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Masturbation: Die "schwere Hand" der Medizin (2/2)

In der zweiteiligen Serie beleuchtet Jean-Christophe Piot anhand historischer Fakten und Anekdoten einige der wichtigsten historischen Phänomene der Medizin.

Lieber ein totes Kind als ein masturbierendes

Übersetzt aus dem Französischen

Im 18. Jahrhundert setzte sich in ganz Europa eine apokalyptische Sicht der Masturbation durch. Das Schlimmste jedoch sollte erst noch kommen. Das 19. Jahrhundert setzt alles daran, das zu bekämpfen, was es für moralisch lasterhaft hält. Viele glauben, dass Masturbation ein geradezu pandemisches Ausmaß hat und die gesamte Gesellschaft ruinieren kann.

Der Kampf gegen diese "Krankheit" ist bei Jugendlichen und sogar bei Kindern im Alter von fünf Jahren gnadenlos. Davon zeugt folgende verstörende Passage aus einem Werk des Schriftstellers Alexandre Weill aus dem Jahr 1868: "Wenn sich das lasterhafte Kind zufällig selbst berühren würde, müsste man es vor seinen Kameraden oder Kameradinnen bis aufs Blut schlagen und niemals Mitleid mit seinen Schmerzen, seinen Klagen oder seinen Schreien haben. Es ist besser [dass das Kind] mit vier oder fünf Jahren stirbt, als [wegen der Masturbation] dumm oder kriminell zu leben."

Bei den Ärzten ist der Diskurs identisch. Sie waren zu dieser Zeit der Ansicht, dass Masturbation bei Männern zu Impotenz und Tod durch Erschöpfung führt. Bei Frauen war Sexualität gleichbedeutend mit der Fortpflanzung. Allenfalls diente sie dazu, Paare zusammenzuhalten. Kurzum, Masturbation wurde umso mehr verurteilt: "Frauen [die masturbieren] ähneln vielmehr den Männern; sie haben eine hohe Taille, kräftige Glieder, ein männliches Gesicht, eine laute Stimme ...", schrieb der französische Arzt Dr. Renauldin 1813 unter dem Eintrag "Clitoris" im Dictionnaire des sciences médicales.

Das Jahrhundert der Gewalt

Heute kann man sich kaum noch vorstellen, wie brutal die "Behandlungen" waren, die die medizinische Gemeinschaft damals empfahl. Manchmal ist die Paranoia vollkommen, wie bei Dr. Deslandes: "Die Masturbation kann [...] ohne die Hilfe der Hände praktiziert werden. Diese Möglichkeit hat es Jungen und Mädchen ermöglicht, selbst in der Schule oder inmitten ihrer Familie Wachsamkeit vorzutäuschen. Sie drücken [...], sie machen fast keine Bewegung: Sie können also angezogen sein, sitzen, die Hände frei haben, aufmerksam einem Gespräch lauschen [...], und dennoch masturbieren".


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Neben der Überwachung der Kinder wird ihnen auch Lektüre wie das beliebte “Buch ohne Titel” aufgezwungen, in dem die abscheulichen Qualen eines jungen Masturbators beschrieben werden.
 

Um Masturbation zu verhindern, gibt es Strafen, Medikamente ("beruhigende" Tränke auf Bromidbasis), aber auch Zwangsmaßnahmen. Die Arme werden nachts gefesselt, die Hände in dicke Lederhandschuhe gesteckt. Man erschöpft die jungen Männer durch körperliche Übungen und passt ihre Ernährung so an, dass sie nur fade und wenig süße Produkte enthält, die angeblich das Verlangen stillen.

Doch es gibt noch schlimmere Dinge: Zwangsjacken, Penishüllen mit Stacheln oder neuartige Keuschheitsgürtel für Männer und Frauen. Einige der neuesten Modelle funktionieren sogar mit Strom.

 

Die Verstümmelungen

Bisher haben wir über erniedrigende Maßnahmen oder Geräte gesprochen. Wenn das nicht funktionierte, zögerten die Ärzte nicht, etwas ... drastischer zu werden. Im Jahr 1826 berichtet Prof. Teraube über die Arbeit eines anderen französischen Arztes, Dr. Larrey: "Das zweite Mittel (...) zur Heilung von Masturbation verdankt die Menschheit dem gelehrten und bescheidenen Larrey. Es besteht darin, eine künstliche Reizung des Harnröhrenkanals zu erzeugen und die Schleimhaut zu entzünden. (...) Auf diese Weise wird eine künstliche Blennorrhoe erzeugt, indem eine Spannung und ein Schmerz entstehen, die so stark sind, dass der Patient nicht masturbieren kann."

Auch die Chirurgie mischt sich ein. Bei Jungen ist die Vorhaut betroffen, mit der Begründung, dass sie Juckreiz verursacht und somit zur Masturbation verleiten kann. In Europa und den USA gibt es Ärzte, die die Beschneidung vorschreiben. 

Der sehr renommierte amerikanische Arzt John Harvey Kellogg - Gründer der gleichnamigen berühmten Cornflakes1 - behauptet zum Beispiel mit etwas Sadismus: "Für Jugendliche, bei denen moralische Erwägungen keine Rolle spielen, (...) ist ein Mittel, das fast immer erfolgreich ist, die Beschneidung. Die Operation kann von einem Chirurgen ohne Betäubung durchgeführt werden, da der kurze Schmerz, der mit dem Eingriff einhergeht, eine heilsame Wirkung auf den Geist haben kann, insbesondere wenn der Junge seine Operation als Strafe erlebt, wie es in manchen Fällen der Fall ist."


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Dr. John Harvey Kellogg

Anmerkung:
1. Getreide, das ursprünglich absichtlich fade sein sollte: Kellogg zufolge sollte der fehlende Geschmack dazu beitragen, den Masturbationstrieb junger Männer zu unterdrücken.