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Der menschliche Körper im Weltraum

Damit die NASA Menschen zum Mars schicken kann, benötigt sie Informationen darüber, wie sich ein Weltraumflug auf den menschlichen Körper auswirkt. Das Astronautenzwillings-Experiment hat nun erste Ergebnisse erzielt.

Auswirkungen der Weltraumumgebung auf Muskulatur, Knochen und Gewebe

Übersetzt aus dem Französischen

Damit die NASA Menschen zum Mars schicken kann, benötigt sie Informationen darüber, wie sich die Raumfahrt auf den menschlichen Körper auswirkt. Seit fast 25 Jahren umkreist die Internationale Raumstation die Erde als gigantisches Forschungslabor. Hier werden zahlreiche wissenschaftliche Experimente in den verschiedensten Bereichen durchgeführt (Astrophysik, Materialphysik, Strömungsmechanik, Pflanzen- und Tierbiologie usw.). Ein großer Teil der Forschung befasst sich aber auch mit den Anpassungsmechanismen des menschlichen Körpers an die Bedingungen im Weltall.
 

Einige der Auswirkungen eines längeren Aufenthalts im Weltraum auf die Skelettmuskulatur.
(Quelle: Hodkinson et al. – An Overview of Space Medicine1)

 

Astronauten sind ihre eigenen Versuchskaninchen

Über die Veränderungen, die der Weltraum im menschlichen Körper verursacht, wird seit Jahrzehnten geforscht und geschrieben.2 Zu den bekanntesten Veränderungen gehören Knochenschwund und -entkalkung, Muskelschwund, eine (vorübergehende oder anhaltende) Verringerung der sensorischen und motorischen Fähigkeiten, Störungen der Herz-Kreislauf-Funktionen sowie Augenprobleme, die typische Symptome in der Weltraummedizin sind (Link). In den allermeisten Fällen lassen sich diese Störungen durch geeignete Bewegungsübungen während des Aufenthalts im Weltraum abmildern und nach der Rückkehr der Astronauten zur Erde verschwinden sie allmählich wieder.

Allerdings ist es kein leichtes Unterfangen, entsprechend ausgewählte Probanden zu studieren. Da es keine Kontrollpersonen gibt, ist es manchmal schwierig, bestimmte physiologische Veränderungen auf die Bedingungen im Weltraum zurückzuführen und nicht beispielsweise auf die natürliche Veränderlichkeit des menschlichen Körpers in Stresssituationen. 

Des Weiteren sammeln Studien an Astronauten häufig Daten, die sich auf einen einzigen biologischen Faktor beschränken, ohne die gleichzeitigen Auswirkungen auf verschiedene Variablen einzubeziehen. Oftmals waren diese Studien auf Missionen von weniger als sechs Monaten Dauer befristet. Das folgende Experiment wurde deshalb durchgeführt, um einen umfassenden Eindruck von den Veränderungen zu erhalten, die der Körper eines Astronauten im Weltraum erfährt.

Der auserkorene US-amerikanische Astronaut war Scott Kelly. Hauptauswahlkriterium: Er hat einen Zwillingsbruder, Mark Kelly, der ehemaliger Astronaut und früherer Pilot des amerikanischen Space Shuttle war. Da beide die gleichen genetischen Anlagen haben, lässt sich anhand einer Zwillingsstudie analysieren, wie die Gesundheit eines Menschen von seiner Umwelt beeinflusst wird, und zwar unabhängig von körperlichen Veränderungen, die auf eine genetische Veranlagung zurückzuführen sind.
 

Mark Kelly (links) und Scott Kelly (rechts). (Quelle: NASA)

Für dieses Experiment reiste Scott im März 2015 zur Internationalen Raumstation ISS und verbrachte dort 340 Tag im All. Während dieser Zeit wurde sein Bruder Mark auf der Erde der gleichen Testreihe unterzogen wie sein Zwillingsbruder. Über einen Zeitraum von 25 Monaten (vor, während und nach Scott Kellys Aufenthalt auf der ISS) wurden physiologische, telomerische, transkriptomische, epigenetische, proteomische, metabolische, immunologische, mikrobiomische, kardiovaskuläre, okulare und kognitive Daten gesammelt.

Diese Nachfolgeuntersuchung wurde im April 2019 publiziert3. Laut Susan Bailey, Mitautorin des Artikels, handelte es sich dabei um "die bisher umfassendste Auswertung der Reaktionen des menschlichen Körpers auf einen Einsatz im Weltraum".

Veränderungen an der DNA

Einige Körperfunktionen waren bei beiden Brüdern ähnlich und wurden durch den Flug ins All auch nicht beeinträchtigt. Beispielsweise war die Immunreaktion auf den ersten Impfstofftest im Weltraum zufriedenstellend – in diesem Fall gegen die Grippe. Aufgrund dieser Erkenntnis können nun Impfungen bei Langzeitmissionen in Betracht gezogen werden.

Bei anderen Merkmalen gab es hingegen erhebliche Abweichungen, die sich nach dem Flug aber wieder anglichen. Zur Überraschung der Wissenschaftler nahm Scott Kellys Telomerlänge während seines Aufenthalts deutlich zu, bevor sie wenige Tage nach seiner Rückkehr zur Erde wieder eine „normale“ Länge erreichte.

Als nicht codierende Enden jedes DNA-Strangs besitzen Telomere bestimmte Eigenschaften zum Schutz der Chromosomen. Mit steigendem Alter neigen sie dazu, sich zu verkürzen. Allerdings können Lebensweise und Umweltfaktoren die Geschwindigkeit dieser Verkürzung beeinflussen.

Die vor, während und nach Scotts Weltraummission entnommenen Proben zeigten, dass bestimmte Veränderungen in der Genexpression aufgetreten waren. Auch auf der Erde traten bei Mark Veränderungen der Genexpression auf, die jedoch anderer Natur waren.
 

Der Aufbau der Studie, die an den beiden Astronautenzwillingen Scott & Mark Kelly 25 Monate lang durchgeführt wurde, von denen Scott 12 Monate in der Erdumlaufbahn verbrachte. (Quelle: Garrett-Bakleman et al.)

Vorübergehende Auswirkungen

Einige der Veränderungen bei Scott könnten mit dem langen Aufenthalt im All in Verbindung gebracht werden. Allerdings verschwanden die meisten dieser Veränderungen sechs Monate nach seiner Rückkehr zur Erde wieder. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich einige der festgestellten Schäden an der DNA auf die Strahlenbelastung des Körpers zurückführen lassen. Auch Scott Kellys Darmmikrobiom veränderte sich während seines Fluges deutlich, ehe es sich am Ende des Experiments wieder normalisierte.

Was die kognitiven Fähigkeiten betrifft, so blieben die meisten von ihnen (etwa geistige Wachheit, räumliche Orientierung usw.) während Scotts Aufenthalt in der Raumstation unverändert. Astronauten können also über lange Missionen hinweg ein hohes Maß an geistiger Leistungsfähigkeit aufrechterhalten. Die nach der Landung beobachtete Verringerung der Schnelligkeit und der kognitiven Präzision, die sechs Monate lang anhielt, könnte einfach mit der Wiederanpassung an die Erdanziehungskraft und Scotts vollgepackten Tagen nach seiner Mission zusammenhängen. 

Wenn sich ein Mensch so lange in einer fremden Umgebung aufhält, verändern sich bestimmte Körperfunktionen merklich, und zwar von den Organen bis hin zur DNA. Und auch wenn diese Veränderungen nach der Rückkehr zur Erde fast alle wieder verschwinden, bleibt ihre Erforschung für die Vorbereitung zukünftiger Langzeitaufenthalte im Weltall von zentraler Bedeutung. Demnächst werden sie auf dem Mond und in fernerer Zukunft auf anderen Planeten des Sonnensystems stattfinden.

"Wir können keine Menschen zum Mars schicken, wenn wir nicht wissen, wie sich Weltraumflüge auf den Körper auswirken, einschließlich der Mikroben, die mit den Menschen zum Mars reisen", sagt der Verfasser der Mikrobiomstudie Fred W. Turek in Bezug auf Scotts Mission. Da die NASA das Ziel verfolgt, bis 2035 Menschen zum Mars zu schicken, drängt die Zeit.

Raumfahrtforschung mit Anwendungsmöglichkeiten auf der Erde

Es gibt medizinische Studien, die nicht an den Astronauten selbst durchgeführt werden können. Das betrifft zum Beispiel das Anlegen von Zellkulturen. Unter dem Einfluss der Erdanziehungskraft liefern solche Versuche manchmal ein verzerrtes Bild vom Zellverhalten im lebenden Organismus. Der Grund dafür ist, dass sich die Zellen in einer ganz anderen Umgebung als dem menschlichen Körper befinden, wenn sie beispielsweise auf dem Boden einer Petrischale liegen. 

In der Mikrogravitation an Bord der ISS bilden die Zellen komplexe 3D-Strukturen, die echtem Gewebe ähnlicher sind. Somit lassen sich ihr Verhalten und ihre Entwicklung viel besser untersuchen, um so zum Beispiel Fortschritte in der regenerativen Medizin zu erzielen oder die Wirkung neuer Medikamente zu testen.

Es konnte gezeigt werden4, dass menschliche Schilddrüsenkrebszellen bzw. Endothelzellen eine Art 3D-Sphäroidaggregate bilden, nachdem sie 14 Tage lang der Mikrogravitation ausgesetzt waren. Bei der Bildung dieser Aggregate konnten die Faktoren untersucht werden, die an der Gefäßbildung, Vermehrung, Zelladhäsion, Migration oder der Signalisierung der extrazellulären Matrix beteiligt sind. Die Forschungsergebnisse haben dabei ganz praktische Folgen: Sie könnten bei der Entwicklung von menschlichem Gewebe helfen, das dann bei Transplantationen oder für die Entwicklung von Arzneimitteltests zum Einsatz kommt.

Referenzen: