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Mit langem Atem weg von der Reparaturmedizin

Prävention und Aufklärung werden in der Medizin (noch) nicht bezahlt - Transplantationsmedizinerin Dr. Ebru Yildiz schweben daher kreative Ideen vor, um dennoch mehr Gesundheitskompetenz zu verbreiten.

Gesundheitskompetenz in der Gesellschaft stärken

Was mich als Transplantationsmedizinerin sehr beschäftigt, ist die Frage: Wie können wir die Gesundheitskompetenz in der Gesellschaft steigern? Welche Wege führen zu mehr Gesundheit? Das Thema versuche ich gerade in Kooperation mit meiner Kommune, der Gesundheitsstadt Essen, voranzubringen. Denn das geht nicht nur die Krankenhäuser und die Maximalversorger an, sondern auch die Städte, die versuchen, hier etwas für ihre Bevölkerung zu tun. Und das muss hier das Ziel sein: Die Gesundheit steigern und nicht nur Krankheiten heilen oder anders gesagt: Menschen reparieren. Deswegen habe ich auch den Hashtag Reparaturmedizin etabliert, wir müssen davon wegkommen. 

Interkulturelle Gesundheitslotsen: Ein Schlüssel zur Aufklärung

Wenn Patienten zum Arzt kommen, sind oft schon viele Chancen für ein gesundes Leben vertan. Wir müssen viel mehr Prävention betreiben und mehr daran arbeiten, gesund zu bleiben.

Eine Idee in der Stadt Essen: Interkulturelle Gesundheitslotsen. Ich engagiere mich da, seit wir uns zusammengesetzt haben, um zu besprechen, wie wir die Organspende voranbringen können. Gesundheitslotsen sind Personen, die in bestimmten, sehr unterschiedlichen Themen fortgebildet werden - je nach Bedarf, Vorbildung und Interessen. Das sind keine Ärzte, sondern meist Sozialarbeiter und andere Personen aus dem Gesundheitswesen. 

Sie können von Vereinen, Institutionen, Firmen, Betrieben auf Honorarbasis gebucht werden, um Menschen aufzuklären und weiterzubilden. Dazu gibt es Vorträge und Workshops. Auch zum Thema Organspende werden wir Gesundheitslotsen ausbilden. Wir kommen sonst einfach an unsere Grenzen, um 65 Millionen Menschen zur Organspende effektiv aufzuklären.

Prävention: Mehr als nur ein medizinisches Anliegen

Die genannte Zahl ergibt sich daraus, dass wir frühestens ab dem 13. bzw. 14. Lebensjahr aufklären würden. Ab 14 darf man sich für oder gegen Organspende entscheiden und ab dann kann die Aufklärung ansetzen. Alle sollten zu dem Thema aufgeklärt werden - und das nicht nur einmal. Nach einem Vortrag oder einer Stunde Frage-Antwort haben die Menschen noch keine klare Entscheidung getroffen. Das braucht mehr Zeit und Expertise. Dafür müssen wir also mehr Multiplikatoren finden.

Und die Organspende ist nur ein Thema unter vielen. Es geht auch um Ernährung, um Impfungen, um Sport und vieles andere mehr, bei dem die Kompetenz aller gebraucht wird. Es liegt auf der Hand, dass das nicht nur Ärzte leisten können. Sie sind oftmals ohnehin überlastet und vielerorts mangelt es sogar an Ärzten.

Prävention und Gesundheitskompetenz werden ja aktuell in der Medizin nicht honoriert. Es gibt dafür kein Geld. Das ist fatal. Wie geht man also damit um, wenn das nicht bezahlt wird? Lässt man es einfach sein? Beutet man sich selbst mehr aus? Was ist der richtige Weg? Da sehe ich die Chance der interkulturellen Medizin. Wir müssen herausfinden, wie wir die verschiedenen Personengruppen für die Aufklärung interessieren und wie wir möglichst viele erreichen, auch von den Gesunden, die gern gesund bleiben wollen. Vielleicht sollten auch Kochkurse und Sport einbezogen werden. Vielleicht müssen wir auf Spielplätze gehen, wo wir Mütter und Kinder antreffen? Ich möchte, dass wir alle erreichen und uns ganz breit aufstellen, um ihr Interesse, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Warum arbeiten wir eigentlich noch nicht mit Apotheken zusammen? Sie genießen Vertrauen, haben große Expertise, die werden sowieso gefragt - auch wenn jemand vom Arzt kommt, fragt er gerne noch einmal beim Apotheker nach. 

Innovative Ansätze für mehr Gesundheitskompetenz

Ich will damit sagen: wir, die Mediziner, müssen innovativ und kreativ an das Thema Aufklärung zur Gesundheitskompetenz herangehen. Wir müssen alle Professionen der Medizin einbeziehen, wenn wir von der Reparaturmedizin wegkommen wollen. Und ich glaube, das wollen sehr viele sehr gern. 

Natürlich gehören Aufklärung und Prävention in der Medizin bezahlt! Auf die Dauer kann man das nicht unbezahlt machen und irgendwann wird es die Politik auch verstehen. Aber wir können nicht warten, bis es Geld gibt. Da die Tendenz eher ein Sparkurs ist, wird Prävention nicht das nächste sein, das auskömmlich bezahlt wird. Es ist ja leider auch so, dass man nach guter Prävention und Aufklärung nicht so schnell sagen kann, was das Ergebnis ist. Eine verhinderte Erkrankung sehen wir eben nicht. Wenn ich heute bei meinen Kindern starte, werde ich den Nutzen wahrscheinlich erst in fünf Legislaturperioden sehen. Und so langfristig denken die wenigsten Politiker. Das heißt: Prävention bringt leider politisch nichts. 

Ich denke, manchmal muss man in Vorleistung gehen - gerade in der Medizin. Das ist ein Prozess, der dauert. Und in der Zwischenzeit nichts tun ist keine Option für mich. Wir brauchen einen langen Atem. Also müssen wir die Dinge in die Hand nehmen und viele Menschen wie unsere Gesundheitslotsen, die Apotheker, die Sanitätshäuser mit ins Boot holen. Und alle miteinander über den Tellerrand hinaus gucken, wo wir alle gemeinsam, Hand in Hand, die Gesundheitskompetenz fördern können.
 

Kurzbiographie Ebru Yildiz

Dr. med. Ebru Yildiz leitet seit 2019 das Westdeutsche Zentrum für Organtransplantation in Essen. Die Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie hat Zusatzweiterbildungen in der Transplantationmedizin und der internistischen Intensivmedizin.