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Endometriose diagnostizieren und behandeln: früher ist besser, weniger (invasiv) ist mehr

Die Diagnoselatenz bei der Endometriose ist ein großes Problem, ohne frühzeitige Intervention droht die Chronifizierung des Leidens. Aktuelle Publikationen kratzen am Goldstandard der Laparoskopie.

„Das ist leider nicht ungewöhnlich, dass Schmerzen nicht ernst genommen werden. Das trifft besonders ganz junge Frauen, weil ja viele Erkrankungen erst in fortgeschrittenerem Alter auftreten. Endo tritt aber bei Frauen jeden Alters innerhalb der ‚fruchtbaren Jahre‘ auf. Und man kann sie nicht leicht feststellen, weil sie sich nicht durch veränderte Blutwerte zeigt oder durch bildgebende Verfahren. Das macht die Sache kompliziert.“

Diese aktuell im Internetforum der Europäischen Endometriose Liga (EEL) gepostete Aussage spiegelt aus Patientinnensicht das bekannte „Siebenjahresproblem“ wider: So lange dauert es im Schnitt, bis eine Endometriose diagnostiziert wird. In einer früheren brasilianischen Studie nahm dabei die ermittelte Zeitspanne bis zur Diagnosestellung mit zunehmendem Alter der Patientinnen bei Symptombeginn ab: von 12,1 Jahren (Alter < 20 Jahre) über 4,5 Jahre (20–29 Jahre) auf 3,3 Jahre (> 30 Jahre).1

Durchschnittliche Diagnoselatenz von über 10 Jahren

Angloamerikanische Studien beziffern das mittlere Symptom-Diagnoseintervall sogar auf 8–12 Jahre.2 Für den mitteleuropäischen Raum untersuchten österreichische Wissenschaftler bei 149 Patientinnen mit histologisch verifizierter Endometriose anhand eines selbstgenerierten Fragebogens Dauer und Ursachen der Diagnoseverzögerung.1,2 Die Ergebnisse (durchschnittliche Zeitangaben):

Die Studienteilnehmerinnen wurden auch dazu befragt, wie sich die Mutter während der Kindheit/Jugend zur Menstruation positioniert hatte. Bei negativen Äußerungen dauerte es bis zur Diagnosestellung im Schnitt 14,1 Jahre, bei einer positiven mütterlichen Einstellung mit 7,6 Jahren dagegen nur etwa halb so lang.2

Frühzeitige Diagnose und konsequente Behandlung dringend geboten

Die Endometriose ist mit einer geschätzten Prävalenz von etwa 10 % (mit stark schwankenden Literaturangaben von 2–30 %; bei Unfruchtbarkeit bis 50 %)3,4,5 nicht nur eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen im reproduktiven Alter. Sie weist auch – ungeachtet ihrer Benignität – eine „bemerkenswerte Morbidität“ auf, wie es in der mittlerweile abgelaufenen S2k-Leitlinie3 heißt. Die wesentlichen Kennzeichen sind Schmerzsymptome und Sterilität, die einen teilweise erheblichen individuellen Leidensdruck und eine enorme sozioökonomische Relevanz bedingen.4

Die frühzeitige Diagnose und konsequente Behandlung ist zur Vermeidung einer Chronifizierung – auch mit Blick auf die neurologische Komponente mit ZNS-Beteiligung und Schmerzgedächtnis (!) – dringend geboten. Gleichwohl sollte der Nachweis von Endometrioseherden bei Abwesenheit von Schmerzen, Kinderwunsch und Organdestruktionen als Zufallsbefund von einer Erkrankung im eigentlichen Sinn unterschieden werden.4

Bei symptomatischen Verläufen wird aktuell zunehmend ein Umdenken gefordert, was die invasive Diagnostik und Therapie anbelangt. US-amerikanische und kanadische Gynäkologen renommierter Unikliniken haben sich Anfang dieses Jahres im American Journal of Obstetrics & Gynecology in einem als „call to action“ übertitelten Beitrag für die klinische Diagnose der Endometriose stark gemacht.5 Sie betrachten die vielfältige Symptomatik und den „auf einem invasiven chirurgischen Vorgehen (Laparoskopie) basierenden Goldstandard“ als „inhärente Herausforderungen“, die zum bekannten Diagnoseverzug beitragen. Als Gegenmaßnahmen plädieren die Autoren, unter Mitwirkung des französischen Kollegen Prof. Charles Chapron (Hôpital Universitaire Paris Centre), für eine verstärkte Patientinnenedukation, für die frühzeitige Überweisung zum Gynäkologen und für eine veränderte ärztliche Herangehensweise an die Erkrankung.

Umdenken beim Verständnis und Management der Endometriose gefordert

Demzufolge sollte die Endometriose als chronische, systemische, inflammatorische und heterogene Krankheit mit den Leitsymptomen Unterleibschmerz und/oder Infertilität betrachtet werden, anstatt sich primär auf chirurgische Befunde und Beckenläsionen zu fokussieren. Die Experten gehen davon aus, dass durch intensivierte klinische Diagnostik und frühzeitige Intervention, eingebettet in einen praxistauglichen Algorithmus, das Prozedere vereinfacht werden kann und ein effektives Management der Endometriose breitflächiger und schneller als bisher möglich ist.5

Vor kurzem hat nun ein französisches Autorenteam um Chapron im Fachjournal Nature Reviews Endocrinology nachgelegt: Angesichts des beträchtlichen Fortschritts durch bildgebende Verfahren (wie z. B. transvaginaler Ultraschall und MRT) fordern die Kliniker den Verzicht auf die explorative Laparoskopie zum Aufspüren endometrialer Läsionen. Stattdessen sollte die Diagnose einer Endometriose auf einem strukturierten Prozess basieren, der eine Kombination aus Patientinnengespräch, klinischer Untersuchung und Bildgebung umfasst.6

Anstelle einer Bewertung der Krankheit am Tag der Diagnosestellung (was dann „häufig unmittelbar zur Operation führt“), sollten Gynäkologen „das Leben der Patientin mit der Endometriose“ betrachten. Besteht kein unmittelbarer Kinderwunsch der Patientin, stellt eine Pharmakotherapie die Erstlinienoption zur Behandlung von Unterleibschmerzen dar. Bei Infertilität ist sorgfältig abzuwägen, ob vor der Durchführung einer Endometriose-Operation Techniken der assistierten Reproduktion zum Einsatz kommen sollten. Ein modernes Endometriose-Management erfordert einen individualisierten Ansatz mit patientenzentriertem, multimodalem und interdisziplinär integriertem Konzept.6

ETIC-Positionspapier mit 10 „Don’ts“

Im Juni 2019 hat der Endometriosis Treatment Italian Club (ETIC) nach dem Motto „weniger ist mehr“ ein Positionspapier mit 10 Don‘ts veröffentlicht, die bei der Versorgung von Patientinnen mit Endometriose berücksichtigt werden sollten.7 Zu den Statements mit starkem Evidenz- und Empfehlungsgrad zählen:

Für die medikamentöse Erstlinientherapie kommen vor allem Gestagene und hier in der Regel Dienogest (2 mg) in Frage, das als einziger Wirkstoff für die Behandlung der Endometriose zugelassen ist und sich im Langzeiteinsatz (> 1 Jahr) bewährt hat.4,8,9

Info für die Praxis-Website:
Auf der Website der Europäischen Endometriose Liga können Frauen anhand eines Fragebogens die Wahrscheinlichkeit, an Endometriose erkrankt zu sein, prüfen und dabei auch Zusatzfragen zu Forschungszwecken beantworten.

Referenzen:

  1. Arruda MS et al. Time elapsed from onset of symptoms to diagnosis of endometriosis in a cohort study of Brazilian women. Hum Reprod 2003;18(4):756-9
  2. Hudelist G et al. Diagnoseverzögerung bei Endometriose – was sind die Ursachen? Geburtshilfe Frauenheilkd 2012;72:P16
  3. Interdisziplinäre S2k-Leitlinie für die Diagnostik und Therapie der Endometriose. AWMF-Register Nr. 015/045; gültig bis 30.08.2018 (www.awmf.org; Zugriff am 15.12.2019)
  4. Schäfer SD, Kiesel L. Diagnostik und Therapie der Endometriose nach der S2k-Leitlinie. Gynäkologe 2018;51:49-60
  5. Agarwal SK et al. Clinical diagnosis of endometriosis: a call to action. Am J Obstet Gynecol 2019;220(4):354.e1-354.e12
  6. Chapron C et al. Rethinking mechanisms, diagnosis and management of endometriosis. Nat Rev Endocrinol 2019;15(11):666-82
  7. ETIC Endometriosis Treatment Italian Club. When more is not better: 10 'don'ts' in endometriosis management. An ETIC * position statement. Hum Reprod Open. 2019;2019(3):hoz009. doi:10.1093/hropen/hoz009
  8. Casper RF et al. Progestin-only pills may be a better first-line treatment for endometriosis than combined estrogen-progestin contraceptive pills. Fertil Steril 2017;107(3):533-6
  9. Römer T. Long-term treatment of endometriosis with dienogest: retrospective analysis of efficacy and safety in clinical practice. Arch Gynecol Obstet 2018;298(4):747-53

Abkürzungen:
IVF = In-vitro-Fertilisation
KOK = kombinierte orale Kontrazeptiva
MRT = Magnetresonanztomografie