Alternative Verhütungsmethoden für den Mann
In jüngster Zeit gibt es immer häufiger Versuche, Langzeitverhütungsmethoden für den Mann zu etablieren. Eine davon ist die thermische Empfängnisverhütung. Wir fragen nach.
Das sollte Mann über thermische Verhütung wissen
Übersetzt aus dem Französischen
esanum: Dr. Charissou, wie funktionieren die Verhütungsmittel für den Mann?
Charissou: Zwei Methoden bestehen darin, die Spermienbildung reversibel (im Gegensatz zur Vasektomie) zu blockieren. Das Ziel ist es, unter den von der WHO festgelegten Grenzwert von einer Million Spermien pro Milliliter Ejakulat zu fallen. Darunter ist die Wahrscheinlichkeit einer Zeugung genauso gering wie bei den bereits vorhandenen hochwirksamen Methoden (Vasektomie, Tubenligatur, Intrauterinpessar, Verhütungsimplantate).
Bis heute funktioniert beim Mann die orale hormonelle Empfängnisverhütung nicht. Alle getesteten Moleküle werden bei der Leberpassage zerstört. Dagegen wurden in den 1990er Jahren wöchentliche intramuskuläre Injektionen von Testosteron-Enanthat erfolgreich getestet.
Bezüglich dieser ersten Methode empfiehlt die WHO, sie nur 18 Monate lang anzuwenden - so zeigen vorangegangen Versuche - und in den ersten drei Monaten parallel eine Empfängnisverhütung vorzusehen, bis sich die Blockade der Spermatogenese etabliert hat.
In Frankreich wird Testosteron-Enanthat vermarktet. Männer können also auf dieses hormonelle Verhütungsmittel zurückgreifen, aber es ist bisher noch recht unbekannt und es gibt nur sehr wenige Ärztinnen und Ärzte, die diese Patienten begleiten können.
In Bezug auf die hormonelle Verhütung von Männern werden andere Wege untersucht. Derzeit laufen Phase-3-Studien für ein Hautgel, das Testosteron enthält und zweimal täglich auf bestimmte Körperstellen aufgetragen werden soll. Mit einer Markteinführung ist frühestens in 7 bis 10 Jahren zu rechnen. Schließlich wird auch die Entwicklung eines Implantats, ähnlich wie bei Frauen, geprüft.
Die zweite, diesmal nicht-hormonelle Verhütungsmethode für Männer ist die thermische Verhütung. Sie besteht darin, die Temperatur der Hoden zu erhöhen, um die Spermatogenese zu blockieren. Dies geschieht entweder durch exogene Wärmezufuhr - z. B. durch wärmende Unterwäsche - oder durch die Nutzung der Körperwärme, die um 2° bis 4° höher ist als die des Hodensacks. Dieser Unterschied ist zwar gering, aber ausreichend. Das Prinzip ist einfach: Je moderater der Temperaturanstieg, desto länger sollte die Wärmeeinwirkung sein.
esanum: Ist die thermische Verhütung eine neuartige Methode?
Charissou: Ganz und gar nicht. Das Prinzip ist schon lange bekannt. Schon Hippokrates beobachtete, dass warm gehaltene Hoden die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.
Die Pionierin der männlichen Empfängnisverhütung war Marthe Voegeli, eine Schweizer Ärztin. In den 1930er Jahren arbeitete sie in Indien in ihrem eigenen Privatkrankenhaus. Dort begann sie vor dem Hintergrund von Hungersnöten mit der Forschung zur reversiblen Begrenzung der Fertilität.
Freiwillige badeten ihre Hoden in einem heißen Bad, 45 Minuten täglich, drei Wochen lang. Voegeli beobachtete, dass diese Männer nach dem Experiment vorübergehend unfruchtbar wurden, dann aber wieder gesunde Kinder bekommen konnten.
Die Dauer der Unfruchtbarkeit hing von der Wassertemperatur ab: Ein Bad bei 46,7 °C sorgte sechs Monate lang für eine Empfängnisverhütung; bei einem Bad bei 43,3 °C verkürzte sich die Dauer auf vier Monate.
Ab 1950 widmete sich Marthe Voegeli der Popularisierung dieser Methode, jedoch mit wenig Erfolg. Später brachte die HIV-Epidemie die Experimente zur Empfängnisverhütung bei Männern zum Erliegen, und das Kondom wurde zur vorrangigen Methode.
Von Thermoslips bis Hodenringe: Der Andro-Switch-Ring
esanum: Welche Geräte werden bei der thermischen Empfängnisverhütung verwendet?
Charissou: Man kann den Hodensack thermisch isolieren, um seine Thermoregulation zu blockieren, mit "isolierenden" Slips. Allerdings funktioniert das bisher nicht sehr gut. Die wirksamste Methode ist das Hochziehen der Hoden, um sie an den Körper zu kleben.
In Frankreich werden derzeit drei Vorrichtungen verwendet: der Toulouser Slip, der Jockstrap und der Silikonring.1 Keines davon hat bislang die europäische Zertifizierung erhalten, die jedes Medizinprodukt benötigt, um vermarktet werden zu können.
Damit der Hodenhochzug wirksam ist, muss das Gerät mindestens 15 Stunden pro Tag getragen werden. Das Protokoll ist streng und sieht vor, dass in den ersten drei Monaten parallel eine andere Verhütungsmethode angewendet wird, bis die Blockade der Spermatogenese wirksam ist und durch ein Kontrollspermiogramm bestätigt wird. Diese Untersuchung muss anschließend alle drei Monate durchgeführt werden, solange die Methode angewendet wird.
Der Toulouser Slip ist eine Erfindung des Andrologen Roger Mieusset, der am Universitätsklinikum von Toulouse praktiziert. Er ist außerdem Mitglied eines Vereins, der 1979 von einem Dutzend Männern aus militanten Kreisen gegründet wurde, die ihren Anteil an der Empfängnisverhütung übernehmen wollten.
Bis heute werden der Toulouser Slip und der Jockstrap nicht industriell hergestellt. Es ist recht schwierig, sie zu beschaffen: Entweder muss man sich im Universitätsklinikum Toulouse beraten lassen oder sie selbst herstellen. In Aktivistenkreisen gibt es seit mehr als zehn Jahren "Nähwerkstätten", in denen Männer anderen Männern erklären, wie man einen Toulouser Slip oder einen Jockstrap herstellt.
Der Silikonring wurde von einem französischen Krankenpfleger entwickelt, der den Toulouser Slip ausprobiert hatte, es aber für unpraktisch hielt, ihn selbst herstellen zu müssen. Also entwickelte er den Andro-Switch, einen Silikonring, der die Hoden hochzieht, und begann, ihn zu verkaufen. Seit 2018 wurden mehr als 10.000 Exemplare verkauft. Der Markt ist vielversprechend, da immer mehr Menschen der Hormonbehandlung misstrauen.
Die Folge: Die Medien überschlugen sich und die französischen Gesundheitsbehörden begannen, sich für diese Methode und ihre Geräte zu interessieren.
Der Erfinder des Andro-Switch ging rein pragmatisch vor: Es gab weder eine klinische Studie noch eine Prüfung auf Einhaltung der CE-Normen. Schließlich verbot die französische Agentur,,die die von Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten ausgehenden Gesundheitsrisiken bewertet, die Verwendung des Rings Ende 2021 – außer im Rahmen von klinischen Versuchen.2
Ihre Argumente? Das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft, "mögliche Gesundheitsschäden bei den Anwendern, insbesondere bei denen mit Hypofertilitätsfaktoren" oder auch "gesundheitliche Probleme bei Kindern, die mit diesem Verhütungsmittel oder in den sechs Monaten nach dessen Absetzen gezeugt wurden".
Männlichen Empfängnisverhütung im Diskurs
esanum: Sind diese Befürchtungen Ihrer Meinung nach gerechtfertigt?
Charisson: Im Bereich der männlichen Empfängnisverhütung gibt es nur wenig wissenschaftliche Arbeit, wie man an den Pilotstudien der WHO zu intramuskulären Injektionen gesehen hat.
Diese Forschungsarbeiten scheinen für die Geldgeber nicht von Interesse zu sein, wahrscheinlich weil sie Verhütungsmethoden hervorbringen könnten, die mit der weiblichen hormonellen Verhütung konkurrieren, deren Markt für die Pharmaindustrie ausreichend profitabel ist.
Daher liegen uns nur wenige zuverlässige klinische Daten über mögliche Risiken des Hodenhochstands vor. Gelegentlich wird eine Erhöhung des Risikos, an Hodenkrebs zu erkranken, diskutiert. Diese Befürchtung leitet sich aus einer etwas zu simplen Verbindung zwischen Hodenhochstand und Kryptorchismus ab.
Es ist bekannt, dass bei kryptorchiden Männern das Risiko, an Hodenkrebs zu erkranken, um das Siebenfache erhöht ist. Die Analogie zum Hodenhochstand ist jedoch aus zwei Gründen nicht möglich.
Der erste Grund ist, dass bei Kryptorchismus unreife Hoden einer supra-skrotalen Temperatur ausgesetzt sind. Im Fall der thermischen Empfängnisverhütung sind die Hoden bereits in der Pubertät. Es ist dennoch ein großer Unterschied.
Übrigens haben epidemiologische oder experimentelle Studien, die die Auswirkungen einer Exposition pubertierender Hoden gegenüber einer Temperatur, die der des menschlichen Körpers entspricht, erforscht haben, niemals ein erhöhtes Risiko für Hodenkrebs nachgewiesen.
Der andere Grund ist, dass die Untersuchungen zur Erklärung des erhöhten Hodenkrebsrisikos bei kryptorchiden Männern den thermischen Faktor disqualifiziert haben; nicht die intraabdominale Hitzeexposition sei für Hodenkrebs verantwortlich, sondern eher genetische oder hormonelle Faktoren.
Ein weiteres theoretisches Risiko der thermischen Empfängnisverhütung ist die Veränderung der DNA in den Spermien. Auch hier fehlen die Daten. Ein teratogenes Risiko lässt sich jedoch sehr leicht ausschließen, indem die betroffenen Männer angewiesen werden, in den sechs Monaten nach Absetzen der thermischen Empfängnisverhütung ein anderes Verhütungsmittel zu verwenden.
Dieses Verhalten ist ganz ähnlich dem, das bereits bei der Anwendung von teratogenen Medikamenten, die bereits auf dem Markt sind, empfohlen wird, wie z. B. bei der Behandlung von Akne mit Isotretinoin.
Schließlich wurde die Hypothese aufgestellt, dass bei Männern, die einen Andro-Switch tragen, das Risiko einer Harnröhrenstenose besteht, da der Ring die Basis des Hodensacks etwas zuschnürt. Eine kürzlich durchgeführte retrospektive Studie, die größte, die jemals zu allen Hodenhochzügen durchgeführt wurde, ist in diesem Punkt sehr beruhigend.
Die junge französische Ärztin Manon Guidarelli führte im Rahmen ihrer Doktorarbeit im Bereich öffentliche Gesundheit, eine Nachuntersuchung von 970 Männern durch, die thermische Verhütungsmittel verwendeten. Einige Teilnehmer wurden vier Jahre lang beobachtet.3
Unter den 900 Teilnehmern, die den Ring seit mindestens sechs Monaten benutzten, wurde kein Fall von Harnröhrenstenose berichtet. Hingegen wurde in 20 % der Fälle über Beschwerden beim Wasserlassen am Ende des Urinierens berichtet. Es wird daher empfohlen, den Ring zum Zeitpunkt des Wasserlassens zu entfernen.
In dieser Studie kam es zu keiner ungewollten Schwangerschaft in der Partnerschaft der Teilnehmern, die sich an das Protokoll hielten: 15 Stunden tägliches Tragen des Slips oder des Rings und alle drei Monate ein Spermiogramm. Insgesamt entspricht dies 3.752 Expositionszyklen.
esanum: Sie sind ehrenamtlich in der Struktur Entrelac.coop tätig. Was ist ihre Aufgabe?
Charisson: Was für die Durchführung größerer klinischer Studien zur Empfängnisverhütung bei Männern fehlt, ist die Finanzierung. Entrelac.coop ist eine Gemeinschaft von kollektivem Interesse; diese Rechtsform ermöglicht es uns, Gelder zu beschaffen.
Da wir diese Mittel in Europa nicht aufbringen können, haben wir uns gerade auf die Ausschreibung einer amerikanischen Organisation, der Male Contraceptive Initiative, beworben. Sie wird insbesondere von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung unterstützt und bietet die Finanzierung von Forschungsarbeiten zu nicht-hormonellen Verhütungsmethoden an.
Das erste von Entrelac.coop begleitete Projekt zielt darauf ab, die europäische Zertifizierung für den Andro-Switch zu unterstützen. Wir haben uns dafür entschieden, weil diese Zertifizierung voraussetzt, dass das Gerät industriell hergestellt wird. Von den derzeitigen Vorrichtungen befindet sich nur der Silikonring in diesem Entwicklungsstadium. Später hofft Entrelac Coop, auch alle anderen Geräte in diesem Prozess begleiten zu können.
Um den Hersteller des Andro-Switch bei der Erlangung der europäischen Zertifizierung zu unterstützen, wollen wir zwei Studien durchführen. Die erste Studie wird sich mit der Sicherheit befassen: 60 Teilnehmer werden den Ring zwei Jahre lang verwenden. Wir werden eine umfassende Überwachung aller unerwünschten Wirkungen durchführen, die auftreten können. Die zweite Studie wird sich mit der Wirksamkeit des Produkts befassen. Wir tauschen uns derzeit mit der ANSM aus, um die Protokolle für diese Arbeiten abzustecken.
esanum: Hat die männliche Empfängnisverhütung eine feministische Dimension?
Charisson: Sie hat vor allem eine gesellschaftspolitische Dimension. Zwar kann die männliche Verhütung für Frauen interessant sein, die sich in einer Verhütungssackgasse befinden, doch der aktuelle Kampf vieler Frauen dreht sich vor allem um die Möglichkeiten, die Kontrolle über den eigenen Körper zu erlangen. Die feministischen Bewegungen setzen sich daher eher für die Entwicklung und Verbreitung neuer Verhütungsmethoden für Frauen ein.
Die Verhütung bei Männern bleibt hingegen für viele ein militanter Ansatz. Der Verhütungsslip wurde von Männern nach der 68er-Bewegung entwickelt, die für feministische Themen sensibilisiert waren. Sie haben die ersten Modelle selbst hergestellt und getestet.
Diese militante Geisteshaltung findet man auch in den heutigen "Do It Yourself"-Workshops. Dort gibt es Nähtipps für Slips oder Pläne für den 3D-Druck von Formen, mit denen Verhütungsringe hergestellt werden können.
Proportional betrachtet kann man die militante Dimension der männlichen Verhütung mit derjenigen vergleichen, die die Anfänge von Zidovudin (AZT) in den 1980er Jahren umgab. Als dieses antiretrovirale Medikament auf den Markt kam, war es in den USA erhältlich, aber nicht in Europa - mit der Begründung, dass es nicht genügend Nachfrage gab.
AIDS-Patienten kämpften für den Zugang zu dieser Behandlung und sagten: "Lasst uns das Risiko eingehen, diese Behandlung zu testen". Heute fordern viele Männer den Zugang zu thermischer Empfängnisverhütung, mit oder ohne Zustimmung der französischen Gesundheitsbehörden.
Natürlich stehen nicht die gleichen Dinge auf dem Spiel! Bei AIDS ging es um den Tod, hier geht es um ungewollte Schwangerschaften. Aber die Männer, die sich für diese Methode entscheiden, mit dem Argument, dass ihr Körper und ihre Gesundheit ihnen gehören und dass es nicht Sache der Ärzteschaft ist, an ihrer Stelle zu entscheiden, hinterfragen auf die gleiche Weise die Macht der Behandelnden über die Behandelten und die Freiheit, über den eigenen Körper zu verfügen.
esanum: Welche Rolle spielen Ärzte in Bezug auf die Empfängnisverhütung bei Männern?
Charisson: Man muss pragmatisch sein. Trotz des Verbots und der Einstellung des Verkaufs von Andro-Switch durch die Firma Thoreme wenden Tausende von Männern in Frankreich weiterhin die Ringmethode an. Entweder stellen sie diese in Werkstätten her oder sie beschaffen sie über unregulierte Vertriebswege. Auch eine beheizbare Boxershorts wird vermarktet.
Der Zugang zu Verhütungsmitteln für Männer wird zu einem wichtigen Thema, da immer mehr Männer nun die Verantwortung für die Verhütung teilen wollen. Sogar französische Parlamentsabgeordnete fordern, dass die Möglichkeit, männliche Verhütungsmittel anzubieten, geprüft werden sollte.
Ich denke, dass Ärzte in der Lage sein müssen, Männer, die mit einer thermischen Verhütung beginnen oder diese fortsetzen möchten, bestmöglich zu informieren und zu begleiten. Entsprechende Ressourcen sind vorhanden. In Frankreich bietet Planning familial (entspricht Profamilia in Deutschland) seit 2016 Beratungen zur männlichen Verhütung an, unabhängig davon, ob es sich um eine thermische oder hormonelle Verhütung handelt.
Dr. Alan Charissou
Alan Charissou ist Allgemeinmediziner und war zunächst im Bereich der öffentlichen Gesundheit tätig, bevor er sich auf sexuelle und reproduktive Gesundheit spezialisierte. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe "Kontrazeption bei Männern" des Collège de la Médecine Générale in Paris.
Darüber hinaus koordiniert er ehrenamtlich die Forschungsprojekte und medizinischen Kommunikationsmaßnahmen von Entrelac.coop, einer 2022 gegründeten Gemeinschaft, die in Frankreich alle Formen der männlichen Empfängnisverhütung fördern soll.
Anmerkungen & Referenzen:
- Videomaterial finden Sie unter folgender Website: https://www.contraceptionmasculine.fr/la-methode-thermique-en-videos/#anneau (Text nur in französischer Sprache)
- Nationale Agentur für die Sicherheit von Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten (ANSM).
- TESTIS_2021: Querschnittserhebung zu Verhütungsvorrichtungen mit Hodenhochzug: Sicherheit, Akzeptanz, Wirksamkeit. Dissertation, verteidigt am 11. Januar 2023 von Manon Guidarelli. (Text nur in französischer Sprache)