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Kein erhöhtes Frakturrisiko unter Aromatasehemmern?

Das Risiko für Knochenbrüche gilt für Brustkrebspatientinnen unter der adjuvanten Therapie mit Aromatasehemmern als deutlich erhöht. Eine Beobachtungsstudie aus Kanada kommt allerdings zu einem anderen Ergebnis.

Aromatasehemmer (AI) haben in der adjuvanten endokrinen Therapie des hormonsensitiven Mammakarzinoms ihren festen Stellenwert. Durch die antiöstrogene Wirkung ist allerdings mit negativen Effekten am Knochensystem zu rechnen. Bedingt durch verstärkte Knochenresorption und Abnahme der Knochendichte steigt das Osteoporose-Risiko.1 In Fachinformationen werden neben der Osteoporose auch Frakturen als häufige Nebenwirkung aufgeführt.2

Knochenbrüche als „häufige“ Nebenwirkung

In der aktuellen S3-Leitlinie zum Mammakarzinom heißt es: „Bei prämenopausalen Frauen mit einem Hormonrezeptor-positiven Brustkrebs führen eine Suppression der ovariellen Funktion (Ovarian Function Suppression, z. B. durch GnRH-Analoga) alleine sowie in Kombination mit Tamoxifen oder einem Aromatasehemmer sowie die Therapie mit Tamoxifen alleine zu einem Verlust der Knochendichte und zu einer erhöhten Inzidenz der Osteoporose gegenüber einem gesunden Kontrollkollektiv [846-848]. Die Kombination aus ovarieller Suppression verbunden mit einem Aromatasehemmer führt zum stärksten Abfall der Knochendichte [846]. Bei postmenopausalen Frauen führt eine Therapie mit Aromatasehemmern ebenfalls zu einem Verlust der Knochendichte und einer erhöhten Frakturinzidenz gegenüber denjenigen Frauen, die mit Tamoxifen behandelt werden [849-852].“3

Bei Gefährdung der Knochengesundheit, die mit der Behandlung von Brustkrebs assoziiert ist, handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen. Dabei sind die in diversen klinischen Studien produzierten Ergebnisse bezüglich des Auftretens von Knochenbrüchen nicht einheitlich. In der ATAC-Studie etwa zeigte sich während der Therapie mit Anastrozol ein signifikant erhöhtes Frakturrisiko im Vergleich zu Tamoxifen. Im Beobachtungszeitraum nach Beendigung der endokrinen Therapie lag die Frakturrate dagegen in beiden Gruppen auf gleichem Niveau.4

Beobachtungsstudie: keine wesentlich erhöhte Fraktur-Inzidenz

Im realen Praxisalltag sehen die Verhältnisse häufig etwas anders aus als bei einem eher artifiziellen randomisierten Studien-Setting. Vor zwei Jahren fiel in einer großen bevölkerungsbasierten Kohortenstudie5 unter Verwendung von US-Medicare-Daten der Risiko-Exzess für AI gegenüber Tamoxifen sehr bescheiden aus (11 % bei nichtvertebralen Frakturen, nicht signifikant erhöht bei Hüftfrakturen).

Im vergangenen Jahr förderte nun eine Beobachtungsstudie6 aus Kanada ein überraschendes Ergebnis zutage: Nach Adjustierung der Baseline-Kovariaten glich das Frakturrisiko von Brustkrebspatientinnen mit AI-Therapie dem der Allgemeinbevölkerung.

Für die Untersuchung zog eine kanadisch-britisch-australische Wissenschaftlergruppe Daten des öffentlichen Gesundheitssystems der kanadischen Provinz Manitoba und ein Register zur Knochenmineraldichte (BMD) heran. Aus dem Datenmaterial von knapp 37.000 Frauen über 40 Jahre wurden drei Gruppen der Kohortenstudie gebildet:

Die Frakturraten für die einzelnen Gruppen wurden anhand von Klinikdaten und Arztrechnungen ermittelt. In der adjustierten Analyse fanden sich in der AI-Gruppe im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung keine statistisch signifikant erhöhten Risiken für Knochenbrüche: Für schwere Osteoporose-Frakturen (Hüfte, Wirbelsäule, Unter-und Oberarm) betrug die Hazard Ratio 1,15, für Hüftfrakturen 0,90 und für alle Frakturen insgesamt 1,06.

Protektive Faktoren gleichen offenbar negative AI-Effekte aus

Zum Startpunkt der Untersuchung wiesen die AI-Anwenderinnen im Vergleich zu Brustkrebspatientinnen ohne AI-Therapie und Frauen aus der Allgemeinbevölkerung höhere Werte bei BMI und BMD, eine niedrigere Osteoporose-Prävalenz sowie weniger Knochenbrüche in der Anamnese auf – alles statistisch signifikant.

Die Studienautoren nehmen schlussfolgernd an, dass in der untersuchten Population diese frakturpräventiven Faktoren die knochenschädlichen Effekte einer AI-Exposition vermutlich ausgleichen.6

Fazit für die Praxis: Entwarnung ist gut, Beratung und Kontrolle ist besser

Für Mammakarzinom-Patientinnen mit höheren BMI- und BMD-Werten sowie einer geringen Frakturneigung in der Vorgeschichte liefert die Beobachtungsstudie einen beruhigenden Hinweis: Die Gefahr für Knochenbrüche scheint sich für sie durch eine AI-Therapie möglicherweise nicht relevant zu erhöhen.

Die Leitlinienempfehlungen sind damit freilich keineswegs hinfällig. Bei Brustkrebspatientinnen unter AI-Therapie sollten Knochendichtemessungen durchgeführt und in Abhängigkeit vom Ergebnis und von weiteren Risikofaktoren in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. Unter prophylaktischer osteoprotektiver Therapie kann auf eine solche regelmäßige Kontrolle verzichtet werden.3

Die präventive Behandlung des Krebstherapie-assoziierten Knochenverlusts unterscheidet sich kaum von der sonst üblichen Osteoporose-Therapie. Der behandelnde Gynäkologe sollte auf die Medikation der Patientin achten: Cortison-Präparate sowie andere medikamentöse Therapien, die den Knochenstoffwechsel negativ beeinflussen könnten, sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Im Beratungsgespräch geht es darum, den betroffenen Patientinnen die allgemeinen Empfehlungen verständlich und motivierend ans Herz zu legen:

Dr. Hubertus Glaser

Referenzen:

  1. Banys-Paluchowski M et al. Aromatasehemmer: Eine kritische Bestandsaufnahme. Dtsch Arztebl 2016;113(11):[12]. doi:10.3238/PersGyn.2016.03.18.03
  2. Fachinformationen zu Letrozol Aristo 2,5 mg Filmtabletten und Exemestan Aristo®25 mg überzogene Tabletten; jeweils aktueller Stand
  3. Interdisziplinäre S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. Langversion 4.3, Februar 2020. AWMF-Registernummer: 032-045OL
  4. Cuzick J et al. Effect of anastrozole and tamoxifen as adjuvant treatment for early-stage breast cancer: 10-year analysis of the ATAC trial. Lancet Oncol 2010;11:1135-41
  5. Neuner JM et al. Fractures in a nationwide population‐based cohort of users of breast cancer hormonal therapy. J Cancer Surviv 2018;12:268-75
  6. Leslie WD et al. Fracture Risk in Women with Breast Cancer Initiating Aromatase Inhibitor Therapy: A Registry-Based Cohort Study. Oncologist 2019 ;24(11):1432-8