Schmerzhafte bullöse Läsionen - Ein klinischer Fallbericht Logo of esanum https://www.esanum.de

Unerklärliche Verbrennungen und Blasen auf ungeschützter Haut

Plötzlich auftretende bullöse Läsionen, lokale Schmerzen und zunehmendes Brennen veranlassten eine Patientin, umgehend die Notaufnahme aufzusuchen.

Wegen schmerzhafter Hautläsionen in der Notaufnahme

Victoria, eine 34-jährige Frau, stellte sich am 20. Juli mit vesikulobullösen Hautläsionen am rechten Arm und Unterarm in der Notaufnahme vor. Die Läsionen waren etwa 24 Stunden zuvor aufgetreten, schmerzhaft, aber nicht juckend und gingen mit einem zunehmend stärker werdenden Brennen einher. 

Die Patientin ist als Reinigungsfachkraft in einem pharmazeutischen Unternehmen tätig und versichert, bei ihrer Arbeit stets vorschriftsmäßige Schutzausrüstung zu tragen. Sie negiert jegliche Exposition gegenüber ätzenden Substanzen oder chemischen Unfällen. Ihre Medikamentenanamnese ist unauffällig. In der Vorgeschichte finden sich weder dermatologische Erkrankungen noch bekannte Allergien. Insektenstiche oder signifikante Traumata verneint die Patientin ebenfalls; lediglich ein kleinerer Fahrradsturz ereignete sich eine Woche zuvor, wobei sie im Stand das Gleichgewicht verlor und ohne Verletzungen in die Vegetation am Straßenrand fiel.

Klinische Untersuchung

Spannende, geradlinig und unregelmäßig geformte vesikulobullöse Läsionen, gefüllt mit seröser oder hämorrhagischer Flüssigkeit, auf einer stark erythematösen Basis. Einige Läsionen erscheinen konfluent.

  • Ausgedehntes umgebendes Erythem.
  • Keine tastbare Lymphadenopathie; leichtes Fieber   (37,6 °C).
  • Vitalzeichen normal.

Erste Untersuchungen

  • CBC, ESR, CRP: normal, mit leichtem CRP-Anstieg.
  • Blutzucker, Elektrolyte, Nieren- und Leberfunktion: normal.
  • Hautabstrich: negativ in den folgenden Tagen.

Dermatoskopie: nicht aussagekräftig. Keine Eosinophilie oder Anzeichen einer allergischen Reaktion bei der Triage.

Erstbehandlung

  • Die Läsionen wurden gereinigt und mit speziellen Verbänden abgedeckt.
  • Hochwirksame topische Kortikosteroide wurden angewendet.
  • Systemische NSAIDs (Ibuprofen) und Paracetamol zur Schmerzbekämpfung
  • Strenge Lichtschutzmaßnahmen wurden eingeleitet.
  • Die Patientin wurde mit Empfehlung zur dermatologischen Nachsorge entlassen.

Klinische Verschlechterung nach Entlassung

Am 24. Juli kehrte Victoria aufgrund von zunehmenden Schmerzen, Hautspannungen und einer neuen hämorrhagischen Blase in die Notaufnahme zurück. Es wurden keine Anzeichen einer bakteriellen Superinfektion festgestellt. Es wurde eine phototoxische Reaktion vermutet und bestätigt. Die Läsionen wurden unter sterilen Bedingungen punktiert und mit okklusiven Verbänden behandelt, um die Reepithelisierung zu fördern.

Die Patientin wurde im Rahmen eines 48-stündigen Krankenhausaufenthalts überwacht und erhielt weiterhin topische Kortikosteroide und Verbände auf Silikonbasis, wobei sich ihr klinischer Zustand allmählich verbesserte. Der Lichtschutz wurde strikt eingehalten. Die Läsionen begannen zu heilen, wobei eine postinflammatorische Hyperpigmentierung auftrat.

Während des Aufenthalts wurde die Anamnese erneut detailliert ausgewertet. Die Patientin bestätigte, dass sie bei der Arbeit regelmäßig Schutzkleidung trug. Nur einmal, etwa eine Woche zuvor, hatte sie ihre Jacke während der Arbeit im Freien in voller Sonne ausgezogen. 

In der weiteren Anamnese verneinte die Patientin Auslandsreisen in jüngerer Vergangenheit sowie Gartenarbeit, Outdoor-Aktivitäten, Medikamenteneinnahme, Tierkontakte und allergische Prädispositionen. Auf Nachfrage berichtete sie von einer Bergwanderung Mitte Juli (circa 10.07.), bei der sie leicht bekleidet mit Tanktop, jedoch mit langer Hose, unterwegs war.

Heilung innerhalb von 3 Wochen

Bei der dermatologischen Reevaluation am 28. Juli präsentierte sich eine zentrale nekrotische Läsion mit ausgeprägter Trockenheit und deutlich hyperpigmentierter Randzone. Zusätzlich zeigte sich eine neu aufgetretene, prall-elastische Bulla im Randbereich. Der klinische Verlauf erhärtete die Diagnose einer Phytophotodermatitis mit kompliziertem Verlauf. Von einer chirurgischen Nekrosektomie konnte abgesehen werden. Die Therapie mittels hydroaktiven Wundauflagen wurde fortgesetzt.

Die vollständige Reepithelisierung dauerte über zwei Wochen und hinterließ anhaltende Pigmentveränderungen. Der frühzeitige Einsatz von Lichtschutz und okklusiven Verbänden verhinderte wahrscheinlich tiefere Gewebeschäden.

Welche Verdachtsdiagnose haben Sie, wenn Sie die Fallbeschreibung genauer betrachten? Welche Fragen würden Sie dem Patienten stellen, um den Fall zu lösen?

Gerne können Sie dies in der Kommentarfunktion diskutieren. Die Auflösung folgt in Kürze.

Finden Sie heraus, ob Sie richtig lagen

Schuld daran war die Fahrradtour

Die richtige Antwort ist E. Die Patientin war unwissentlich mit Heracleum mantegazzianum, einer stark phototoxischen Pflanze, in Kontakt gekommen. Die Diagnose stützt sich in solchen Fällen auf das klinische Bild und die Anamnese. Lineare bullöse Läsionen, ein verzögertes Auftreten nach Sonneneinstrahlung und das Fehlen systemischer Symptome helfen, die Differentialdiagnose einzugrenzen:

  1. Reizkontaktdermatitis ist typischerweise juckend, klar abgegrenzt und lokalisiert;
  2. Verätzungen treten in der Regel sofort auf und es liegt eine bekannte Kontakthistorie vor;
  3. Herpes zoster zeigt sich mit dermatomaler Verteilung und neuropathischen Schmerzen;
  4. Autoimmunologisch bedingte bullöse Dermatosen manifestieren sich in der betreffenden Altersgruppe mit ausgesprochener Seltenheit. Charakteristischerweise zeichnen sie sich durch einen protrahierten Verlauf mit symmetrischer Prädilektionsverteilung der Läsionen aus.

Die Diagnose wurde bestätigt, nachdem entdeckt wurde, dass Heracleum mantegazzianum am Unfallort wuchs. Der Riesen-Bärenklau stand an jenem Radweg, auf dem die Patientin mehrere Tage vor Manifestation der kutanen Läsionen zu Fall gekommen war.

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Heracleum mantegazzianum (credit: Wikipedia, photographer: Appaloosal)

Eine gefährliche Pflanze

Heracleum mantegazzianum, bekannt als Riesen-Bärenklau, ist eine invasive krautige Pflanze, die ursprünglich aus dem Kaukasus stammt und heute in Mittel- und Nordeuropa weit verbreitet ist. Ursprünglich im 19. Jahrhundert zu Zierzwecken eingeführt, wird sie heute als schädliche invasive Art eingestuft. Ihr Saft enthält Furanocumarine, die unter UV-Licht phototoxisch wirken. Die Reaktionen reichen von schmerzhaften Blasenverbrennungen bis hin zu schwerwiegenden Komplikationen, einschließlich vorübergehender neurologischer Symptome in den betroffenen Bereichen.

Die Pflanze stellt aus folgenden Gründen ein Risiko für die öffentliche Gesundheit dar:

  • ihrer weitverbreiteten Präsenz in stadtnahen Bereichen (entlang von Radwegen, in Parks und an Straßenrändern);
  • des phototoxischen Pflanzensafts, der sowohl auf der Haut als auch an Kleidungsstücken und Gegenständen verbleiben kann;
  • des mangelnden Bewusstseins in der Bevölkerung und der Schwierigkeit, die Pflanze von harmlosen Doldenblütlern zu unterscheiden.

Eine deutsche Kartierungsstudie identifizierte über 1.300 etablierte H. mantegazzianum-Populationen in öffentlichen und stadtnahen Umgebungen (Nielsen et al., 2005). Das Risiko steigt im Sommer, insbesondere für Arbeiter im Freien und Personen, die Vegetation pflegen.

In zahlreichen EU-Mitgliedstaaten wurden bereits strukturierte Eradikationsprogramme sowie gezielte Aufklärungskampagnen implementiert. Die Pflanze ist als invasiver Neophyt in der EU-Verordnung 1143/2014 über gebietsfremde Arten gelistet, in einigen Regionen ist ihre Entfernung in öffentlichen Bereichen vorgeschrieben.

In der Literatur werden schwere Fälle von Verbrennungen beschrieben, die einen chirurgischen Eingriff erfordern, insbesondere bei pädiatrischen Patienten oder nach intensiver ungeschützter Exposition. Aufklärung und Prävention sind unerlässlich – lange Kleidung, sofortiges Waschen und Vermeidung von Sonneneinstrahlung sind wichtige Präventionsmaßnahmen, auch in nicht-landwirtschaftlichen Arbeitsumgebungen.

Praktische Tipps für Ärzte im Sommer

In den Sommermonaten steigt das Risiko eines versehentlichen Kontakts mit Heracleum mantegazzianum deutlich an; insbesondere in ungepflegten Grünflächen, an Uferböschungen, auf Wanderwegen und entlang von Verkehrswegen. 

Ärzte sollten:

  • die Anamnese der Umgebung (Arbeit im Freien, Stürze, Wanderungen) in die Beurteilung ungeklärter bullöser Läsionen einbeziehen;
  • Patienten über die Identifizierung der Pflanze aufklären: Wuchshöhe bis zu 3 Meter, violett gesprenkelte Stängel, große gelappte Blätter sowie breite weiße, schirmförmige Blütenstände mit bis zu 80 cm Durchmesser;
  • bedenken, dass der Saft auf kontaminierter Haut, Kleidung oder Gegenständen auch ohne direkte Sonneneinstrahlung noch stundenlang aktiv bleibt.
Quellen:

1 Klimaszyk P, et al. Unusual complications after occupational exposure to giant hogweed. Int J Occup Med Environ Health. 2014;27(1):141–144. doi:10.2478/s13382-014-0238-z

2 Chan JCY, Sullivan PJ, O’Sullivan MJ, Eadie PA. Full thickness burn caused by exposure to giant hogweed: Delayed presentation, histological features and surgical management. J Plast Reconstr Aesthet Surg.2011;64(1):128–130. doi:10.1016/j.bjps.2010.03.030

3 Nielsen C, Ravn HP, Nentwig W, Wade M (Eds.). The Giant Hogweed Best Practice Manual. Forest and Landscape Denmark, 2005. 

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