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BTKi-Therapie und Vorhofflimmern: der klinisch relevante Unterschied

Bei vergleichbarer Wirksamkeit weist Acalabrutinib gegenüber Ibrutinib ein günstigeres kardiovaskuläres Verträglichkeitsprofil auf. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Vorhofflimmern.

Die orale Therapie mit Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren (BTKi) bildet heute einen Grundpfeiler der leitliniengerechten Behandlung von therapiebedürftigen Patient:innen mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL).1 Als Monotherapie kommt ihr eine – in Pandemie-Zeiten besonders relevante – Ausnahmestellung zu. Denn sie zählt als singuläres Therapieregime über alle Indikationssegmente hinweg zu den empfohlenen Optionen.1

Für den Erfolg einer Dauertherapie ist die Verträglichkeit entscheidend

Während in früheren Jahren Ibrutinib als erster und einziger BTKi-Substanzklassenvertreter die Führungsrolle beanspruchte, hat sich im vergangenen Jahr Acalabrutinib als ein primus inter pares in der dynamischen Therapielandschaft der CLL etabliert.1-6 Der Grund dafür liegt in einem verbesserten Verträglichkeitsprofil bei gleichzeitig nicht-unterlegener Wirksamkeit gegenüber Ibrutinib. Beides konnte in der Head-to-Head-Studie ELEVATE-RR demonstriert werden.7 Für den hochselektiven BTKi der 2. Generation hatte sich bereits zuvor in indirekten Vergleichen mit anderen zielgerichteten Therapien „ein niedrigeres Nebenwirkungsrisiko ohne Wirksamkeitsverlust“ abgezeichnet.6

Zwar kann das Toxizitätsprofil von Ibrutinib gegenüber einer Chemotherapie als allgemein günstig gelten, es weist aber Schwachstellen hinsichtlich seiner kardiovaskulären Verträglichkeit auf. Dazu gehören ein erhöhtes Blutungsrisiko sowie das Auftreten von Vorhofflimmern (VHF).8-10 In einer Metaanalyse von vier Studien war das gepoolte relative Risiko für VHF unter Ibrutinib im Vergleich zu anderen Therapien um nahezu das Vierfache erhöht (3,9; p < 0,0001).11 Was das für die Praxisroutine bedeutet, zeigen retrospektive Analysen mit ambulanten Versorgungsdaten: Am häufigsten wird eine Therapie mit Ibrutinib aus Toxizitätsgründen abgebrochen, wobei das Vorhofflimmern eine prominente Rolle spielt.12-14

Wie kommt es zur erhöhten VHF-Inzidenz unter Ibrutinib?

Diese Frage ist Gegenstand der aktuellen Forschung. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich dabei um einen Off-Target-Effekt handeln könnte, da Ibrutinib neben der BTK als Zielkinase auch noch eine Reihe von weiteren Kinasen inhibiert. Im Mausmodell führte die vierwöchige Behandlung mit Ibrutinib zu erhöhten Raten von induzierbarem Vorhofflimmern und Fibrosierung am Herzen. Basierend auf diesem Befund und weiteren experimentellen Ergebnissen gehen die Studienautoren davon aus, mit der Off-Target-Hemmung der C-terminalen Src-Kinase (CSK) den Mechanismus für die VHF-Entwicklung unter Ibrutinib identifiziert zu haben. Acalabrutinib inhibierte die CSK im Rahmen dieser Untersuchungen nicht.15

Auch andere präklinische Ergebnisse aus elektrophysiologischen Studien im Mausmodell belegen arrhythmogene Effekte von Ibrutinib.16 In weitergehenden Untersuchungen waren in diesem Setting unterschiedliche Wirkungen von Ibrutinib und Acalabrutinib auf die atriale Elektrophysiologie und die Ionenkanalfunktion zu beobachten. Aktuell publizierte Daten aus diesen Experimenten erlauben Einblicke in Vorgänge, auf deren Basis Ibrutinib eine erhöhte VHF-Suszeptibilität und Sinusknoten-Dysfunktion bewirkt, Acalabrutinib dagegen nicht.17

Acalabrutinib: höhere Selektivität, niedrigere VHF-Inzidenz, nichtunterlegene Wirksamkeit

Dass sich Vorhofflimmern ungünstig auf die kardiovaskuläre Mortalität und die Gesamtsterblichkeit auswirkt, ist schon lange aus der Framingham-Studie bekannt.18 Die Limitierung eines therapeutisch bedingten VHF-Risikos bei CLL-Patient:innen ist folglich von hoher Relevanz und zählt zu dem medizinischen Bedarf, dem mit der Entwicklung von Acalabrutinib Rechnung getragen wurde.19 Der BTKi der 2. Generation weist ein deutlich selektiveres Bindungsverhalten als Ibrutinib auf, wodurch die möglicherweise nebenwirkungsrelevante Inhibition verschiedener Off-Target-Kinasen (u. a. solche der Src-Familie) vermieden wird.20-22

Die pharmakologischen Unterschiede im Kinom-Profil und die präklinischen Erkenntnisse werden durch eine wachsende klinische Evidenz untermauert. Im direkten Vergleich (ELEVATE RR-Studie) trat Vorhofflimmern/-flattern aller Grade unter Acalabrutinib signifikant seltener auf als unter Ibrutinib bei bereits vorbehandelten Patient:innen mit CLL (9 % vs. 16 %, p = 0,02).7 Die in zwei gepoolten Analysen23,24 von CLL-Patient:innen unter Monotherapie mit Acalabrutinib ermittelte Inzidenz von VHF bzw. Vorhofflimmern/-flattern aller Grade liegt mit 4 % bzw. 5 % auf einem niedrigen Niveau, das mit demjenigen der allgemeinen CLL-Population vergleichbar ist. Da Vorhofflimmern auch unabhängig von einer BTKi-Therapie auftreten kann, ist die ist die Abgrenzung zwischen therapieabhängigem und -unabhängigem Vorhofflimmern nicht ganz einfach. Bei der Untersuchung eines größeren Kollektivs von neu diagnostizierten CLL-Patient:innen wiesen 6,1 % von ihnen eine VHF-Vorgeschichte auf und von denjenigen ohne VHF-Anamnese entwickelten ebenfalls 6,1 % innerhalb von 7,3 Jahren ein VHF, was einer Inzidenz von etwa 1 % pro Jahr entspricht.25

Fazit:

  • Die orale Therapie mit BTKi erfolgt bei ausbleibendem Progress und akzeptabler Verträglichkeit dauerhaft. Für das therapielimitierende Nebenwirkungsprofil von Ibrutinib sind vermutlich Off-Target-Effekte mitverantwortlich. Daher ist der BTKi der 2. Generation mit höherer Selektivität bei vergleichbarer Wirksamkeit zu einer relevanten Therapieoption bei CLL geworden.
  • Vorhofflimmern spielt als kardiale Nebenwirkung mit hohem Potenzial für Therapieabbrüche eine wichtige Rolle. Die Unterschiede im Kinom-Profil hinsichtlich der verschiedenen Off-Target-Effekte lassen ein verbessertes Verträglichkeits- und Sicherheitsprofil von Acalabrutinib im Vergleich zu Ibrutinib annehmen. Möglicherweise kommen verschiedene Mechanismen zum Tragen, die auch zur Entstehung von VHF beitragen.
  • Die präklinisch gezeigten Unterschiede bestätigen sich in einem differenzierten klinischen Verträglichkeitsprofil. Bei Acalabrutinib scheint eine höhere Kinase-Selektivität die Häufigkeit von VHF zu verringern.

Referenzen:

  1. Wendtner CM et al. Onkopedia-Leitlinie Chronische Lymphatische Leukämie (CLL). Stand: September 2020
  2. Fachinformation Calquence®, aktueller Stand
  3. Sheng Z et al. Comparison of acalabrutinib plus obinutuzumab, ibrutinib plus obinutuzumab and venetoclax plus obinutuzumab for untreated CLL: a network meta-analysis. Leuk Lymphoma 2020;61(14):3432-9
  4. Messori A, Bartoli L. Restricted mean survival time in patients with chronic lymphocytic leukemia treated with chemotherapy-free regimens as first line. Leuk Lymphoma 2021;62(4):1018
  5. Davids MS et al. Comparative Efficacy of Acalabrutinib in Frontline Treatment of Chronic Lymphocytic Leukemia: A Systematic Review and Network Meta-analysis. Clin Ther 2020;42(10):1955-74.e15
  6. Davids MS et al. Matching-adjusted indirect comparisons of safety and efficacy of acalabrutinib versus other targeted therapies in patients with treatment-naïve chronic lymphocytic leukemia. Leuk Lymphoma 2021;62(10):2342-51
  7. Byrd JC et al. Acalabrutinib Versus Ibrutinib in Previously Treated Chronic Lymphocytic Leukemia: Results of the First Randomized Phase III Trial. J Clin Oncol 2021;JCO2101210
  8. Shanafelt TD et al. Atrial fibrillation in patients with chronic lymphocytic leukemia (CLL). Leuk Lymphoma 2017;58(7):1630-93
  9. Fachinformation Imbruvica®, aktueller Stand
  10. Ahn IE et al. Depth and durability of response to ibrutinib in CLL: 5-year follow-up of a phase 2 study. Blood 2018;131(21):2357-66
  11. Leong DP et al. The risk of atrial fibrillation with ibrutinib use: a systematic review and meta-analysis. Blood 2016;128(1):138-40
  12. Mato AR et al. Outcomes of CLL patients treated with sequential kinase inhibitor therapy: a real world experience. Blood 2016;128:2199-205
  13. Tang CPS et al. Cardiac side effects of bruton tyrosine kinase (BTK) inhibitors. Leuk Lymphoma 2018;59:15-64
  14. Hou JZ et al. Real-world ibrutinib dose reductions, holds and discontinuations in chronic lymphocytic leukemia. Future Oncol 2021;17(35):4959-69
  15. Tuomi JM et al. Increased Susceptibility for Atrial and Ventricular Cardiac Arrhythmias in Mice Treated With a Single High Dose of Ibrutinib. Can J Cardiol 2018;34:337-41
  16. Xiao L et al. Ibrutinib-Mediated Atrial Fibrillation Attributable to Inhibition of C-Terminal Src Kinase. Circulation 2020;142(25):2443-55
  17. Tuomi JM et al. Distinct Effects of Ibrutinib and Acalabrutinib on Mouse Atrial and Sinoatrial Node Electrophysiology and Arrhythmogenesis. J Am Heart Assoc 2021;10(22):e022369
  18. Benjamin EJ et al. Impact of atrial fibrillation on the risk of death: The Framingham Heart study. Circulation 1998;98:946-52
  19. Stephens DM. Second-Generation Bruton’s Tyrosine Kinase Inhibitors: Simply the Best Treatments for Chronic Lymphocytic Leukemia? J Clin Oncol 2021;JCO2101414
  20. Barf T et al. Acalabrutinib (ACP-196): A Covalent Bruton Tyrosine Kinase Inhibitor with a Differentiated Selectivity and In Vivo Potency Profile. J Pharmacol Exp Ther 2017;363(2):240-52
  21. Herman SEM et al. The Bruton’s tyrosine kinase (BTK) inhibitor acalabrutinib demonstrates potent on-target effects and efficacy in two mouse models of chronic lymphocytic leukemia. Clin Cancer Res 2017;23(11):2831-41
  22. Kaptein A et al. Potency and Selectivity of BTK Inhibitors in Clinical Development for B-Cell Malignancies. Blood 2018;132(Suppl_1):1871
  23. Brown JR et al. Cardiovascular adverse events in patients with chronic lymphocytic leukemia receiving acalabrutinib monotherapy: pooled analysis of 762 patients. Haematologica 2021. doi:10.3324/haematol.2021.278901
  24. Furman RR et al. Pooled analysis of safety data from clinical trials evaluating acalabrutinib monotherapy in mature B-cell malignancies. Leukemia 2021;35(11):3201-11
  25. Shanafelt TD et al. Atrial fibrillation in patients with chronic lymphocytic leukemia (CLL). Leuk Lymphoma 2017;58(7):1630-9
DE-42961/22