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Was bedeutet die Diagnose für das körperliche, psychische und soziale Wohlergehen?

Eine Krebsdiagnose ist für die Betroffenen nicht nur eine physische Belastung, sie kann auch die Lebensqualität massiv einschränken. Das wiederum kann Folgen für die Therapieadhärenz haben. Daher ist es wichtig, Wohlbefinden und Zufriedenheit der Patienten nicht aus dem Blick zu verlieren.

Kernpunkte:

  • Lebensqualität umfasst das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden.
  • Die Erhebung der Lebensqualität ist ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik bei Krebspatienten.
  • Eine psychoonkologische Betreuung sollte integraler Bestandteil der onkologischen Behandlung sein.
  • Der Arzt trägt mit einer patientenzentrierten Gesprächsführung wesentlich zur Stärkung der Lebensqualität bei.

Bei der Bewertung der Wirksamkeit neuer Krebsmedikamente geht es meist um „harte“ Daten wie Ansprechrate, Gesamtüberleben und progressionsfreies Überleben. Für den Arzt sind dies wichtige Informationen, die ihm bei der Therapieentscheidung helfen.

Für die Betroffenen selbst spielen jedoch oft noch ganz andere Aspekte eine Rolle: Wie gut verträglich ist die Behandlung? Mit welchen Langzeitfolgen ist zu rechnen? Was bedeutet die Erkrankung für das soziale Umfeld? Wie ist die berufliche Perspektive?

Diese qualitative Bewertung durch die Patienten selbst wird zunehmend auch wissenschaftlich anerkannt und erfasst. Sogenannte „patient-reported-outcomes“ (PRO) gehören mittlerweile in Studien zu den gängigen Endpunkten. Sie dienen dazu, die Lebensqualität zu erfassen und auf dieser Grundlage medizinisch ebenbürtige Therapien zu vergleichen.1

Lebensqualität – mehr als körperliche Integrität

Doch was ist eigentlich unter Lebensqualität zu verstehen? Der Duden definiert sie als „durch bestimmte Annehmlichkeiten [...] charakterisierte Qualität des Lebens, die zu individuellem Wohlbefinden führt“.2 In der Medizin wird der Begriff umfassender verwendet:

„Es handelt sich hier um die vom Patienten selbst erlebte Befindlichkeit und Funktionsfähigkeit, die Fähigkeit, Rollen im täglichen Leben zu übernehmen und die Alltagstätigkeiten zur Zufriedenheit auszuführen. Zusammenfassend definiert, bezeichnet Lebensqualität das Gesamte der körperlichen, psychischen, sozialen und funktionalen Aspekte von menschlichem Erleben und Verhalten, wie sie von der Person selbst geäußert werden.“3

Wichtige Aspekte gesundheitsbezogener Lebensqualität sind demnach:

Lebensqualität bedeutet also weit mehr als nur körperliche Integrität. Gerade für Krebspatienten ist die Diagnose oft zutiefst erschütternd. Sie schürt Ängste, wirft Fragen nach der beruflichen Zukunft auf und stellt das gesamte soziale Umfeld auf die Probe. Dabei stehen körperliche Beschwerden, psychische Belastungen und soziale Probleme in enger Wechselwirkung und können einander verstärken.4 Die Lebensqualität onkologischer Patienten ist oft auch noch Jahre nach Ende der Behandlung eingeschränkt.1

Hintergrundinformation: Krebs und Psyche4

  • Eine allgemeine hohe psychische Belastung (Distress) tritt bei bis zu 59 % der Krebspatienten auf.
  • Bis zu 48 % entwickeln starke Ängste. Zentral ist vor allem die Angst vor einem Rezidiv und Fortschreiten der Erkrankung.
  • Depressivität und Niedergeschlagenheit betreffen bis zu 58 % der Patienten.
  • Die häufigsten manifesten psychischen Komorbiditäten nach ICD sind affektive Störungen, Angststörungen, Anpassungsstörungen und Störungen durch psychotrope Substanzen. Viele bleiben unbehandelt.

Lebensqualität lässt sich messen

Um die Lebensqualität zu erfassen, stehen standardisierte Fragebögen zur Verfügung, die einfach im klinischen Alltag zu implementieren sind. Bewährt ist beispielsweise der EORTC QLQ (European Organization for Research and Treatment of Cancer Quality of Life Questionnaire).5 Er enthält einen Kernfragebogen sowie vertiefende Module zu unterschiedlichen Diagnosen, Therapien und Symptomen. In einem weiteren Modul werden übergeordnete Aspekte wie Patientenzufriedenheit und Spiritualität erfragt.

Abb. 1: Erfassung der Lebensqualität anhand von EORTC QLQ C30.4

Darüber hinaus sollten gemäß S3-Leitlinie „Psychoonkologie“ alle Krebspatienten ein Screening auf allgemeine psychosoziale Belastungen erhalten.4 Ein häufig verwendetes Instrument ist das NCCN Distress-Thermometer.6 In einer visuellen Analogskala wird die Belastung mit einer Zahl von 1 (keine Belastung) bis 10 (extreme Belastung) erhoben. Ab einem Wert von 5 sollen die Betroffenen ergänzende Hilfe erhalten und ggf. an Psychosomatik/Psychiatrie, Sozialberatung oder Seelsorge überwiesen werden.

Abb. 2: Anwendung des NCCN Distress-Thermometers.1

Psychoonkologie steht jedem Krebspatienten zu

Für Menschen mit malignen Lymphomen sollte eine psychoonkologische Betreuung bei Bedarf integraler Bestandteil der Behandlung sein.1 Klare Indikationen sind manifeste Depressionen oder Angststörungen, psychosozialer Distress, Krisensituationen sowie eine erschwerte Krankheitsverarbeitung.1 Letztere kann sich in einer vermeintlichen Non-Compliance äußern und damit den Behandlungserfolg schmälern. Umso wichtiger ist es, die Sorgen und Nöte der Patienten zu erkennen, ihre eigenen Ressourcen zu aktivieren und ihnen zu einem angemessenen Umgang mit der Erkrankung zu verhelfen.

Neben psychoonkologischen Maßnahmen gehört die sozialmedizinische Beratung und Begleitung zu den zentralen Säulen von Rehabilitation und Nachsorge. Daten zeigen, dass in Deutschland nur ein Drittel bis die Hälfte der Patienten ihren Beruf nach Abschluss der Behandlung wieder aufnehmen.7 Dabei kann der Beruf neben der finanziellen Sicherheit auch einen Gewinn an Lebensqualität bedeuten, da er das Selbstvertrauen stärkt und den Betroffenen wie auch deren Angehörigen zurück in den Alltag verhilft. Lymphompatienten sollten daher bei der beruflichen Rehabilitation und ggf. einer stufenweisen Wiedereingliederung unterstützt werden.1

Der Arzt als Begleiter und Berater

Welche Rolle spielt dabei der Arzt? Der Schlüssel zu einem vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnis ist die sogenannte patientenzentrierte Kommunikation. Ihr ist in der S3-Leitlinie „Psychoonkologie“ ein eigenes Kapitel gewidmet.4 Gemeint ist eine offene, zugewandte Gesprächsführung, in der das Gegenüber in seiner aktuellen Situation umfassend wahrgenommen und unterstützt wird.

Die 6 Funktionen patientenzentrierter Kommunikation bei Krebspatienten:8

Was eine patientenzentrierte Kommunikation bewirken kann, zeigen Studien. So führt sie zu einem besseren psychischen Befinden und einer höheren Patientenzufriedenheit.9 Außerdem fördert eine empathische Gesprächsführung die Therapieadhärenz. In einer Metaanalyse erzielten kommunikativ zugewandte Behandler eine um knapp 20 % höhere Adhärenz als Kollegen mit geringen kommunikativen Kompetenzen.10

Die Unterstützung nicht nur bei physischen, sondern auch bei psychischen und sozialen Problemen ist eine Kernaufgabe ärztlichen Handelns. Die Bedeutung des Arztes für die Lebensqualität und Zufriedenheit seiner Patienten kann dabei nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Weitere Informationen und Unterstützungsangebote:

  • Projektgruppe Psychoonkologie TZM und Netzwerk psychosoziale Onkologie München (N-PSOM)
  • Krebsinformationsdienst (krebsinformationsdienst.de)
  • Deutsche Leukämie- und Lymphom-Hilfe (leukaemie-hilfe.de)
  • Deutsche Krebsgesellschaft DKG (krebsgesellschaft.de)

Referenzen:

  1. TZM Tumorzentrum München. Manual Maligne Lymphome. 12. Aufl. München: Zuckschwerdt; 2023.
  2. „Lebensqualität“ auf Duden online. URL: https://www.duden.de/rechtschreibung/Lebensqualitaet (letzter Aufruf: August 2023).
  3. Bullinger M (1997) Entwicklung und Anwendung von Instrumenten zur Erfassung der Lebensqualität. In: Bullinger M (ed) Lebensqualitätsforschung. Bedeutung – Anforderung –Akzeptanz. Stuttgart, Schattauer: 1–6.
  4. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatient*innen, Langversion 2.0, 2023, AWMF-Registernummer: 032-051OL https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Psychoonkologie/Version_2/LL_Psychoonkologie_Langversion_2.0.pdf (letzter Zugriff: August 2023).
  5. Aaronson NK et al (1993) The European Organization for Research and Treatment of Cancer QLQ-C30: a quality-of-life instrument for use in international clinical trials in oncology. J Natl Cancer Inst 85(5): 365–76.
  6. Holland CJ (1997) Preliminary guidelines for the treatment of distress. Oncology 11: 109–14.
  7. Hensel M, Egerer G et al (2002) Quality of life and rehabilitation in social and professional life after autologous stem cell transplantation. Ann Oncol 13: 209–17.
  8. Epstein R, Street R. Patient-Centered Communication in Cancer Care: Promoting Healing and Reducing Suffering. 2007; URL: https://doi.org/10.1037/e481972008-001
  9. Lelorain S, Brédart A, Dolbeault S, Sultan S. A systematic review of the associations between empathy measures and patient outcomes in cancer care. Psycho-Oncology. 2012;21:1255-1264. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22238060
  10. Zolnierek KBH, Dimatteo MR. Physician communication and patient adherence to treatment: a meta-analysis. Medical Care. 2009;47:826-834. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19584762

Abkürzungen:
EORTC = European Organization for Research and Treatment of Cancer
ICD = International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems
NCCN = National Comprehensive Cancer Network

DE-61960/23