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Letrozol bei PCOS: First-Line-Therapie als Off-Label-Verordnung

Was gilt heute als Medikament der ersten Wahl zur Ovulationsinduktion bei PCOS-Patientinnen mit Kinderwunsch: Clomifen oder Letrozol?

In einem von der Deutschen Akademie für Gynäkologie und Geburtshilfe (DAAG) empfohlenen CME-Beitrag1, der Anfang des Jahres in Der Gynäkologe publiziert wurde, lautet die vorletzte CME-Frage:

Welcher der folgenden Grundsätze für die Therapie des PCOS (polyzystisches Ovarsyndrom) trifft zu?

Diese Frage ist für den Behandlungsalltag in deutschen Frauenarztpraxen und Kinderwunschzentren von einiger Relevanz. Das PCOS ist die häufigste Endokrinopathie von Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter mit einer Prävalenz von 8–13% und die häufigste Ursache einer anovulatorischen Infertilität, die drei von vier Frauen mit PCOS betrifft.2

Neue Leitlinienempfehlung zur Erstlinientherapie seit dem letzten Jahr

Bisher wurde – und wird höchstwahrscheinlich immer noch – der selektive Östrogenrezeptormodulator Clomifen bzw. Clomifencitrat als Standardpräparat zur Ovulationsinduktion eingesetzt. Der Aromatasehemmer Letrozol gilt als Alternative – allerdings im Off-Label-Use.

Die richtige Antwort auf die CME-Frage hat es in sich. Denn seit dem letzten Jahr wird in der evidenzbasierten internationalen Leitlinie2 zum PCOS Letrozol erstmals als Erstlinientherapie für die Ovulationsinduktion empfohlen.

Und zwar nicht nur „auch“ im Sinne von „hinter Clomifen“, sondern als bevorzugtes Mittel der Wahl. Das kommt textlich in der entsprechenden Empfehlung („5.3 Letrozol“; siehe Infobox) und grafisch im Stufentherapieschema bei PCOS und Kinderwunsch („Algorithmus 4: Pharmacological treatment for non-fertility indications“ in Appendix VIII; siehe Grafik) klar zum Ausdruck.

Neue Leitlinienempfehlung:
Aus den Empfehlungen der internationalen evidenzbasierten Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung des polyzystischen Ovarialsyndroms2:
5.3 Letrozol
5.3.1 Letrozol sollte als Erstlinientherapie zur Ovulationsinduktion bei Frauen mit PCOS und anovulatorischer Infertilität ohne weitere Infertilitätsfaktoren betrachtet werden, um Ovulation, Schwangerschaft und Lebendgeburtsraten zu verbessern.
5.3.2 Wo Letrozol nicht verfügbar, nicht erlaubt oder zu teuer ist, können Ärzte andere Wirkstoffe zur Ovulationsinduktion anwenden.
5.3.3 Ärzte und Frauen müssen wissen, dass das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft unter Letrozol geringer ist als unter Clomifen.
Bei 5.3.1 handelt es sich um eine evidenzbasierte Empfehlung (EBR) mit starkem Empfehlungsgrad bei niedriger Evidenzqualität. Die beiden Folgeempfehlungen sind Hinweise zur klinischen Praxis (CPP). Diese Empfehlungskategorien entsprechen dem GRADE-Rahmenkonzept3.


Schema in Anlehnung an „Algorithm 5: Assessment and treatment of infertility“ aus der aktuellen internationalen PCOS-Leitlinie (International evidence-based guideline for the assessment and management of polycystic ovary syndrome 2018); Teede HJ et al2

Längere Erfahrung mit Clomifen, bessere Evidenz für Letrozol

Die Anwendung von Aromataseinhibitoren zur Ovulationsinduktion erfolgte erstmals 2001. Frühere klinische Studien kamen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen, was den Einsatz von Letrozol bei anovulatorischen PCOS-Patientinnen im Vergleich zur Erstlinientherapie mit Clomifen angeht.4 In den vergangenen Jahren hat sich in der internationalen Literatur das Blatt aber zunehmend zugunsten von Letrozol gewendet.

2014 wurde eine doppelblinde, randomisierte Multicenter-Studie5 publiziert, an der 750 PCOS-Patientinnen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren mit Partnern und Neugeborenen teilnahmen. Die Frauen erhielten ab dem 3. Zyklustag für 5 Tage und bis maximal 5 Zyklen entweder 50 mg/d Clomifencitrat oder 2,5 mg/d Letrozol. Bei schlechter ovarieller Response (2 % von knapp 2.800 Behandlungszyklen) erfolgte eine Dosissteigerung bis zu einer maximalen Tagesdosis von 150 mg Clomifen bzw. 7,5 mg Letrozol. Die Neugeborenen von knapp drei Viertel der Paare wurden nach der Geburt bezüglich kongenitaler Anomalien untersucht.

Höhere Lebendgeburtrate, geringeres Mehrlingsrisiko

Der Vergleich fiel zugunsten von Letrozol aus, das sich gegenüber Clomifen als effektiver hinsichtlich Ovulation, Konzeption, Schwangerschaft und Lebendgeburtenrate (27,5 % vs. 19,1 %) erwies. Auch die Chance auf eine Einlingsschwangerschaft war unter Letrozol signifikant höher, die Wahrscheinlichkeit einer Zwillingsschwangerschaft dagegen niedriger, wenngleich ohne Erreichen des Signifikanzniveaus (3,4 % vs. 7,4 %). Ebenfalls keine signifikanten Unterschiede gab es zwischen den beiden Behandlungsgruppen bei der Fehlgeburtenrate (31,8 % vs. 29,1 %) und bei der Fehlbildungsrate, die mit derjenigen bei spontan konzipierten Schwangerschaften vergleichbar war. Die Autoren forderten größere Studien, um das teratogene Risiko von Letrozol genauer abschätzen zu können.5

Ein systematischer Review mit Netzwerk-Metaanalyse6 untermauerte 2017 schließlich die anstehende Neubewertung von Letrozol als Erstlinientherapeutikum bei anovulatorischen Patientinnen der WHO-Gruppe II. Aus über 2.600 recherierbaren Titeln und Abstracts filterten die Autoren 57 Studien heraus, die den Anforderungen der Cochrane Collaboration genügten. In den randomisierten, kontrollierten Studien (RCTs) wurden bei insgesamt über 8.000 Frauen eine oder mehrere der gängigen Therapieverfahren im Vergleich mit Placebo bzw. keiner Behandlung untersucht: Clomifen, Letrozol, Metformin, Clomifen plus Metformin, Tamoxifen, Gonadotropine sowie laparoskopisches ovarielles Drilling.6

Mehrere Optionen in der Erstlinie empfohlen – mit Abstufung

Das Fazit der Autoren: Letrozol und die Kombination aus Clomifen und Metformin waren im Hinblick auf Ovulation und Schwangerschaft dem Erstlinien-Standard, der Clomifen-Monotherapie, überlegen. Und Letrozol führte als einzige Therapie zu einer signifikant höheren Lebendgeburtrate als Clomifen allein. Die Rate an Mehrlingsschwangerschaften war unter dem Aromatasehemmer geringer, bei der Zahl der Fehlgeburten wurden keine Unterschiede beobachtet.6

Die Autoren einer deutschsprachigen Übersichtsarbeit7 von 2017 hoben drei Aspekte des Einsatzes von Letrozol beim PCOS besonders hervor: seine Vorteile bei Clomifen-Resistenz und bei Adipositas sowie den Sicherheitsaspekt. Bedenken hinsichtlich teratogener Risiken haben sich für Letrozol im Vergleich zu Clomifen bislang nicht bestätigt. Auch die deutlich kürzere Halbwertszeit von 48 Stunden spricht gegen solche Befürchtungen.7

Keine deutsche Beteiligung am internationalen PCOS-Netzwerk

Ein ganz aktueller narrativer Review4 zur Erstlinientherapie beim PCOS, erschienen im September 2019, nimmt die beste verfügbare und aktuellste Evidenz in den Blick. Dabei geht es um eine Zusammenfassung und Aktualisierung der wissenschaftlichen Erkenntnisse, aus denen sich die oben dargestellte Leitlinienempfehlung von 2018 speist. Eine deutsche Beteiligung gibt es hier übrigens nicht – weder beim Review noch beim internationalen PCOS-Netzwerk und seiner Leitlinie (laut deren Anhang).

Die Review-Autoren bekräftigen die neue Stellung von Letrozol als bevorzugtes Erstlinientherapeutikum zur Ovulationsinduktion bei anovulatorischen Frauen mit PCOS ohne andere fruchtbarkeitsrelevante Faktoren. Der Grund ist seine Überlegenheit im Vergleich zu allen anderen Optionen einschließlich der Metformin/Clomifen-Kombination. Was noch fehlt, sind große, angemessen gepowerte sowie gut durchgeführte und dargestellte RCTs, um die Kombination von Letrozol mit Metformin oder Clomifen mit der Letrozol-Monotherapie zu vergleichen.4

Was wird sich nun in der Praxis ändern?

Mit der stark verbesserten Datenlage liegen die evidenzbasierten Vorteile bei Letrozol: höhere Lebendgeburten- und Schwangerschaftsraten bei geringerer Rate an polyfollikulären Reifungen und damit einem etwas geringeren Mehrlingsrisiko. Das Einnahmeschema von Letrozol entspricht dem von Clomifen. Auch bei der insgesamt guten Verträglichkeit gibt es keine großen Unterschiede. Zu typischen Nebenwirkungen zählen neben Kopfschmerzen bei beiden Medikamenten v. a. Stimmungsschwankungen und Hitzewallungen bei Clomifen sowie Müdigkeit und Schwindel bei Letrozol.

Einen gravierenden Unterschied gibt es allerdings: Im Gegensatz zu Clomifen erfolgt der Einsatz von Letrozol im Off-Label-Use, was in der internationalen Leitlinie explizit thematisiert wird (s. o). Für den Gynäkologen bedeutet das etwas mehr Beratungsaufwand (Beispiel für einen Aufklärungsbogen mit Einverständniserklärung; PDF-Link): über Nutzen und Risiken der Behandlung, die Eigenschaften des Medikaments („Krebsmittel“ laut Beipackzettel!) und die zu übernehmenden Kosten für das Präparat.

Ob und wie stark diese potenzielle Hemmschwelle die Umsetzung der Leitlinienempfehlung in der Routineversorgung behindern wird, muss sich noch zeigen. Dass Letrozol in deutschen Praxen und Kinderwunschzentren auch als Off-Label-Option bereits regelmäßig zum Einsatz kommt, ist an zahlreichen Beiträgen in Online-Foren erkennbar, in denen sich die betroffenen Frauen intensiv damit auseinandersetzen.

Hohe Qualität, niedriger Preis: Letrozol Aristo®
Letrozol Aristo 2,5 mg Filmtabletten für den Off-Label-Use zur Behandlung der Infertilität bei PCOS

Referenzen:

  1. Sonntag B et al. Kinderwunsch: Beratung und Therapie in der gynäkologischen Praxis. Gynäkologe 2019;52(3):217-28
  2. Teede HJ et al. Recommendations from the international evidence-based guideline for the assessment and management of polycystic ovary syndrome. Clin Endocrinol (Oxf) 2018;89(3):251-68
  3. The GRADE Working Group, GRADE handbook for grading quality of evidence and strength of recommendation. Vol. Version 3.2 [updated March 2009]. 2009
  4. Costello M et al. A Review of First Line Infertility Treatments and Supporting Evidence in Women with Polycystic Ovary Syndrome. Med Sci (Basel) 2019;7(9). pii:E95. doi:10.3390/medsci7090095
  5. Legro RS et al. Letrozole versus clomiphene for infertility in the polycystic ovary syndrome. N Engl J Med 2014;371(2): 119-29
  6. Wang R et al. Treatment strategies for women with WHO group II anovulation: systematic review and network meta-analysis. BMJ 2017;356:j138. doi:10.1136/bmj.j138
  7. Doblinger J, Griesinger G. Letrozol zur Ovulationsinduktion bei PCOS. Gynäkologische Endokrinologie 2017;15(3):235-8

Abkürzungen:
CME = Continuing Medical Education (Ärztliche Fortbildung)
CPP = Clinical Practise Point
EBR = Evidence Based Recommendation
GRADE = Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation