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Acalabrutinib bei CLL: Mono- oder Kombinationstherapie?

Ob Acalabrutinib in der Erstlinientherapie der CLL alleine oder in Kombination mit Obinutuzumab eingesetzt werden sollte, hängt von der Patientensituation ab. Zielgerichtete Therapien dominieren heute das Behandlungsgeschehen bei der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL).

Zielgerichtete Therapien dominieren heute das Behandlungsgeschehen bei der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL). „Die neuen Therapieoptionen können letztlich für alle therapiebedürftigen Patienten empfohlen werden“, resümierte Co-Autor Prof. Wolfgang Knauf (Frankfurt a. M.) mit Blick auf die Aktualisierung der Onkopedia-Leitlinie zur CLL, die im September 2020 erfolgte. Dieser potentielle „One-fits-all“-Stellenwert kommt in besonderer Weise der Monotherapie mit Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren (BTKi) zu. Sie zählt in der Leitlinie als einziges Behandlungsregime in allen Therapiesegmenten zu den empfohlenen Optionen.1

Zulassung als Monotherapie für alle Behandlungslinien und in der Erstlinie zusätzlich in Kombination mit Obinutuzumab

Neben Ibrutinib steht mit Acalabrutinib ein hochselektiver BTKi der 2. Generation zur Verfügung, der bereits beim Leitlinien-Update berücksichtigt und Ende 2020 in der EU auf Basis der Phase-III-Studien ELEVATE-TN und ASCEND in breiter CLL-Indikation zugelassen wurde:2

Die Phase-III-Studie ELEVATE-RR3 diente dem ersten Head-to-Head-Vergleich zweier BTKi in der CLL-Therapie, über dessen Ergebnisse beim ASCO 2021 und beim EHA 20214 berichtet wurde. Dabei ergab sich, so Prof. Stephan Stilgenbauer (Ulm), einer der Studienautoren, eine „vergleichbare Wirksamkeit von Acalabrutinib gegenüber Ibrutinib, aber bessere Verträglichkeit – gerade, was interessante Nebenwirkungen angeht“.5

Head-to-Head-Studie und vergleichende Evidenz zugunsten von Acalabrutinib

Der randomisierte Direktvergleich im klinischen Einsatz wurde bei vorbehandelten CLL-Patienten durchgeführt.6 Die Studienautoren halten ihre Ergebnisse allerdings für „potenziell noch relevanter für Individuen, die sich in einem früheren Krankheitsverlauf befinden“. Bei nicht vorbehandelten Patienten ist die zu erwartende Überlebenszeitspanne7 und folglich auch die potenzielle Behandlungsdauer mit BTKi länger. Acalabrutinib würde demnach vermutlich die „sicherere initiale Therapie bei therapienaiven Patienten darstellen“, so die Autoren, wobei vorbestehende kardiovaskuläre Komplikationen von besonderem Interesse sind.3

Diese Einschätzung wird gestützt durch das schon früher publizierte Ergebnis einer Metaanalyse, die für Acalabrutinib – auch im Hinblick auf die Erstlinientherapie – ein insgesamt günstigeres Verträglichkeitsprofil im Vergleich zu Ibrutinib ermittelte.8 Head-to-Head-Studien zwischen den zielgerichteten Therapien in der Erstlinie bei CLL stehen noch aus. Laut vergleichender Evidenz schneiden Acalabrutinib-Regime hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit aber auch über den internen BTKi-Vergleich hinaus erkennbar günstig ab.9-12

Vorteile des unkomplizierten Monotherapie-Regimes

Abgesehen von Effektivität und Nebenwirkungsprofil gehört auch die orale Applikation zu den Eigenschaften, mit denen die zielgerichteten Substanzen das Behandlungsspektrum der CLL grundlegend erneuert haben. Im Rahmen der Monotherapie mit Acalabrutinib kommen die damit verbundenen, nicht zu unterschätzenden Vorteile für die Patienten uneingeschränkt zur Geltung: Die Kapseln können unkompliziert zuhause oder unterwegs auf Reisen eingenommen werden, was für die Patienten weniger Aufwand und mehr Flexibilität im Vergleich zu einer Infusionstherapie bedeutet. Die orale Monotherapie reduziert die Zahl der Praxis-/Klinikbesuche und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten.

Im Kontext der noch andauernden COVID-19-Pandemie erhalten diese Aspekte zusätzliches Gewicht. Das gilt auch für die Verzichtbarkeit einer Therapieeinleitung mit zeitaufwendigen Klinikaufenthalten und engmaschigen Kontrollen sowie Vorsichtsmaßnahmen zur Minimierung eines Tumorlysesyndrom-Risikos, wie sie beim Einsatz des BCL2-Inhibitors Venetoclax im Unterschied zur BTKi-Anwendung erforderlich sind.

Wahlmöglichkeit begünstigt individuelle Therapieentscheidung

Für die therapeutische Praxis ist die Zulassung von Acalabrutinib als Monotherapie und als Kombinationstherapie mit dem Anti-CD20-Antikörper Obinutuzumab ein von den Anwendern geschätzter Vorteil. Dadurch wird die Behandlungsfreiheit erhöht und eine differenzierte Therapieentscheidung ermöglicht, die sich an der individuellen Krankheitssituation und dem Ergebnis des Patientengesprächs orientiert, wie der Hämato-Onkologe Dr. Manfred Welslau (Aschaffenburg) in einem Expertenvideo betont.

Feine Unterschiede zwischen der Mono- und der Kombinationstherapie, die den Ausschlag zugunsten einer der beiden Optionen im individuellen Fall geben können, zeigt das beim ASCO 2021 präsentierte 4-Jahres-Update der ELEVATE-TN-Studie auf.13 In der dreiarmigen Studie wurde die Überlegenheit von Acalabrutinib allein und in Kombination mit dem Anti-CD20-Antikörper Obinutuzumab gegenüber der Standard-Chemoimmuntherapie mit Chlorambucil und Obinutuzmab belegt.14 Nach einem medianen Beobachtungszeitraum von 46,9 Monaten blieb die zuvor beobachtete Wirksamkeit und Sicherheit in beiden Acalabrutinib-Armen erhalten. Die Vollremissionsraten nahmen gegenüber der Interimsanalyse zu (von 21 % auf 27 % unter Kombinationstherapie und von 7 % auf 11 % unter Monotherapie mit Acalabrutinib), während die Raten an Therapieabbrüchen niedrig blieben.13

Kombination mit Obinutuzumab: etwas effektiver, aber potenziell mehr Nebenwirkungen

Nach 48 Monaten zeichnet sich nun in den Kaplan-Meier-Kurven eine etwas stärkere PFS-Effektivität von Acalabrutinib + Obinutuzumab vs. Acalabrutinib (geschätzt 87 % vs. 78 %) ab, die sich nach 24 Monaten nur leicht angedeutet hatte (93 % vs. 87 %). Die Zugabe des Anti-CD20-Antikörpers zu Acalabrutinib konnte – anders als in zwei randomisierten Studien mit Ibrutinib und dem Anti-CD20-Antikörper Rituximab15,16 – die Ansprechrate und -tiefe der Behandlung verbessern. Für den Nachweis eines statistisch signifikanten Unterschieds zwischen den Acalabrutinib-Armen war die Studie allerdings nicht gepowert.14

Andererseits waren unter der Kombination mit dem Anti-CD20-Antikörper neben Infusionsreaktionen auch vermehrt Zytopenien und höhergradige Infektionen (Grad ≥ 3) im Vergleich zur Monotherapie mit Acalabrutinib zu beobachten.13,14 Die verstärkte B-Zell-Depletion erhöht aufgrund der zusätzlichen Immunsuppression das Infektionsrisiko und auch die Gefahr für protrahierte und schwere COVID-19-Verläufe.17,18 Der etwas höheren Effektivität der Kombinationstherapie stehen also erhöhte Risiken für bestimmte unerwünschte Ereignisse gegenüber, deren jeweilige Relevanz von der individuellen Patientensituation abhängt.13,14

Die Entscheidung zwischen Mono- und Kombinationstherapie mit Acalabrutinib erfordert demnach eine differenzierte Betrachtung und individuelle Abwägung. Während in vielen Fällen die Monotherapie den Patienten eine angemessene Wirksamkeit bei gleichzeitig höheren Freiheitsgraden im Behandlungsmanagement bietet, kommt Welslau zufolge die Kombinationstherapie möglicherweise eher in Betracht, wenn ein hoher Behandlungsdruck bei hohem Risiko bzw. großer Tumorlast (bulky disease, hohe Lymphozytenzahl) besteht.

Expertenstimmen aus den USA

In den USA wurde Acalabrutinib bereits ein Jahr früher als in Europa für die CLL-Therapie zugelassen. Im Kontext des 4-Jahres-Updates der ELEVATE-TN-Studie äußerten sich die CLL-Experten Prof. Brad Kahl von der Washington University School of Medicine in St. Louis, Missouri, und Dr. Tara Graff von der hämatoonkologischen Praxis Mission Blood + Cancer in Des Moines, Iowa, zur Wahl zwischen Mono- und Kombinationstherapie mit Acalabrutinib:

  • „Weil ich mir bei älteren Menschen mehr Sorgen um Infektionen mache und weil das Hin und Her des Klinikbetriebs für sie problematischer sein kann, gebe ich den Anti-CD20-Antikörper eher nicht bei älteren Patienten. Bei den jüngeren Patienten ist es wegen des leichten, aber signifikanten PFS-Vorteils etwas wahrscheinlicher, dass ich ihn miteinschließe.“ (Prof. Kahl)19
  • „Wo ich immer die Kombinationstherapie verwende, ist bei meinen jüngeren Patienten mit Hoch-Risiko-Erkrankung und schwerer Krankheitslast. Wenn sie einen 10-cm-Lymphknoten haben, der etwas obstruiert, oder wenn sie wirklich symptomatisch sind, greife ich zu Acalabrutinib plus Obinutuzumab. Ich habe das Gefühl, dass es ihnen besser geht, wenn sie beide Substanzen bekommen. Klassischerweise habe ich so meine Wahl getroffen. Aber es ist sehr patientenspezifisch. Bei der Mehrheit von ihnen verwende ich die Acalabrutinib-Monotherapie, und es geht ihnen sehr gut damit.“ (Dr. Graff)20

Referenzen:

  1. Wendtner CM et al. Onkopedia-Leitlinie Chronische Lymphatische Leukämie (CLL). Stand: September 2020
  2. Fachinformation Calquence®, Stand: Juni 20210
  3. Byrd JC et al. Acalabrutinib Versus Ibrutinib in Previously Treated Chronic Lymphocytic Leukemia: Results of the First Randomized Phase III Trial. J Clin Oncol 2021;JCO2101210
  4. Hillmen P et al. First results of a Head-to-Head trial of acalabrutinib versus ibrutinib in previously treated chronic lymphocytic leukaemia. EHA Library. Hillmen P. 06/09/21;324553;S145
  5. ALPINE, ELEVATE, GLOW & CLL-14: Neue Studien zu CLL. https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/kongresse/eha-icml/neue-studien-zur-cll-eha-2021.html (Zugriff am 12.07.2021)
  6. ELEVATE-RR: Acalabrutinib demonstrates similar efficacy and better safety compared with ibrutinib. Physician's Weekly; Jul 1, 2021 (https://www.physiciansweekly.com/elevate-rr-acalabrutinib-demonstrates-similar-efficacy-and-better-safety-compared-with-ibrutinib; Zugriff am 14.07.2021)
  7. O'Brien S et al. Single-agent ibrutinib in treatment-naive and relapsed/refractory chronic lymphocytic leukemia: A 5-year experience. Blood 2018;131:1910-9
  8. Hilal T et al. Adverse Events in Clinical Trials of Ibrutinib and Acalabrutinib for B-Cell Lymphoproliferative Disorders: A Systematic Review and Network Meta-Analysis. Blood 2020;136(Suppl_1):23
  9. Sheng Z et al. Comparison of acalabrutinib plus obinutuzumab, ibrutinib plus obinutuzumab and venetoclax plus obinutuzumab for untreated CLL: a network meta-analysis. Leuk Lymphoma 2020;61(14):3432-9
  10. Messori A, Bartoli L. Restricted mean survival time in patients with chronic lymphocytic leukemia treated with chemotherapy-free regimens as first line. Leuk Lymphoma 2021;62(4):1018
  11. Davids MS et al. Comparative Efficacy of Acalabrutinib in Frontline Treatment of Chronic Lymphocytic Leukemia: A Systematic Review and Network Meta-analysis. Clin Ther 2020;42(10):1955-74.e15
  12. Davids MS et al. Matching-adjusted indirect comparisons of safety and efficacy of acalabrutinib versus other targeted therapies in patients with treatment-naïve chronic lymphocytic leukemia. Leuk Lymphoma 2021;1-16. doi:10.1080/10428194.2021.1913144
  13. Sharman JP et al. Acalabrutinib ± obinutuzumab versus obinutuzumab + chlorambucil in treatment-naïve chronic lymphocytic leukemia: Elevate-TN four-year follow up. J Clin Oncol 2021;39(15_suppl):7509
  14. Sharman JP et al. Acalabrutinib with or without obinutuzumab versus chlorambucil and obinutuzmab for treatment-naive chronic lymphocytic leukaemia (ELEVATE TN): a randomised, controlled, phase 3 trial. Lancet 2020;395(10232):1278-91
  15. Woyach JA et al. Ibrutinib regimens versus chemoimmunotherapy in older patients with untreated CLL. N Engl J Med 2018;379:2517-28
  16. Burger JA et al. Randomized trial of ibrutinib vs ibrutinib plus rituximab in patients with chronic lymphocytic leukemia. Blood 2019;133:1011-9
  17. Mehta P et al. B-cell depletion with rituximab in the COVID-19 pandemic: where do we stand? Lancet Rheumatol 2020;2(10):E589-90
  18. Hueso T et al. Convalescent plasma therapy for B-cell depleted patients with protracted COVID-19. Blood 2020;136(20):2290-5
  19. Kahl BS. 4-Year Follow-up Data From ELEVATE-TN: Frontline Acalabrutinib in CLL. https://www.onclive.com/view/4-year-follow-up-data-from-elevate-tn-frontline-acalabrutinib-in-cll (Zugriff am 04.10.2021)
  20. Graff T. Frontline BTKi Therapy in CLL: The ELEVATE-TN Study 4-Year Follow-up. https://www.onclive.com/view/frontline-btki-therapy-in-cll-the-elevate-tn-study-4-year-follow-up (Zugriff am 04.10.2021)

Abkürzungen:
BCL-2 = B-Zell-Lymphom-2 (Protein)
BTK = Bruton-Tyrosinkinase
BTKi = Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor
CLL = chronische lymphatische Leukämie
PFS = progressionsfreies Überleben (progression-free survival)

DE-40941/21