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Kontrazeption und Brustkrebs: eine aktuelle Risikobilanz

Kontrazeptionswunsch auf der einen Seite, erhöhtes Risiko für Brustkrebs auf der anderen – die richtige Beratung gesunder Frauen ist eine große Verantwortung, noch anspruchsvoller wird das Thema bei Brustkrebs-Patientinnen.

Von der „Pille“ bis zur Spirale – die Zahl der Einflussfaktoren ist groß

Seit ihrer Einführung im Jahr 1957 ist „die Pille“ die von Frauen am häufigsten verwendete hormonelle Verhütungsmethode.1 Inzwischen steht Anwenderinnen eine große Bandbreite zur Verfügung, von den klassischen östrogenhaltigen oralen Kontrazeptiva (OC) bis hin zu reinen Progesteron-Präparaten. Auch neuere Verhütungsmethoden wie Vaginalringe, Pflaster, Progesteron-Implantate und IUPs (Intrauterinpessar) werden von immer mehr Frauen verwendet.2 Die Unterschiede liegen jedoch nicht nur in der Darreichungsform, sondern vor allem auch in der Art und Zusammensetzung der hormonell-wirksamen Komponenten. Unterschieden werden reine Östrogen- oder Progesteron-Präparate und Kombinationspräparate mit unterschiedlichen Gestagen-Komponenten.

Östrogen im Verdacht

Veränderte Östrogenspiegel scheinen – ob physiologisch ausgeschüttet oder in Form hormoneller Präparate zugeführt – eine Rolle in der Pathogenese einiger Mammakarzinom-Arten zu spielen. Grund für diesen Verdacht sind die typischen Risikofaktoren für Brustkrebs: Nullparität, frühe Menarche oder höheres Alter bei der ersten Schwangerschaft.3–6 Um die Risikosituation abschließend beurteilen zu können, müssen jedoch deutlich mehr Faktoren berücksichtigt werden.

Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs

Prognose und Risikoprofil sind unter anderem abhängig von dem genauen Pathomechanismus des vorliegenden Subtyps (Luminel A, B, Her2-positiv, triple-negativ).7 Alle Subklassifikationen gemeinsam zu betrachten, reicht daher nicht für eine differenzierte Risikobeurteilung aus. Beispielsweise spielen hormonelle Mechanismen vorrangig bei Luminel-A-Tumoren eine entscheidende Rolle. Der protektive Effekt hoher Geburtenzahlen ist so eindeutig nur für diesen Subtyp nachgewiesen, bei Luminel-B- und Her2-positiven Tumoren hingegen weniger. Bei triple-negativen Formen ist dieser schützende Einfluss gar nicht nachweisbar.8–9

Uneinigkeit bei reinen Progesteron-Präparaten

Auch die Darreichungsform und Zusammensetzung der einzelnen Präparate nimmt Einfluss auf das karzinogene Risiko. Gerade zu „Progesteron-only“-Präparaten in Bezug auf deren Brustkrebsrisiko gibt es große Unterschiede in der Literatur. Während in einigen Studien kein Zusammenhang zwischen reinen Progesteron-Präparaten und der Entstehung von Mammakarzinomen beobachtet wurde, gibt es andere Studien, die das Risiko vor allem von der Dauer der Einnahme abhängig machen.4,10 Dort wurde beobachtet, dass ab einem Zeitraum von 4,5 Jahren das Risiko von Jahr zu Jahr signifikant ansteigt, bei Anwendungsdauern unterhalb dieser Grenze wurde kein erhöhtes Risiko nachgewiesen. (10)

Brustkrebsrisiko auch nach Anwendungsende noch erhöht

Nicht nur bei Progesteron-Mono-Präparaten, sondern bei Kontrazeptiva generell, scheint die Dauer der Einnahme einen Einfluss auf das Brustkrebsrisiko zu haben. Eine Studie von Morch et al. zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs zu erkranken mit der Dauer der Anwendung steigt. So war das relative Risiko bei einem Zeitraum von unter einem Jahr geringer als bei einer Dauer von über zehn Jahren. Zudem besteht das erhöhte Risiko auch über das Anwendungsende hinaus. Eine wichtige Grenze scheint hier bei fünf Jahren zu liegen. Bei längeren Einnahmen bestand auch für die anschließenden fünf Jahre nach Beendigung der Anwendung jeglicher Kontrazeptiva ein erhöhtes Risiko an Brustkrebs zu erkranken. Für eine Anwendungsdauer unter fünf Jahren wurde dieser Effekt nicht beobachtet.11

Ähnlich untersuchte auch eine Studie von Ellingjord-Dale et al. diesen Einfluss. Die Autoren kamen hier zu dem Ergebnis, dass das Brustkrebsrisiko bei Frauen mit oraler Kontrazeption durch eine Anwendungsdauer über mehr als zehn Jahre für alle Subtypen außer Her2-positive und Luminal-B-Her2-positive Tumoren erhöht ist.(12)

Bilanz: Orale Kontrazeptiva steigern und senken das Krebsrisiko gleichzeitig

Um das Risikoprofil verschiedener Kontrazeptiva abschließend beurteilen zu können, müssen neben den karzinogenen Risiken auch die protektiven Effekte berücksichtigt werden. Zu diesem Thema liegen mehrere Studien vor, die die Mortalität zwischen OC-Anwenderinnen und Frauen vergleichen, die niemals orale Kontrazeptiva eingenommen haben. Hier wurde beobachtet, dass das vorzeitige Versterben durch eine Brustkrebs-Erkrankung unter OC-Einnahme im Vergleich zur Kontrollgruppe erhöht war. Gleichzeitig wurde die Mortalitätsrate durch ein Ovarialkarzinom gesenkt. Auch das Risiko an Endometriumkarzinomen zu erkranken konnte unter der Anwendung oraler Kontrazeptiva gesenkt werden. Insgesamt wurde in diesen Studien kein erhöhtes Gesamtversterben durch eine OC-Einnahme nachgewiesen.1,13

Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem auch die Dauer der jeweiligen Effekte. Nach Beendigung der OC-Anwendung wurde keine erhöhte Mortalität durch Mammakarzinome beobachtet, jedoch zeigte sich weiterhin eine Reduktion der Mortalität durch Ovarialkarzinome. Somit kann in manchen Fällen vielleicht sogar von einer negativen Krebsbilanz gesprochen werden.1,13

Sonderfall bei Mammakarzinom-Patienten

Eine Sonderstellung in der Risikoberatung hinsichtlich verschiedener Verhütungsmethoden haben Frauen im reproduktiven Alter nach oder während onkologischer Behandlungen. Zum einen liegt bei diesen Patientinnen ein dreimal so hohes Risiko für unerwünschte Schwangerschaften vor, zum anderen wird die Auswahl der zur Verfügung stehenden Präparate teils durch die Behandlung, teils durch die Krebserkrankung selbst limitiert.14 Generell wird betroffenen Frauen wegen des erhöhten Thromboserisikos empfohlen, während und bis zu sechs Monaten nach einer Chemotherapie keine Kombinationspräparate einzunehmen. Erste Wahl ist hier die Verwendung einer Kupfer-IUP, außer unter Tamoxifen-Therapie. In diesen Fällen sollte wegen des erhöhten Risikos für Endometriumkarzinome auf eine Levonorgestrel-IUP ausgewichen werden.15

Risikotrend erkennbar – weitere Studien unabdingbar

Trotz teilweise uneinheitlicher Studienlage hinsichtlich mancher Faktoren, lässt sich ein genereller Trend bezüglich des Risikoprofils oraler Kontrazeptiva (OC) erkennen. Deren Einnahme erhöht, gerade bei längerer Anwendungsdauer (fünf Jahre), die Inzidenz an Brustkrebsfällen um durchschnittlich 10 %. Dieses erhöhte Risiko besteht je nach Anwendungszeitraum auch fünf bis zehn Jahre über die Beendigung der oralen Kontrazeption hinaus. Gleichzeitig wird durch eine OC-Einnahme das Erkrankungsrisiko für andere Krebserkrankungen wie Ovarialkarzinome und Endometriumkarzinome auch noch viele Jahre nach Anwendungsende hinaus gesenkt.

Diese Ergebnisse geben einen Überblick über die aktuelle Studienlage – gerade im Hinblick auf neuere Verhütungsmethoden, die Anwendung reiner Gestagen-Präparate und die Kontrazeption nach onkologischen Erkrankungen müssen jedoch noch weitere Untersuchungen durchgeführt werden, um eine definitive Beurteilung der Risikosituation durchführen zu können.

Autor: Chiara Grabmann

Referenzen:

  1. Charlton BM, Rich-Edwards JW, Colditz GA, Missmer SA, Rosner BA, Hankinson SE, u. a. Oral contraceptive use and mortality after 36 years of follow-up in the Nurses’ Health Study: prospective cohort study. BMJ. 31. Oktober 2014;349:g6356.
  2. Lindh I, Skjeldestad FE, Gemzell-Danielsson K, Heikinheimo O, Hognert H, Milsom I, u. a. Contraceptive use in the Nordic countries. Acta Obstet Gynecol Scand. Januar 2017;96(1):19–28.
  3. Breastfeeding, PAM50 tumor subtype, and breast cancer prognosis and survival - PubMed [Internet]. [zitiert 12. November 2020]. Verfügbar unter: https://pubmed-ncbi-nlm-nih-gov.emedien.ub.uni-muenchen.de/25921910/
  4. Samson M, Porter N, Orekoya O, Hebert JR, Adams SA, Bennett CL, u. a. Progestin and breast cancer risk: a systematic review. Breast Cancer Res Treat. Januar 2016;155(1):3–12.
  5. Jameera Begam A, Jubie S, Nanjan MJ. Estrogen receptor agonists/antagonists in breast cancer therapy: A critical review. Bioorganic Chem. 2017;71:257–74.
  6. Santen RJ, Yue W, Wang J-P. Estrogen metabolites and breast cancer. Steroids. Juli 2015;99(Pt A):61–6.
  7. Goldhirsch A, Winer EP, Coates AS, Gelber RD, Piccart-Gebhart M, Thürlimann B, u. a. Personalizing the treatment of women with early breast cancer: highlights of the St Gallen International Expert Consensus on the Primary Therapy of Early Breast Cancer 2013. Ann Oncol Off J Eur Soc Med Oncol. September 2013;24(9):2206–23.
  8. Barnard ME, Boeke CE, Tamimi RM. Established breast cancer risk factors and risk of intrinsic tumor subtypes. Biochim Biophys Acta. August 2015;1856(1):73–85.
  9. Sisti JS, Collins LC, Beck AH, Tamimi RM, Rosner BA, Eliassen AH. Reproductive risk factors in relation to molecular subtypes of breast cancer: Results from the nurses’ health studies. Int J Cancer. 15. Mai 2016;138(10):2346–56.
  10. Fabre A, Fournier A, Mesrine S, Desreux J, Gompel A, Boutron-Ruault M-C, u. a. Oral progestagens before menopause and breast cancer risk. Br J Cancer. 12. März 2007;96(5):841–4.
  11. Contemporary Hormonal Contraception and the Risk of Breast Cancer - PubMed [Internet]. [zitiert 12. November 2020]. Verfügbar unter: https://pubmed-ncbi-nlm-nih-gov.emedien.ub.uni-muenchen.de/29211679/
  12. Ellingjord-Dale M, Vos L, Tretli S, Hofvind S, Dos-Santos-Silva I, Ursin G. Parity, hormones and breast cancer subtypes - results from a large nested case-control study in a national screening program. Breast Cancer Res BCR. 23 2017;19(1):10.
  13. Lifetime cancer risk and combined oral contraceptives: the Royal College of General Practitioners’ Oral Contraception Study - PubMed [Internet]. [zitiert 12. November 2020]. Verfügbar unter: https://pubmed-ncbi-nlm-nih-gov.emedien.ub.uni-muenchen.de/28188769/
  14. Quinn MM, Letourneau JM, Rosen MP. Contraception after cancer treatment: describing methods, counseling, and unintended pregnancy risk. Contraception. Mai 2014;89(5):466–71.
  15. Patel A, Schwarz EB, Society of Family Planning. Cancer and contraception. Release date May 2012. SFP Guideline #20121. Contraception. September 2012;86(3):191–8.