thema nicht-hormonelle Verhütung ist, wird im veränderten Verhütungsverhalten deutlich, wie eine repräsentative Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ergab.2 Demnach hat das Kondom seit einigen Jahren die Pille als meistverwendetes Verhütungsmittel abgelöst und gewinnt weiter an Beliebtheit. Vor allem jüngere Menschen stehen der klassischen hormonellen Verhütung aufgrund ihrer Nachteile zunehmend kritisch gegenüber. Eine weitere Rolle dürfte die zunehmende Parität beider Partner bei der Verantwortung für die Familienplanung sein.1,2

Die Leitlinie gibt nun erstmals einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten der nicht-hormonellen Empfängnisverhütung und diskutiert jeweils die Vor- und Nachteile. Folgende Methoden werden vorgestellt:

Wichtigstes Kriterium: Sicherheit und Zuverlässigkeit

Bei der individuellen Wahl der Verhütungsmethode spielen laut BZgA-Umfrage folgende Aspekte eine Rolle:

Die Verträglichkeit rückt dabei immer mehr in den Fokus, einem Viertel der Befragten ist dieser Aspekt besonders wichtig. Das entscheidende Kriterium bleibt jedoch die Zuverlässigkeit.2 Dabei wird zwischen Gebrauchs- und Methodensicherheit unterschieden. Während die Gebrauchssicherheit (typical use) anwenderbedingte Fehler einkalkuliert, bezieht sich die Methodensicherheit (perfect use) auf die Effektivität bei korrekter Anwendung.3,4 Entsprechend werden die einzelnen Verfahren in anwenderabhängige und -unabhängige Methoden unterteilt.

Für die Beratung ist diese Unterscheidung zentral, da sie die individuelle Lebenssituation eines Paares berücksichtigt, die nach Ansicht der Autoren vor allem bei der natürlichen Familienplanung relevant ist. Sie beruht auf der Zyklusbeobachtung und verlangt den Betroffenen ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Konsequenz ab.

Hintergrundinfo: Warum der Pearl-Index out ist

Um die Effektivität einer Verhütungsmethode zu ermitteln, bestehen verschiedene Möglichkeiten. Weit verbreitet und geläufig ist der Pearl-Index, der angibt, wie viele von 100 Frauen schwanger werden, wenn sie ein Jahr lang eine bestimmte Verhütungsmethode verwenden. Da dabei jedoch nicht berücksichtigt wird, wie lange die Methode schon angewendet wird, ob sie korrekt erfolgt und wie häufig ein Paar Geschlechtsverkehr hatte, ist die Berechnung ungenau und kann lediglich als Orientierung dienen. Aus wissenschaftlicher Sicht sollte der Pearl-Index daher nicht mehr verwendet werden.1

Stattdessen plädieren die Leitlinienautoren dafür, bei der Beurteilung der Sicherheit auf genauere Analysen zurückzugreifen:

  • Bei der Life-table-Analyse werden mögliche Anwendungsfehler im Alltag einbezogen und ermittelt, wie viele Frauen in einem bestimmten Zeitraum nicht schwanger werden. Sie sollte zur Berechnung der Gebrauchssicherheit herangezogen werden.5,6
  • Die „Perfect use“-Methode nach Trussell berücksichtigt nur die Schwangerschaften, die trotz korrekter Anwendung aufgetreten sind. Sie eignet sich zur Berechnung der Methodensicherheit.5,7,8

Zusätzlicher Schutz vor STI durch Kondome

Eine Alternative zur natürlichen Familienplanung stellen Barrieremethoden wie Kondome dar, die nicht nur vor einer ungewollten Schwangerschaft, sondern auch vor sexuell übertragbaren Infektionen (STI) schützen. Bei korrekter Anwendung messen die Autoren ihnen daher eine hohe Bedeutung zu, zumal Kondome bis heute die einzige sichere und reversible nicht-hormonelle Verhütungsmethode für Männer seien. Demgegenüber fände das Thema in der medizinischen Fachliteratur kaum Beachtung und solle in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung verstärkt thematisiert werden.

Ebenfalls beliebt ist der Coitus interruptus, der in Fachkreisen allerdings meist nicht als Verhütungsmethode angesehen wird. Da er die geringste Effektivität aufweist, wird er als einziges Verfahren explizit nicht empfohlen.

Als sicher hingegen werden intrauterine Verhütungsmethoden wie kupferfreisetzende Intrauterinpessare (IUP) bewertet. Sie werden vor allem von Frauen > 40 Jahren genutzt. In dieser Altersgruppe gaben bei der BZgA-Befragung 20 % der Frauen an, damit zu verhüten.2

Die Methode wird als sehr effektiv bewertet, wobei die korrekte Einlage der IUP wichtig für den Erfolg und eine geringe Komplikationsrate ist. Die European Society for Contraception hat hierzu ein Trainingstool erstellt.9 Die Leitlinie geht ausführlich auf mögliche Risiken sowie Auswirkungen von IUP auf Schwangerschaft und Sexualität ein.

Sicher, aber oft endgültig: die Sterilisation

Auch die Sterilisation für Mann oder Frau bietet eine effektive Kontrazeption. Sowohl bei der Methoden- als auch der Gebrauchssicherheit rangiert sie mit an erster Stelle, da sie anwenderunabhängig ist. Es existieren unterschiedliche Methoden, die im Einzelnen vorgestellt werden. Aus Sicht der Leitlinienautoren erlauben die verfügbaren Daten derzeit keine Favorisierung einer bestimmten Sterilisationstechnik.

Eine Refertilisierung nach Sterilisation von Frauen ist zwar grundsätzlich möglich, führt aber nicht immer zum Erfolg. Auch wenn die Tubendurchgängigkeit oftmals wiederhergestellt werden kann, bedeutet das nicht unbedingt, dass auch die Fertilität wiedererlangt wird. So lautet das Fazit von Leitlinienkoordinatorin Prof. Dr. Sabine Segerer: „Die Sterilisation ist ein sehr sicheres Verfahren, das Frauen und Männern vorbehalten sein sollte, die eine definitive Kontrazeption wünschen, da von einer erfolgreichen Refertilisierung nicht sicher ausgegangen werden kann.“1

Ein eigenes kurzes Kapitel wird der Laktationsamenorrhoe gewidmet. Der kontrazeptive Effekt beruht auf der pulsatilen GnRH-Sekretion in Folge des Stillens, wodurch die ovarielle Aktivität reduziert wird. Unter folgenden Voraussetzungen wird auch diese nicht-hormonelle Verhütungsmethode als sicher angesehen:

Gynäkologische Beratung als wichtigste Informationsquelle

Die neue Leitlinie gibt erstmals einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Arten der nicht-hormonellen Kontrazeption und trägt damit der zunehmenden Nachfrage nach Alternativen zur klassischen Pille Rechnung. Bei korrekter Anwendung erreichen viele Methoden eine ähnlich hohe Sicherheit wie die hormonelle Verhütung. Die Leitlinienautoren betonen jedoch, dass die Datenlage für viele nicht-hormonelle Verfahren derzeit noch begrenzt ist.

Dennoch bietet die Leitlinie eine Grundlage für die fundierte ärztliche Beratung von Paaren. Wie wichtig solche Handlungsanweisungen in der Praxis sind, zeigt ein weiteres aufschlussreiches Ergebnis der BZgA-Umfrage: Die gynäkologische Beratung durch den Frauenarzt bzw. die Frauenärztin bleibt mit Abstand die wichtigste Informationsquelle für Frauen, die auf der Suche nach einer für sie passenden Verhütungsmethode sind2 – eine gute und zugleich herausfordernde Botschaft an alle Gynäkologinnen und Gynäkologen.

Abkürzung:
BZgA = Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
DGGG = Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.
GnRH = Gonadotropin-Releasing-Hormon
IUP = Intrauterinpessar
STI = Sexually Transmitted Infections (sexuell übertragbare Infektionen)

Quellen

  1. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe: S2k-Leitlinie Nicht-hormonelle Empfängnisverhütung. AWMF-Register-Nr. 015-095, Dezember 2023.
  2. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: „Verhütungsverhalten Erwachsener 2023“. Repräsentative BzgA-Wiederholungsbefragung. https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/pressemitteilungen/daten_und_fakten/Infoblatt_BZgA-Studiendaten_Verh%C3%BCtungsverhalten_2023.pdf (letzter Zugriff: 22.10.2024).
  3. Trussell J. Contraceptive failure in the United States. Contraception 2011; 83: 397-404.
  4. Raith-Paula E et al. Natürliche Familienplanung heute: Springer-Verlag Berlin Heidelberg; 2020; 6. Auflage 2020. ISBN 978-3-662-59310-3 bzw. https://doi.org/10.1007/978-3-662-59311-0.
  5. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin e.V. (DGGEF): Stellungnahme zur Beurteilung der Sicherheit von Familienplanungsmethoden. https://sektion-natuerliche-fertilitaet.de/stellungnahme-zur-beurteilung-der-sicherheit-von-familienplanungsmethoden/ (letzter Zugriff 23.10.2024).
  6. Kaplan EL et al. Nonparametric estimation from incomplete observations. Journal of the American statistical association 1958; 53: 457-481.
  7. Trussell J et al. Contraceptive failure of the ovulation method of periodic abstinence. International Family Planning Perspectives 1990; 5-28.
  8. Trussell J et al. Further analysis of contraceptive failure of the ovulation method. American journal of obstetrics and gynecology 1991; 165: 2054-2059.
  9. European Society of Contraception, 2018, https://escrh.eu/wp-content/uploads/2018/11/Update-IUD-special-situations-2020-08.pdf (letzter Zugriff 23.10.2024).