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„Die Pille“ im Verruf: Verhütungs-Beratung im Praxisalltag

Verhütungsmethoden en masse – die Beratung zum Thema Kontrazeption im gynäkologischen Praxisalltag hat sich in den letzten Jahren maßgeblich verändert. Das Informationsniveau variiert stark und immer mehr Frauen stehen den „klassischen“ Verhütungsmethoden wie der Pille kritisch gegenüber.

Orale Kontrazeptiva immer häufiger abgelehnt – warum?

Nach wie vor ist die klassische Anti-Baby-Pille das von Frauen am häufigsten verwendete Verhütungsmittel, in den letzten Jahren lässt sich jedoch ein Rückgang der Verschreibungen beobachten.1 Hintergrund ist die immer größer werdende Bandbreite an alternativen Methoden, aber auch der Einfluss unwissenschaftlicher Berichterstattung führt zur Verunsicherung bei vielen Frauen und macht die Beratung zu diesem komplexen Thema zu einer Herausforderung für Gynäkologen. Korrekt angewendet zählen orale Kontrazeptiva (OK) nach wie vor zu den sichersten Verhütungsmethoden und können an das individuelle Risiko- und Beschwerdeprofil angepasst auch darüber hinaus positive Zusatzeffekte bewirken.1,2

Faktor Krebsrisiko – gesteigert und reduziert zugleich

„Erhöht die Anwendung der Pille mein Risiko an Brustkrebs zu erkranken?“ – häufig eine der ersten Fragen beim Thema Empfängnisverhütung. Ob und wie stark der Einfluss oraler Kontrazeptiva auf das Risiko für die Entstehung bestimmter Karzinome ist, ist jedoch weiterhin unklar.2 Mehrere Studien zu diesem Thema legen die Vermutung nahe, dass das tatsächliche Risiko zudem von verschiedenen Faktoren abhängt: der hormonellen Zusammensetzung des Kontrazeptivums (reine Progesteron- oder kombinierte Östrogen-Gestagen-Präparate), dem Vorliegen einer onkologischen Erkrankung und der Dauer der Einnahme.3,4 In den im Jahr 2020 aktualisierten Leitlinien zur Empfängnisverhütung wird ein gesteigertes Mamma- und Zervixkarzinom-Risiko unter einer OK-Anwendung nicht ausgeschlossen. Für Zervixkarzinome scheint der risikoerhöhende Effekt abhängig von der Anwendungsdauer auch über das Einnahmeende hinaus zwischen 10 bis 20 Jahre zu bestehen, ähnliches gilt für den Einfluss auf die Entstehung eines Mammakarzinoms. Hier nehmen Frauen mit bekanntem Mamma-Ca in der Anamnese eine Sonderrolle ein – in diesen Fällen wird in den überarbeiteten Leitlinien von hormonellen Kontrazeptiva abgeraten.

Für eine abschließende Beurteilung sind jedoch auch die protektiven Einflüsse zu berücksichtigen. Die Einnahme oraler Kontrazeptiva ist nachweislich mit einer Risikoreduktion für die Entstehung eines Ovarial- und Endometriumkarzinoms verbunden. Je nach Anwendungsdauer ist dieser Effekt für Ovarialkarzinome auch nach Absetzen für bis zu 30 Jahre zu beobachten.2 Eine britische Studie zur Mortalität im Rahmen dieses Themas kommt bei ihren Beobachtungen zu dem Ergebnis, dass sich die Gesamtmortalität (Sterblichkeitsrate durch Mamma- und Zervixkarzinom gesteigert, durch Ovarial- und Endometriumkarzinom gesenkt) von OK-Anwenderinnen nicht von Frauen unterschied, die niemals hormonelle Kontrazeptiva eingenommen haben.5

Thromboembolie-Risiko – abhängig von der Zusammensetzung

Die Wahl der Verhütungsmethode sollte immer unter Berücksichtigung des individuellen VTE-Risikos der Patientin getroffen werden. In den aktualisierten Leitlinien wird davon ausgegangen, dass unter der Anwendung kombinierter Kontrazeptiva (KOK) das Risiko für thromboembolische Ereignisse je nach Konzentration des Östrogen- und Art des Gestagenanteils um den Faktor 2 bis 4 erhöht ist (zum Vergleich: Faktor 6 während der Schwangerschaft, Faktor 22 im Wochenbett). Dazu zählen ebenfalls parenterale Verhütungsmethoden wie Vaginalringe oder Verhütungspflaster. Bei einigen reinen Gestagen-Monopräparaten konnte kein erhöhtes VTE-Risiko nachgewiesen werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfiehlt in diesem Zusammenhang primär die Verordnung von KOK mit dem geringsten Thromboserisiko, bei Vorliegen entsprechender Risikofaktoren für VTE sollte auf Gestagen-Monopräparate ausgewichen werden.2

Zyklusstörungen – weniger Beschwerden im Langzeitzyklus

Es hat sich gezeigt, dass der damalige Ansatz, bei der Entwicklung kombinierter hormoneller Kontrazeptiva eine möglichst physiologische Abfolge der zyklusbedingten Veränderungen unter der Einnahme einzuhalten, medizinisch nicht zu begründen ist und gerade die regelmäßige Menstruationsblutung von vielen Frauen nicht gewünscht wird. Aus diesem Grund stehen mittlerweile auch verschiedene Schemata zur kontinuierlichen Anwendung zur Verfügung.2 Einige orale Kontrazeptiva bieten dabei den Vorteil, das Einnahmefenster flexibel auf die gewünschte Situation anzupassen. Im Vergleich zeigte die Anwendung kombinierter Kontrazeptiva im konventionellen Einnahmezyklus (21 Tage Hormoneinnahme, 7 hormonfreie Tage) keine Unterschiede bezüglich gesundheitlicher Risiken oder der kontrazeptiven Sicherheit zur Anwendung im Langzeitzyklus (90 Tage bis hin zur kontinuierlichen Einnahme). Besonders empfohlen wird die Anwendung im Langzeitzyklus für Frauen mit Menstruations-assoziierten Beschwerden wie Migräne, Dysmenorrhoe oder intestinalen Irritationen, da die kontinuierliche Einnahme eine Reduktion der Symptome bewirkt.2 Im Vergleich zu intrauterinen Verhütungssystemen (IUD), die ebenfalls als Langzeitkontrazeptionsmethode (kupfer- oder gestagenhaltig) eingesetzt werden, treten bei den OKs insgesamt weniger unerwünschte Blutungsereignisse auf.

Sicherheit – Pearl-Index im Vergleich zu anderen Methoden

Bei der Sicherheit der zur Verfügung stehenden Verhütungsmethoden gibt es große Unterschiede, auch innerhalb der Gruppe der oralen Kontrazeptiva. Bei korrekter Anwendung beträgt der Pearl-Index für kombinierte Östrogen-Gestagen-Präparate zwischen 0,1 und 0,9, für östrogenfreie Minipillen durchschnittlich 0,5. Damit gehören OKs mit anderen hormonellen Verhütungsmethoden (Pearl-Index: Hormonpflaster 0,9, Vaginalring 0,7, Dreimonatsspritze 0,5) zu den sichersten Varianten der Empfängnisverhütung, ebenso wie hormonelle Intrauterinpessare mit einem Pearl-Index von 0,05-0,1 (Kupferspirale 0,5-2,7).7 Entscheidend für die Sicherheit oraler Kontrazeptiva ist die entsprechende Aufklärung von OK-Anwenderinnen über die kontinuierliche Einnahme innerhalb des vorgegebenen Zeitfensters als Grundvoraussetzung der maximalen Schutzwirkung des jeweiligen Präparats.

Nebenwirkungen – nicht immer unerwünscht

Je nach hormoneller Zusammensetzung können bei der Einnahme oraler Kontrazeptiva neben den bereits genannten Komplikationen wie thromboembolischen Ereignissen unterschiedliche Nebenwirkungen auftreten, nicht alle davon werden jedoch von den Anwenderinnen als unerwünscht empfunden. Bei einem Großteil der Frauen kommt es durch die Einnahme eines OK zur Reduktion von Menstruations-assoziierten Beschwerden wie Schmerzen, prämenstruellem Syndrom oder starken Blutungen. Letztere fallen bei der konventionellen Einnahme mit hormonfreier Pause häufig schwächer aus. Außerdem beliebt ist der Einsatz von OK-Präparaten mit antiandrogener Wirkung bei Frauen, die eine Verbesserung des Hautbilds wünschen.2

Die große Bandbreite an zur Verfügung stehenden Verhütungsmethoden setzt heutzutage ein hohes Maß an Kompetenz und Kenntnis über Nutzen und Risiken der aktuellen Möglichkeiten für eine adäquate Kontrazeptions-Beratung voraus. Gleichzeitig bietet sie aber auch die Möglichkeit, Verhütungskonzepte optimal an die individuelle Situation und das jeweilige Risikoprofil der Frauen anzupassen. Gerade orale Kontrazeptiva bieten hier eine große Flexibilität – immer unter der Voraussetzung, dass aus medizinischer Sicht keine Kontraindikationen vorliegen und eine entsprechende Compliance auf Patientenseite besteht.

Quelle:

  1. Strowitzki T, Sonntag B. Update Kontrazeption. Gynäkol. 1. Februar 2019;52(2):88–9.
  2. Gaß P. AWMF Leitlinienprogramm - Hormonelle Empfängnisverhütung - DGGG, OEGGG und SGGG, Letlinienklasse S3, Version 1.2. September 2020;190.
  3. Fabre A, Fournier A, Mesrine S, Desreux J, Gompel A, Boutron-Ruault M-C, u. a. Oral progestagens before menopause and breast cancer risk. Br J Cancer. 12. März 2007;96(5):841–4.
  4. Contemporary Hormonal Contraception and the Risk of Breast Cancer - PubMed [Internet]. [zitiert 10. März 2021]. Verfügbar unter: https://pubmed-ncbi-nlm-nih-gov.emedien.ub.uni-muenchen.de/29211679/
  5. Lifetime cancer risk and combined oral contraceptives: the Royal College of General Practitioners’ Oral Contraception Study - PubMed [Internet]. [zitiert 10. März 2021]. Verfügbar unter: https://pubmed-ncbi-nlm-nih-gov.emedien.ub.uni-muenchen.de/28188769/
  6. IUP zur Empfängnisverhütung bei jungen Frauen - Georg Thieme Verlag - Gynäkologie und Geburtshilfe [Internet]. Thieme. [zitiert 10. März 2021]. Verfügbar unter: https://www.thieme.de/de/gynaekologie-und-geburtshilfe/iup-zur-empfaengnisverhuetung-bei-jungen-frauen-48420.htm
  7. Meine Pille – So funktioniert die Pille [Internet]. [zitiert 10. März 2021]. Verfügbar unter: https://www.meine-pille.de/die-pille