Schuld daran war die Fahrradtour
Die richtige Antwort ist E. Die Patientin war unwissentlich mit Heracleum mantegazzianum, einer stark phototoxischen Pflanze, in Kontakt gekommen. Die Diagnose stützt sich in solchen Fällen auf das klinische Bild und die Anamnese. Lineare bullöse Läsionen, ein verzögertes Auftreten nach Sonneneinstrahlung und das Fehlen systemischer Symptome helfen, die Differentialdiagnose einzugrenzen:
- Reizkontaktdermatitis ist typischerweise juckend, klar abgegrenzt und lokalisiert;
- Verätzungen treten in der Regel sofort auf und es liegt eine bekannte Kontakthistorie vor;
- Herpes zoster zeigt sich mit dermatomaler Verteilung und neuropathischen Schmerzen;
- Autoimmunologisch bedingte bullöse Dermatosen manifestieren sich in der betreffenden Altersgruppe mit ausgesprochener Seltenheit. Charakteristischerweise zeichnen sie sich durch einen protrahierten Verlauf mit symmetrischer Prädilektionsverteilung der Läsionen aus.
Die Diagnose wurde bestätigt, nachdem entdeckt wurde, dass Heracleum mantegazzianum am Unfallort wuchs. Der Riesen-Bärenklau stand an jenem Radweg, auf dem die Patientin mehrere Tage vor Manifestation der kutanen Läsionen zu Fall gekommen war.
Heracleum mantegazzianum (credit: Wikipedia, photographer: Appaloosal)
Eine gefährliche Pflanze
Heracleum mantegazzianum, bekannt als Riesen-Bärenklau, ist eine invasive krautige Pflanze, die ursprünglich aus dem Kaukasus stammt und heute in Mittel- und Nordeuropa weit verbreitet ist. Ursprünglich im 19. Jahrhundert zu Zierzwecken eingeführt, wird sie heute als schädliche invasive Art eingestuft. Ihr Saft enthält Furanocumarine, die unter UV-Licht phototoxisch wirken. Die Reaktionen reichen von schmerzhaften Blasenverbrennungen bis hin zu schwerwiegenden Komplikationen, einschließlich vorübergehender neurologischer Symptome in den betroffenen Bereichen.
Die Pflanze stellt aus folgenden Gründen ein Risiko für die öffentliche Gesundheit dar:
- ihrer weitverbreiteten Präsenz in stadtnahen Bereichen (entlang von Radwegen, in Parks und an Straßenrändern);
- des phototoxischen Pflanzensafts, der sowohl auf der Haut als auch an Kleidungsstücken und Gegenständen verbleiben kann;
- des mangelnden Bewusstseins in der Bevölkerung und der Schwierigkeit, die Pflanze von harmlosen Doldenblütlern zu unterscheiden.
Eine deutsche Kartierungsstudie identifizierte über 1.300 etablierte H. mantegazzianum-Populationen in öffentlichen und stadtnahen Umgebungen (Nielsen et al., 2005). Das Risiko steigt im Sommer, insbesondere für Arbeiter im Freien und Personen, die Vegetation pflegen.
In zahlreichen EU-Mitgliedstaaten wurden bereits strukturierte Eradikationsprogramme sowie gezielte Aufklärungskampagnen implementiert. Die Pflanze ist als invasiver Neophyt in der EU-Verordnung 1143/2014 über gebietsfremde Arten gelistet, in einigen Regionen ist ihre Entfernung in öffentlichen Bereichen vorgeschrieben.
In der Literatur werden schwere Fälle von Verbrennungen beschrieben, die einen chirurgischen Eingriff erfordern, insbesondere bei pädiatrischen Patienten oder nach intensiver ungeschützter Exposition. Aufklärung und Prävention sind unerlässlich – lange Kleidung, sofortiges Waschen und Vermeidung von Sonneneinstrahlung sind wichtige Präventionsmaßnahmen, auch in nicht-landwirtschaftlichen Arbeitsumgebungen.
Praktische Tipps für Ärzte im Sommer
In den Sommermonaten steigt das Risiko eines versehentlichen Kontakts mit Heracleum mantegazzianum deutlich an; insbesondere in ungepflegten Grünflächen, an Uferböschungen, auf Wanderwegen und entlang von Verkehrswegen.
Ärzte sollten:
- die Anamnese der Umgebung (Arbeit im Freien, Stürze, Wanderungen) in die Beurteilung ungeklärter bullöser Läsionen einbeziehen;
- Patienten über die Identifizierung der Pflanze aufklären: Wuchshöhe bis zu 3 Meter, violett gesprenkelte Stängel, große gelappte Blätter sowie breite weiße, schirmförmige Blütenstände mit bis zu 80 cm Durchmesser;
- bedenken, dass der Saft auf kontaminierter Haut, Kleidung oder Gegenständen auch ohne direkte Sonneneinstrahlung noch stundenlang aktiv bleibt.
1 Klimaszyk P, et al. Unusual complications after occupational exposure to giant hogweed. Int J Occup Med Environ Health. 2014;27(1):141–144. doi:10.2478/s13382-014-0238-z
2 Chan JCY, Sullivan PJ, O’Sullivan MJ, Eadie PA. Full thickness burn caused by exposure to giant hogweed: Delayed presentation, histological features and surgical management. J Plast Reconstr Aesthet Surg.2011;64(1):128–130. doi:10.1016/j.bjps.2010.03.030
3 Nielsen C, Ravn HP, Nentwig W, Wade M (Eds.). The Giant Hogweed Best Practice Manual. Forest and Landscape Denmark, 2005.