Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus
Am 27. Januar jährt sich der Tag, an dem die Rote Armee 1945 die Konzentrationslager in Auschwitz befreit hat. Bis heute ist der 27. Januar der weltweite Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Er erinnert an die Opfer der NS-Diktatur und an diejenigen, die Widerstand geleistet und Verfolgte geschützt haben.
Übersetzt aus dem Französischen
Die Tiberinsel ist ein kleines Eiland inmitten des Flusses Tiber in Rom – mit einer beachtlichen Geschichte: Die Insel wird seit jeher mit Epidemien in Verbindung gebracht. Als im 3. Jahrhundert v. Chr. die Pest die römischen Straßen verwüstete, wurde die Tiberinsel ausgewählt, um einen Tempel für Äskulap zu errichten – das römische Pendant zum griechischen Gott der Medizin, Asklepios. Die Tradition überdauerte das Kaiserreich und die Insel diente über die Jahrhunderte hinweg weiterhin als medizinisches Sanktum. Noch im Jahr 1585 entschied sich der Orden der Barmherzigen Brüder des heiligen Johannes von Gott, sich hier niederzulassen, um das Krankenhaus "Ospedale Fatebenefratelli" zu gründen.
Über viele Jahrhunderte erfüllten die Mönchsärzte dort ihre Mission: die Leiden ihrer Mitmenschen und vor allem der Opfer großer Epidemien zu lindern – und das sogar bis zum Zweiten Weltkrieg, als ihr Arztalltag plötzlich eine unerwartete Wendung nahm.
Das Krankenhaus, das Anfang der 1930er Jahre umfassend modernisiert worden war, wurde damals von Giovanni Borromeo geleitet, einem renommierten Medizinprofessor, der sich immer von der faschistischen Partei ferngehalten hatte. Ohne wirklich in den italienischen Widerstand abzurutschen, lehnte er beispielsweise zwei Angebote ab, die zwar verlockend waren, aber von seiner Mitgliedschaft in Mussolinis Partei abhängig gemacht wurden. Bis 1943 setzte Borromeo seine Arbeit inmitten des Weltkriegs so normal wie möglich fort, wobei ihm der quasi-extraterritoriale Status seiner Einrichtung half.
Im September 1943 änderte sich schlagartig alles: Der Vormarsch der Alliierten in Süditalien führte zu einer deutschen Intervention. Die Wehrmacht drang in ganz Norditalien, einschließlich Rom, ein und brachte die Verwaltung der Städte in ihre Gewalt. Mussolini, der Marionettenführer der Republik von Salo, hatte in dem nun zweigeteilten Italien nicht mehr viel zu sagen. In Rom war es der SS-Offizier Herbert Kappler, der die Stadt direkt verwaltete, unter der militärischen Autorität von General Albert Kesselring.
Für die in Italien lebenden Juden war das eine Katastrophe: Während sie bis dahin trotz der antisemitischen Gesetze von 1938 noch relativ in Ruhe gelassen wurden, gerieten sie nun ins Visier eines der vehementesten Befürworter der “Endlösung”. In Belgien, seinem vorherigen Posten, hatte Kappler bereits eine Reihe von Razzien angeordnet und die ersten Deportationen in die Konzentrationslager organisiert. Ab September 1943 verfolgte er in Rom eine identische Politik. Nachdem er die italienische jüdische Gemeinde, die sich weitgehend im Ghetto konzentrierte, erpresst hatte, ordnete er am 15. Oktober eine Razzia von 1.259 Juden an, von denen die meisten nach Auschwitz geschickt wurden. Nur 16 kehrten von dort zurück.
Ungeachtet des gewaltsamen Umfelds, arbeitete das Fatebenefratelli-Krankenhaus wie bisher – nur wenige Schritte vom Ghetto entfernt, von dem es nur durch eine Brücke, die Ponte Fabricio, getrennt war. Die Mitarbeitenden von Giovanni Borromeo hatten allerdings andere Sorgen: Seit dem 16. Oktober nahmen ihre Stationen eine Welle schwerkranker Patienten auf, ohne dass sie eine genaue Diagnose stellen konnten: Krämpfe, Zuckungen, Tetanie, Demenz, Lähmungen, um nur wenige Symptome zu nennen. Die am stärksten Betroffenen starben nach einem langsamen und unerträglichen Erstickungsanfall, der sehr an den von Tuberkulosepatienten erinnert. Borromeos vorläufiger Name für die unbekannte Krankheit: K-Syndrom, ein möglicher Hinweis auf das Koch-Bazillus.
Das Syndrom war so beängstigend wie hochgradig ansteckend. Eigens dafür wurden zwei große, hermetisch von der Außenwelt abgeriegelte Räume eingerichtet - eines für Frauen und Kinder, und eines für Männer. Die gesamte Tiberinsel, die nur 60 Meter breit und durch zwei winzige Brücken vom Rest der italienischen Hauptstadt getrennt war, war jetzt "ein Schnellkochtopf, eine schmutzige Bombe, aus der die Epidemie jederzeit ausbrechen kann", so erklärte Borromeo den SS-Offizieren, die natürlich eine Erklärung für die Vorkommnisse verlangten.
Die Offiziere, die von einem ihrer Ärzte begleitet wurden, ließen sich nicht lange bitten und machten sich aus dem Staub, weil sie – wie wahrscheinlich jeder andere auch – bei der Aussicht, sich etwas einzufangen, Panik bekamen. Sie wollten nicht einmal einen Blick hinter die hermetisch verschlossenen Türen werfen, hinter denen man deutlich ein elendes Husten hören konnte. Doch in Wahrheit existierte gar keine Krankheit. Das K-Syndrom – eine geheime Anspielung auf den Nachnamen sowohl von Kappler als auch Kesselring – war nur eine Erfindung.
Dieser humanistische, medizinische Betrug des Zweiten Weltkriegs entstand in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober, als die jüdischen Überlebenden in der von Kappler angeordneten Razzia verzweifelt nach einer Möglichkeit suchten, den deutschen Soldaten zu entkommen. Einige kamen auf die Idee, sich an einen der Ärzte des Fatebenefratelli-Krankenhauses, Vittorio Emanuele Sacerdoti, zu wenden. Dieser war selbst jüdischen Glaubens und hatte von dem Orden schon vor langer Zeit die Erlaubnis erhalten, unter einer falschen Identität zu arbeiten. Sacerdoti sprach sofort mit Borromeo, der nicht lange zögerte. Bereits in dieser Nacht nahm die Fiktion einer tödlichen und ansteckenden Epidemie Gestalt an.
Am 16. Oktober und in den Tagen darauf nahmen Borromeo und das Krankenhauspersonal mehrere Dutzend jüdischer Leute, die nicht einmal den Hauch einer Erkältung hatten, als Patienten auf und "behandelten" sie abseits, während der Chefarzt und seine Kollegen sich bemühten, eine Liste von Symptomen zusammenzustellen, von denen eines schrecklicher als das andere war, um den Verdacht der Nazis abzulenken. Vittorio Sacerdoti lachte 2004 in einem BBC-Interview: "Die Nazis sind abgehauen wie die Kaninchen.”
Doch einmal in Fahrt gekommen, war es schwierig, die Bremse zu ziehen. Während das K-Syndrom die deutsche Militärpolizei weiterhin auf Distanz hielt, setzte das gesamte Fatebenefratelli-Krankenhaus seine allmähliche Umwandlung in einen städtischen Irrgarten fort. Bald wurde in den Kellerräumen ein Radio installiert, um mit den republikanischen Partisanen und der alliierten Führung in Kontakt zu treten, die sich noch immer im annektierten Teil Italiens schwere Kämpfe mit den Deutschen lieferten. Immer mehr "Kranke" wurden eingeliefert, neben echten Patienten und vor der Nase der deutschen Führungsgewalt.
Auf den Verwaltungsdokumenten stand unweigerlich der Vermerk "K-Syndrom". Die gleiche Logik galt für die gefälschten Todesurkunden, die unterzeichnet wurden, als man endlich einen Weg gefunden hatte, die Flüchtlinge zu exfiltrieren. Alle wiesen auf denselben Todesgrund hin: Morbus K. Deutsche Kontrolleure interpretierten das K als "Morbus Koch", und ließen die betroffenen Personen in Ruhe, aus Angst, sich mit Tuberkulose anzustecken.
In Bezug auf die Bezeichnung meint der am Fatebenefratelli-Krankenhaus behandelnde Arzt und antifaschistische Aktivist Dr. Adriano Ossicini: "Das K auf den Patientenakten ermöglichte es, darauf hinzuweisen, dass die kranke Person überhaupt nicht krank, sondern jüdisch war. Das K-Syndrom war eine Art zu sagen: 'Ich nehme einen Juden auf', als ob es sich um einen Kranken handelte, obwohl sie alle gesund waren", erklärte Dr. Ossicini im Jahr 2016 in einem Interview mit den italienischen Medien, im Alter von 96 Jahren.
Es bleibt die Frage offen, wie viele “Scheinkranke” auf diese Weise gerettet wurden. Der australische Holocaust-Historiker Paul R. sagt, dass es unmöglich sei, dies genau zu bestimmen. Bartrop schätzt, dass allein zwischen Oktober 1943 und der Befreiung Roms Anfang Juni 1944 gut 100 Menschen gerettet wurden. Einhundert Menschenleben blieben dank eines improvisierten Tricks verschont; dank einer Improvisation, die nur von einer Handvoll Ärzte und Ordensleute, die dem Terror sonst nicht viel entgegensetzen konnten, innerhalb weniger Stunden entstand.
Giovanni Borromeo, der 1961 starb, wurde 2004 von der Gedenkstätte Yad Vashem als "Righteous Among the Nations" anerkannt. Die Gedenkstätte ist unter anderem dafür zuständig, das Andenken an diejenigen zu würdigen, die während des Zweiten Weltkriegs als Nichtjuden zur Rettung von Juden beigetragen haben. Im Juni 2016 wurde das Fatebenefratelli-Krankenhaus als solches von der amerikanischen Raoul-Wallenberg-Stiftung geehrt, deren Ziel es ist, Heldentaten während des Krieges zu würdigen.
Zu den Namen Borromeo, Ossicini und Sacerdoti muss an dieser Stelle auch der des religiösen Oberen der Gemeinde, des polnischen Bruders Maurizio Bialek, hinzugefügt werden, der sich ebenfalls in der antifaschistischen Bewegung engagierte. Ohne diese vier Männer und die Unterstützung des gesamten Ärzte- und Pflegeteams wäre all dies nicht möglich gewesen.