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Leitlinie zur Lebertransplantation erschienen

Aktuell sind Delegierte der DGIM-Kommission „Leitlinien“ an über 90 Leitlinien der internistischen Schwerpunktgesellschaften beteiligt. So auch an der ganz neuen Leitlinie zur Lebertransplantation. Für die DGIM arbeitete Dr. med. Rainer Günther, Leiter des Bereichs Hepatologie am Universitätsklinikum Schleswig Holstein in Kiel, an den Empfehlungen mit.

Mehr als 50 Jahre nach der ersten erfolgreichen Lebertransplantation (LTx) hierzulande und 60 Jahre nach der weltweilt erstmaligen LTx liegt nun die erste deutsche Leitlinie zur Lebertransplantation vor. In den letzten Jahren wurden in Deutschland pro Jahr durchschnittlich fast 800 postmortale Leber- und ca. 50 Leberlebend-Transplantationen an 21 Transplantatonszentren durchgeführt.

Allgemeines

Die S2k-Leitlinie Lebertransplantation der DGVS und DGAV wurde 2016 begonnen und liegt seit Dezember 2023 in ihrer endgültigen Fassung vor. Sie ist ein Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Innerer Medizin und Chirurgie sowie allen beteiligten Fachgebieten und Patientenorganisationen und basiert auf der konstruktiven Zusammenarbeit der am Lebertransplantationsprozess praktisch beteiligten Mitarbeitenden. Die Leitungen der Arbeitsgruppen waren jeweils paritätisch (Chirurgie, Innere Medizin) besetzt.

Bei der Entwicklung der Leitlinie wurde aber auch die oft fehlende Evidenz und der Mangel an validen klinischen Studien sichtbar.
Mit der Vereinheitlichung der klinischen Abläufe wird nun die Zusammenarbeit der Transplantationszentren und die Transplantationsforschung gestärkt. Im Folgenden werden die internistisch relevanten Aspekte näher vorgestellt.

Erstes Ziel: Transplantation vermeiden

Dass eine Lebertransplantation Leben retten kann, ist unbestritten. Dass aber auch jede Maßnahme, die eine Lebertransplantation im Sinne der Patienten vermeiden kann, sinnvoll ist, ist ein wesentlicher Punkt. Dies wird bereits im ersten Kapitel ausgeführt: „Grundsätzlich soll vorher alles unternommen werden, um eine Lebertransplantation zu verzögern oder zu verhindern. Dies beinhaltet die Behandlung der entsprechenden Grunderkrankung (z.B. antivirale Therapie oder Alkoholabstinenz), was zu einer drastischen Verbesserung der Leberfunktion und der Prognose des Patienten/der Patientin führen kann. Gleiches gilt für die spezifische Therapie der einzelnen Komplikationen […].“
Bei bestehender Indikation sollte aber immer eine rechtzeitige Vorstellung in einem Lebertransplantationszentrum erfolgen: „Patienten mit einer Leberzirrhose, die generell für eine Lebertransplantation in Frage kommen, sollen spätestens in einem Lebertransplantationszentrum vorgestellt werden, wenn entweder der MELD-Score ≥15 ist oder unabhängig vom MELD-Score, Komplikationen der Zirrhose auftreten (Empfehlung 1.2.1).“
Der MELD-Score sollte dabei aber nicht das alleinige Kriterium sein, sondern auch die klinische Beurteilung der Situation: „Bei schwerwiegenden Komplikationen der Leberzirrhose sollte auch bei einem MELD <15 die Indikation zur Lebertransplantation geprüft werden (Empfehlung 1.2.2).“
Hervorzuheben ist zudem die konsensuelle Entscheidungsfindung zur Transplantation: „Die Entscheidung über eine Lebertransplantation sollte bei diesen Patienten auf individueller Basis und unter Einbeziehung des Patientenwillens durch die interdisziplinäre Transplantationskonferenz getroffen werden (Empfehlung 1.2.2.).

Patienten mit akutem Leberversagen

Das akute Leberversagen (ALV) stellt für alle Beteiligten eine besondere Situation dar. Die ärztliche Entscheidung zwischen der Möglichkeit einer Leberregeneration und dem richtigen Zeitpunkt der Lebertransplantation ist immer wieder im Team zu diskutieren. Die bisher dafür verwendeten Scores bilden die komplexe Situation nicht immer vollständig ab. Zwei neue Konzepte sind hervorzuheben:

Das Kapitel gibt zusätzlich eine gute Handlungsanweisung für die minimalen Standards für die Evaluation beim ALV.
Ausführlich geht die Leitlinie auch auf das „Akut-auf-chronische Leberversagen“ (ACLV) ein. Es ist gekennzeichnet durch eine ungünstige Prognose und bedarf wie das ALV einer rechtzeitigen Kontaktaufnahme mit einem Lebertransplantationszentrum und einer schnellen Entscheidungsfindung. Dabei sollte auch ein ACLV Grad 3 nicht als generelle Kontraindikation zur Lebertransplantation angesehen werden

Alkoholische Steatohepatitis

Eine weitere Besonderheit stellt die Behandlung einer akuten alkoholischen Steatohepatitis mit konsekutivem, therapierefraktärem Leberversagen dar. In Analogie zum ACLV sollten diese Personen zeitnah in einem Transplantationszentrum vorgestellt werden.
Denn auch für Fälle mit alkoholischer Genese, die nicht auf die initiale Behandlung ansprechen, kann nun nach einem sorgfältigen interdisziplinären Evaluationsprozess eine frühe Listung zur Lebertransplantation erfolgen.

Komorbiditäten

Neben den bekannten organischen und psychiatrischen Kontraindikationen geht die Leitlinie auch auf die relevanten Bevölkerungsentwicklungen – Lebensalter und Adipositas – ein. Sowohl das Alter (>70 Jahre) als auch einen Body-Mass -Index ≥40 kg/m2 soll man nicht allein als Kontraindikation für eine Lebertransplantation werten, sondern immer im Kontext des Gesamtzustandes des Patienten und unter Berücksichtigung der Komorbiditäten betrachten.

LTx bei Leberkrebs

Das Kapitel zum Hepatozellulären Karzinom (HCC) folgt den internationalen Standards und steht im Konsens mit den aktuellen deutschen Richtlinien zur Lebertransplantation der Bundesärztekammer (BÄK) und der deutschen HCC Leitlinie. Die Leitlinie ermöglicht aber auch Ausnahmen auf dem Boden wissenschaftlicher Daten und stellt somit einen Korridor dar, der individuelle Entscheidungen in Bezug auf das Tumorgeschehen und die zugrundeliegende Lebererkrankung ermöglicht. Patienten mit einem kurativ behandelbaren HCC sollten aber immer in einem Lebertransplantationszentrum vorgestellt werden. Im Gegensatz zu den Richtlinien der BÄK und der HCC-Leitlinie, sieht die S2k-LTx-Leitlinie auch denTumormarker Alphafetoprotein (AFP) als Entscheidungshilfe vor.

Patientenmanagement

Einen großen Abschnitt nimmt der Themenkomplex Evaluation und Management auf der Warteliste ein. Der Bereich ist sehr praxisorientiert und vereinheitlicht die in den Zentren bereits etablierten Standards. Insbesondere wird auf das signifikant erhöhte operative Risiko für Menschen mit Zirrhose auf der Warteliste hingewiesen. Elektive operative Eingriffe sollten wegen der Gefahr der Leberfunktionsverschlechterung und der daraus resultierenden erhöhten Morbidität und Letalität nur nach strenger Indikationsstellung erfolgen.

In den Kapiteln Immunsuppression und Komplikationsmanagement steht die Harmonisierung der Abläufe im Vordergrund. Das Kapitel Immunsuppression enthält eine Vielzahl übersichtlicher, praxisorientierter Tabellen. Eine möglichst steroidarme/-freie und an die hepatologische Grunderkrankung angepasste Immunsuppression ist das wesentliche Leitbild des Kapitels. Der post-LTx-Verlauf wird im Wesentlichen durch den körperlichen Zustand der Patienten vor der Transplantation definiert. Die rechtzeitige Diagnostik und Behandlung von Komplikationen der Zirrhose (Sarkopenie, Frailty) sind mit einem signifikant besseren post-LTx-Verlauf vergesellschaftet.
Die Nachsorge und der Langzeitverlauf nach einer Transplantation wird auf fast 50 Seiten dargelegt und lässt sich zusammenfassen mit: „Ein transplantierter Patient bleibt lebenslang ein transplantierter Patient“. Es wird Stellung genommen zu den möglichen frühen post-operativen Komplikationen, aber auch zum Langzeitmanagement inkl. der medikamentösen und altersassoziierten Aspekte. Ein Jahr post-LTx können in Abhängigkeit vom Verlauf auch individualisierte, zentrumsassoziierte und sektorenübergreifende Nachsorgekonzepte erfolgen.
Im Kapitel „Rezidiv der Grunderkrankung – Therapie und Prophylaxe“ erfolgt noch eine umfassende Darstellung in Bezug auf Lebergrunderkrankung sowie entsprechende Verweise auf ergänzenden Leitlinien.
Das letzte Kapitel „Leberlebendspende“ gibt abschließend eine sehr gute, praxis orientierte Übersicht über dieses leider nur noch an wenigen deutschen Zentren routinemäßig etablierte Transplantationskonzept. Im Vordergrund steht dabei immer der Spenderschutz.

Bedeutung der Leitlinie

Mit der S2k-Leitlinie Lebertransplantation wurde ein Standard geschaffen, auf dem sich aufbauen lässt und der die Versorgungslage in Deutschland verbessern kann. Weiterhin ergänzt sie die aktuellen Leitlinien „nicht-alkoholische Fettlebererkrankung“ (AWMF-Registernummer: 021–025) sowie „Diagnostik und Therapie des Hepatozellulären Karzinoms (AWMF-Registernummer: 032/053OL) optimal. In den Querschnittspunkten sind die drei Leitlinien kongruent und dadurch ebenfalls intersektoral und interdisziplinär verbindlich.

Bewertung der Entwicklungsdauer

Die Entstehung begann mit teils intensiven Diskussionen mit der BÄK in der initialen Phase 2015/2016 der Leitlinienentwicklung. Die BÄK befürchtete, dass mit den von der Ständigen Kommission Organtransplantation der BÄK (StäKO) formulierten Richtlinien zur Lebertransplantation und der S2k-Leitlinie zwei verschieden Standards zur Lebertransplantation in Deutschland vorliegen könnten. Insbesondere galt dies für den Abschnitt der Indikation zur Lebertransplantation. Natürlich sind für die Transplantation auch die normativen juristischen und ethischen Aspekte von wesentlicher Bedeutung. Das sollte aber nicht dazu führen, dass eine Richtlinie, mit ihrer im Wesentlichen juristisch-ethischen Kernkompetenz, die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse einer Leitlinie ad absurdum führt.
Der stattgehabte Ablauf sollte einen Diskurs eröffnen, damit in Zukunft der Erstellungsprozess im Sinne unserer Patientinnen und Patienten zügiger erfolgen kann. Weiterhin ist zu überlegen, ob nicht auch die Zugehörigkeit zu entsprechenden Kommissionen, wie der StäKO, in der Leitlinie dokumentiert werden sollte, um Motivation und Entscheidungen der Beteiligten besser zu verstehen. Die Freiheit des wissenschaftlichen Beitrags ist zu schützen, gleichzeitig müssen aber auch methodische Transparenz und Genauigkeit gegeben sein. Ein Qualitätsprinzip, das in der Wissenschaft schon jeher zum Standard gehört.
Eine Folge der Entstehungsprozesse seit 2016 ist, dass der größte Teil der Literaturangaben und damit die Basis der Empfehlungen aus der Anfangszeit der Leitlinienarbeit stammt. Auch die bereits international etablierte modifizierte Bezeichnung zur metabolischen Fettlebererkrankung findet sich in der vorliegenden Konsultationsfassung noch nicht.

Fazit

Die aktuelle S2k-Leitlinie Lebertransplantation ist sicherlich nicht der letzte Schritt und muss zeitnah an die aktuellen medizinischen Entwicklungen angepasst werden. Sie bietet aber eine gute Informations- und Handlungsbasis sowohl für den Transplantationsspezialisten als auch den Behandler von Patienten mit Lebererkrankungen. Sie hat im positiven Sinn einen Lehrbuchcharakter und eignet sich hervorragend als Vorbereitung für die Zusatzweiterbildung Transplantationsmedizin.
Die gesamte Leitlinie und weitere Infos dazu gibt es unter.