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Fertilitätsprotektion bei Endometriose: Wann und wie?

Ist es sinnvoll, einer Patientin mit Endometriose Eizellen zu entnehmen und einzufrieren, noch bevor operative Maßnahmen durchgeführt werden?

Die Endometriose gilt nicht nur als die wahrscheinlich häufigste gynäkologische Erkrankung, sondern aufgrund ihrer vielfältigen und unspezifischen Symptomatik auch als „Chamäleon der Gynäkologie“. Trotz der nicht zu unterschätzenden Morbidität gibt es in der Praxis nach wie vor ein Problem mit der Diagnoselatenz.

Nur bei bekannter Endometriose kann geholfen werden

Neben einer frühzeitigen Diagnose und konsequenten Behandlung fordern Experten aktuell auch ein Umdenken bezüglich der Invasivität des Vorgehens und der Laparoskopie als bisherigem Goldstandard. Für die medikamentöse Erstlinientherapie der Endometriose kommen vor allem Gestagene in Frage. Hier hat sich im Langzeiteinsatz (> 1 Jahr) Dienogest (2 mg) bewährt, das auch als einziger Wirkstoff in dieser Indikation zugelassen ist.1,2,3

Im Gegensatz zur Gefahr der Chronifizierung ist das Risiko einer malignen Entartung insgesamt eher als gering einzustufen, wobei sich insbesondere die langjährige Einnahme oraler Kontrazeptiva als Schutzfaktor erwiesen hat.4,5 Allerdings kann die orale Kontrazeption auch eine möglicherweise bestehende Endometriose maskieren. In diesem Fall entgehen klinisch inapparente Frauen nicht nur der Diagnostik, sondern auch einer anderen Maßnahme, die aktuell in der Fachöffentlichkeit intensiv und teilweise kontrovers diskutiert wird: der Fertilitätsprotektion.6

Zielkollektiv für primäre Fertilitätsprotektion schwer erreichbar

In einem Beitrag aus dem vergangenen Jahr heißt es: „Eine individuell angepasste Präzisionschirurgie, die die pathogenetischen Erkenntnisse zur Fertilitätsminderung durch endometriotische Läsionen unterschiedlicher Präsentation berücksichtigt, ist die adäquate Fertilitätsprotektion. Die Asservierung von Ovarialgewebe und Oozyten spielt zum jetzigen Zeitpunkt keine klinisch bedeutsame Rolle. In der Literatur findet man nur wenige Hinweise und erst recht keine hinweisgebende Datenlage zur expliziten Fertilitätsprotektion bei Endometriose.“6

Die Autoren sehen als Zielgruppe für die „Fertilitätsprotektion im eigentlichen Sinn“ junge Schmerzpatientinnen mit noch weit entfernter Schwangerschaftsplanung. Bei ihnen dient das „oocyte banking“ als präventive Maßnahme, um die Konzeptionschancen angesichts von Pathodynamik, fortschreitendem Krankheitsprogress und zunehmendem Alter zu erhöhen. Neben Aufwand und Kosten der primären Fertilitätsprotektion sehen die Spezialisten allerdings ein massives Problem in der Erreichbarkeit des Zielkollektivs: „Hierzu sind suffiziente Früherkennungsprogramme und Präventionsstrategien für Endometriose erforderlich. Ein geeigneter Beratungsalgorithmus erscheint derzeit in weiter Ferne und illusorisch angesichts der flächendeckenden Unterdiagnostik und Unterversorgung von Patientinnen mit Endometriose.“6

Pathologisch und iatrogen bedingte Gefährdung der ovariellen Reserve

Fest steht, dass bei einer Endometriose die ovarielle Reserve von zwei Seiten gefährdet wird: einerseits durch die Erkrankung selbst, die eine „Fertilitätsminderung sui generis“ bedeutet und u. a. über Entzündungen, Verwachsungen und Verklebungen multifaktorielle Auswirkungen hat; andererseits aber auch iatrogen durch das in vielen Fällen erforderliche operative Vorgehen. Bei Patientinnen mit ovarieller Endometriose etwa konnte bezüglich der Sterilität kein therapeutischer Nutzen einer medikamentösen Behandlung nachgewiesen werden. Auch nach gründlicher Abwägung des Operationsrisikos und der damit assoziierten potenziellen Schädigung der Ovarialfunktion stellt die operative Sanierung in den meisten Fällen die Therapie der Wahl dar.6

Die chirurgische Intervention schafft zwar in vielen Fällen einer schweren Endometriose erst die Voraussetzung für einen späteren Schwangerschaftserfolg, gefährdet aber andererseits auch die Fertilität. In welchem Ausmaß das der Fall ist, wird abhängig von der Endometrioseform kontrovers diskutiert. Bei einem Endometrioserezidiv gilt die assistierte Reproduktion mittels In-vitro-Fertilisation (IVF) einem erneuten operativen Eingriff bezüglich der Schwangerschaftsrate als überlegen. Auch jüngere Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch sollten auf den allgemeinen Grundsatz hingewiesen werden, dass die IVF umso früher empfohlen wird, je ausgedehnter der Endometriosebefall und je höher das Lebensalter ist.6

MHH-Untersuchung: postoperative Schwangerschaftsrate von 66 %

Eine positive Nachricht kommt von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH): Es wurden die Fragebogen-Antworten und klinischen Daten von 456 Patientinnen ausgewertet, die sich zwischen 2004 und 2014 wegen mäßiger bis schwerer Endometriose operativ behandeln ließen. Die Frauen waren im Durchschnitt 37 Jahre alt und wiesen zu 66,5 % Stadium III und zu 33,5 % Stadium IV auf. Am häufigsten wurde eine Laparoskopie vorgenommen (63 %), gefolgt von Laparotomie (22 %) und Konversion (15 %).7

Die Endometriose-Läsionen konnten bei 91 % der Patientinnen komplett reseziert werden. Fast die Hälfte der Frauen (49 %) erhielt nach der Operation keine hormonelle Behandlung, hauptsächlich wegen eines bestehenden Kinderwunsches (53 %). Eine komplette oder partielle Symptomlinderung wurde in 93 % der Fälle erzielt. Die postoperative Schwangerschaftsrate war mit 66 % vergleichsweise hoch und die Rezidivrate mit 22 % bemerkenswert niedrig. In ihrer aktuellen Publikation bewerten die deutschen Wissenschaftler die Ergebnisse der individualisierten Therapiekonzepte im Vergleich zur internationalen Literatur als „sehr ermutigend“.7

Fertilitätsprotektion als „zentraler Kern der Endometriose-Therapie“?

Die erste Kasuistik einer medizinisch indizierten Eizellvorsorge bei einer Patientin mit Endometriose wurde schon vor über einem Jahrzehnt (2009) publiziert. Die kanadischen Reproduktionsmediziner vom McGill University Health Center in Montreal empfahlen schlussfolgernd, den Fertilitätserhalt in der präoperativen Beratung von jungen Frauen mit schwerer Endometriose zu berücksichtigen.8

Seither haben sich die Erfolgsraten bei der Kryokonservierung von Eizellen durch Vitrifikation erheblich verbessert. Die Methode zählt mittlerweile zum Standardrepertoire etablierter IVF-Kliniken. In einem aktuellen Beitrag von Reproduktionsmedizinern heißt es mit Verweis auf die zunehmende Indikationserweiterung für die Fertilitätsprotektion über maligne Erkrankungen hinaus: „Es wäre daher sicher an der Zeit, zu diskutieren ob nicht auch die Fertilitätsprotektion ein zentraler Kern der Endometriose-Therapie sein sollte und damit reproduktionsmedizinische Maßnahmen mit am Anfang und nicht am Ende einer Endometriosetherapie stehen sollten.“9

Referenzen:

  1. Schäfer SD, Kiesel L. Diagnostik und Therapie der Endometriose nach der S2k-Leitlinie. Gynäkologe 2018;51:49-60
  2. Casper RF et al. Progestin-only pills may be a better first-line treatment for endometriosis than combined estrogen-progestin contraceptive pills. Fertil Steril 2017;107(3):533-6
  3. Römer T. Long-term treatment of endometriosis with dienogest: retrospective analysis of efficacy and safety in clinical practice. Arch Gynecol Obstet 2018;298(4):747-53
  4. Brinton LA et al. Cancer risk after a hospital discharge diagnosis of endometriosis. Am J Obstet Gynecol 1997;176:572-9
  5. Vercellini P et al. Perimenopausal Management of ovarian endometriosis and related cancer risk: When is medicalor surgical treatmentindicated? Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol 2018;51:151-68
  6. Küpker W et al. Endometriose und Fertilitätsprotektion – sinnvoll oder nicht? Gynakol Endokrinol 2019;17:78-82
  7. Schippert C et al. Reproductive capacity and recurrence of disease after surgery for moderate and severe endometriosis – a retrospective single center analysis. BMC Women's Health 2020;20:144. https://doi.org/10.1186/s12905-020-01016-3Lee D et al. Management of endometriosis-related infertility: Considerations and treatment options. Clin Exp Reprod Med 2020;47(1):1-11
  8. Elizur SE et al. Cryopreservation of oocytes in a young woman with severe and symptomatic endometriosis: a new indication for fertility preservation. Fertil Steril 2009;91(1):293.e1-3
  9. Murtinger M et al. Endometriose und Infertilität – Ätiologie, Pathomechanismen und Paradigmenwechsel in der Kinderwunschtherapie. gyne 2020;2:24-32