Die durch den Klimawandel verursachten häufiger und länger dauernden Extremhitze-Perioden sind hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit vulnerabler Gruppen – alte Menschen, chronisch Kranke und arbeitsbedingt Hitze-exponierte Personen – in Deutschland bislang zu wenig beachtet worden – im Unterschied zu anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Spanien. Nach Daten des Robert Koch-Instituts wurden im vergangenen Jahr 4500 hitzebedingte Todesfälle registriert, im Extremsommer 2018 waren es sogar 8700, nahezu dreimal mehr als die Zahl der Verkehrstoten. Bundesärztekammer, Deutscher Pflegerat und das Bündnis Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) erwarten eine Verschärfung von Extremwetterlagen, die sich zu Großschadensereignissen und Katastrophen entwickeln können.
Unter Berufung auf den Gesundheits-Sachverständigenrat, der im Januar ein Gutachten zur Resilienz des Gesundheitssystems, unter anderem in Bezug auf den Klimawandel, vorgelegt hatte, kritisieren die Organisationen unzureichende Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit auf Hitzewellen. Trotz eines Beschlusses der 93. Gesundheitsministerkonferenz im Jahr 2000, wonach Kommunen bis 2025 Hitzeaktionspläne erstellen sollten, sei fast nichts geschehen. Vor allem seien maßgebliche Gesundheitsberufe wie Ärzte, Kranken- und Altenpflege bislang überhaupt nicht einbezogen worden.
Das soll sich nun bereits kurzfristig nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ändern. Abgesehen von schon in diesem Sommer wirkenden Schnellmaßnahmen will er bis zum Jahresende einen nachhaltigen Aktionsplan nach dem Vorbild Frankreichs entwickeln und in Kraft setzen. Lauterbach strebt eine konzertierte Aktion mit Ärzten, Pflege, Heimen, Krankenhäusern, Kommunen und Ländern an. Er erhofft sich damit einen deutlichen Effekt zugunsten des Schutzes vulnerabler Gruppen und begründet dies mit dem Erfolg des Sieben-Punkte-Programms beim Schutz während der Pandemie; dabei sei es gelungen, den Anteil der an und mit Corona in Pflegeheimen Verstorbenen von anfänglich 15 auf etwas mehr als 3 Prozent zu reduzieren.
Dazu notwendig sei ein klarer gesetzlicher Rahmen für gesundheitlichen Hitzeschutz auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Darin müsse der Hitzeschutz als Pflichtaufgabe verankert werden. Neben Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen müssten auch Kitas und Schulen sowie Betriebe (etwa Baugewerbe) einbezogen werden. Wesentlich, so betonte Lauterbach, sei die Definition der Schweregrade von Hitzewellen etwa auf Basis von Daten des Deutschen Wetterdienstes, und damit verknüpfter verpflichtender Maßnahmen zum konkreten Gesundheitsschutz. Nach französischem Vorbild sollte kostenloses Trinkwasser ubiquitär verfügbar werden; außerdem könnte eine Infrastruktur mit kühlenden Räumen aufgebaut werden, in denen vor Hitze Schutz gesucht werden kann.
Bei der Entwicklung und Umsetzung von Hitzeaktionsplänen sollen die Gesundheitsämter vor Ort eine zentrale Rolle übernehmen. Dazu sei eine hinreichende finanzielle und personelle Ausstattung erforderlich.
Weil sich flächendeckende Hitzeperioden zu Katastrophen entwickeln können, müssten Strukturen und Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern geklärt werden, um den gesundheitlichen Hitzenotstand mit den Stellen im Katastrophen-und Bevölkerungsschutz auslösen zu können. In Planspielen müssten Verwaltungen und Akteure des Katastrophenschutzes die Praxis der Gefahrenabwehr trainieren.
Die Gesundheitsorganisationen plädieren ferner für ein staatlich finanziertes und unabhängiges Kompetenzzentrum für die gesundheitlichen Hitzeschutz auf Bundesebene. Dies solle Expertise aus Wissenschaft und Praxis sammeln und die Akteure auf den verschiedenen Ebenen beraten sowie deren Erfahrungsaustausch organisieren.