esanum: Prof. Teufel, waren auf dem Europäischen Leberkongress der EASL in London viele internationale Teilnehmer oder im Wesentlichen die Referenten?
Prof. Teufel: Es waren ca. 5.000 Teilnehmer aus vielen Ländern vor Ort und zusätzlich viele, die online teilgenommen haben. Es tat gut, wieder den persönlichen Austausch zu pflegen. So werden neue Studienideen entwickelt und Kreativität entfaltet.
esanum: Das Themenspektrum reichte von den Virushepatitiden über Autoimmunkrankheiten bis hin zu den metabolisch bedingten und malignen Krankheitsbildern. Können Sie einen Überblick geben, was Ihnen besonders wichtig ist?
Prof. Teufel: Durch die erfreuliche Tatsache, dass Hepatitis C jetzt heilbar ist, können wir uns vielen anderen Themen verstärkt zuwenden. Derzeit ist das große Thema die Fettleber. Einfach, weil jeder Vierte bis Fünfte in Deutschland und in Europa davon betroffen ist. Dazu haben wir große Medikamenten-Studien mit unterschiedlichen Erfolgen gesehen. Auch bei anderen Themen sehen wir gute Entwicklungen. So besonders bei der Hepatitis B. Konzepte aus dem Labor finden jetzt den Weg in die klinischen Phase-1 und Phase-2-Studien. Mit RNA Technologien und Vakzinierungen gibt es vielversprechende Strategien. Sodass am Horizont die Möglichkeit der Heilung der Hepatitis B aufscheint.
esanum: Was war noch spannend?
Prof. Teufel: Bei den Autoimmunlebererkrankungen macht die Versorgungsforschung Fortschritte. Große Register- und Versorgungsdaten legen Lücken in der Versorgung offen. 50 Prozent der Patienten mit Primär Biliärer Cholangitis, die entsprechende Medikamente bekommen müssen, erhalten diese in Großbritannien nicht. Patienten, die zur Lebertransplantation vorgestellt werden müssten, werden nicht immer vorgestellt. Diese Lücken werden nun deutlich. Wir müssen die europäischen Registerstudien zusammenführen, um besser zu werden. Und es gab eine Reihe von interessanten Studien zu den Tumoren. Zum Beispiel zur Bestrahlung zusätzlich zur lokalen Chemoembolisation.
Und dann gab es noch eine ganz praktische Sache. Nämlich, dass Betablocker und Statine bei Leberzirrhose kombiniert sehr hilfreich sein können.
esanum: Welche neuen Daten gab es zur Fettleber, insbesondere hinsichtlich therapeutischer Optionen?
Prof. Teufel: Das Semaglutid ist noch einmal besprochen worden. Bei Patienten mit Zirrhose wurden die Endpunkte nicht erreicht. Aber eine große Studie aus dem letzten Jahr an Patienten ohne Zirrhose, publiziert im New England Journal of Medicine, zeigt einen günstigen Einfluss auf die Leberverfettung. Auch Studien zu den Schilddrüsen-Hormonrezeptor-Agonisten zeigten sehr überzeugende Daten. Das landet jetzt hoffentlich in der Zulassung, sodass wir dann neue wirksame Medikamente zur Verfügung haben. Es gibt auch neue Konzepte, bei denen GLP1- und Glukagon-Agonisten kombiniert werden, das ist aus der Diabetes-Therapie bekannt und findet nun auch Eingang in die Fettleber-Therapie. Frühe Daten aus Phase 1 deuten bereits auf eine hohe Effektivität. Nach sechs Wochen war bei den höherdosierten Patienten das Fett im MRT nicht mehr messbar.
esanum: Der Forschungsschwerpunkt Ihrer Arbeitsgruppe an der Uniklinik Mannheim liegt ja im Bereich der Bio-Informatik. Worum geht es dabei konkret?
Prof. Teufel: Für uns ist interessant, die Bio-Informatik zur Anwendung zu bringen. Wesentlich ist zum Beispiel die molekulare Charakterisierung von Lebertumoren, da es hier sehr große Unterschiede gibt. Im Zusammenhang mit den elektronischen Patientenakten tragen wir große Mengen von Patientendaten zusammen. Das eröffnet neue Möglichkeiten zu erkennen, wie bei verschiedenen Erkrankungsbildern unterschiedliche Strategien ansprechen – und so mehr in Richtung einer personalisierten Therapie zu gehen. Der Weg, über digitale Patientenakten viele Daten zusammen zu tragen, ist auch für seltene Lebererkrankungen sehr sinnvoll.
esanum: Stehen Sie da noch ganz am Anfang?
Prof. Teufel: Wir sind mittendrin. Das ist in der Realität angekommen. Wir entwickeln, unterstützt von der Landesregierung Baden-Württemberg, ein Zentrum für Prävention und digitalisierte Therapiestrategien. Dabei geht es um digitale Versorgungsstrukturen. Im Nordschwarzwald, und nicht nur dort, gehen demnächst viele niedergelassene Gastroenterologen und Hausärzte in Rente, und da brauchen wir die Hilfe von Telemedizin und elektronischen Patiententakten dringend. Wir sind auch über digitalen Ultraschall bei Lebererkrankungen im internationalen Austausch mit südamerikanischen Kollegen. Jetzt kommt es drauf an, den Krankenkassen zu zeigen, dass das alles nicht nur Kosten produziert, sondern medizinisch und auch wirtschaftlich sinnvoll ist.
esanum: Wenn Sie auf die aktuelle wissenschaftliche Forschung in der Hepatologie blicken – wohin geht die Reise?
Prof. Teufel: Mehrere Subtanzen für die Therapie der Fettleber waren in großen Studien erfolgreich. Bei der Hepatitis B wird eine enorme Entwicklung stattfinden, sodass wir in zehn bis 15 Jahren effektive Strategien haben werden. Und die Digitalisierung wird Möglichkeiten bieten, Patienten überall in der Welt, aber auch im Nordschwarzwald und anderen ländlichen Regionen in Deutschland zu versorgen. Und die Daten, die wir sammeln, werden helfen, Patientengruppen zu identifizieren, die wir dann zielgerichteter behandeln können.
Prof. Dr. Dr. Andreas Teufel ist Professor für Hepatologie an der Universität Heidelberg und Sektionsleiter Hepatologie an der II. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Mannheim.
Das Interview hat esanum im Nachgang an die Sendung Best of Congress: EASL/DGIM geführt. Ab sofort ist die On Demand-Version verfügbar.
In dem esanum Fortbildungsformat für Fachärzte berichten ausgewählte Experten von nationalen und internationalen Fachkongressen und präsentieren neben den wichtigsten Updates und Debatten ihre persönlichen Highlights. Im Interview Entwicklungen in der Inneren Medizin sprachen wir mit Co-Experte Prof. Darius über die Highlights vom DGIM-Kongress 2022.
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Am 19.10. findet die nächste Best-of-Congress-Folge statt. Im Fokus stehen dieses Mal drei Kongresse: ESC, EASD und DGFN.