Iktusreaktion mit Nekrose nach Biss Logo of esanum https://www.esanum.de

Schwere Iktusreaktion mit Nekrose

Eine 27-jährige Frau erlebt nach einem Picknick in Brandenburg eine schmerzhafte Hautreaktion. Ein möglicher Spinnenbiss sorgt für medizinische Fragen.

Anamnese

Die 27-jährige Einzelhandelskauffrau hatte anlässlich einer Radtour in Brandenburg ein Picknick an einem Feldrand eingelegt. Plötzlich hatte sie einen stechenden Schmerz  in der linken Leiste verspürt und „etwas spinnenartiges weglaufen gesehen“. Zunächst seien zwei kleine Knötchen und eine kleine juckend-brennende Rötung zu sehen gewesen. Sie hat die Stelle gekühlt und mit Fenistil-Gel behandelt. In der folgenden Nacht nahm der Schmerz zu und es sei ihr auch etwas übel gewesen. Trotz intensiven Juckreizes hätte sie versucht möglichst „wenig zu kratzen“. Dennoch sei es zu zunehmender Rötung und Schwellung um die inzwischen bläulich schwarzen Knötchen gekommen. Nach nunmehr 5 Tagen fühle sie sich zunehmend unwohl und habe auch ein etwas „fiebriges Gefühl“.

Hautbefund

Am leistennahen linken Oberschenkel manifestiert sich ein handflächengroßes Erythem. Die druckschmerzhafte Läsion erscheint deutlich überwärmt und teigig geschwollen. Ferner ist eine schmerzhafte Lymphadenopathie inguinal links palpabel (Abb. 1).

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Abb. 1: (a-c) Am medialen inguinalen Oberschenkel imponiert ein ca. 15 cm durchmessendes, rundes, hellrotes, scharf begrenztes, eleviertes Erythem. Zentral erkennbar eine etwa 1 cm durchmessende polyzyklisch begrenzte Hämorrhagie mit zentraler Nekrose, knapp daneben eine zweite kleinere Hämorrhagie.

Paraklinik (SI-Einheiten)

CRP 55; Leuko 13,2; Eos 12, Neutro 14, übriges Blutbild und übriges Routinelabor unauffällig. Borrelienserologie negativ. IgE gesamt 380. 

Mikrobiologie

Bakteriologischer Abstrich: Mäßig Streptococcus pyogenes, Enterococcus spp. (+).

MRT Leiste/ Becken 

Erhebliche Weichgewebsreaktion am leistennahen rechten Oberschenkel, Ausschluss einer Abszedierung, Ausschluss einer Ausbreitung in das kleine Becken.

Therapie und Verlauf

In Korrelation zur Freizeitanamnese legte die scheibenförmige Rötung um ein hämorrhagisch-nekrotisches Zentrum die Blickdiagnose einer erheblichen toxischen Iktusreaktion nahe. Aufgrund der zwei eng beieinander liegenden Einstichstellen und der Erinnerung der Patientin ließ sich mit großer Wahrscheinlichkeit ein Spinnenbiss vermuten. Gleichzeitig schien aufgrund der starken Inflammation und der Allgemeinsymptomatik zusätzlich eine Superinfektion, am ehesten eine phlegmonöse Weichgewebsinfektion zu bestehen. 

Unter Berücksichtigung einer vorbekannten Penicillinallergie und des noch unbekannten Keimspektrums wurde eine kalkulierte systemische Antibiose mit Moxifloxacin 400 mg 1-0-0-0/d p.o. über 7 Tage eingeleitet. Lokaltherapeutisch wurde eine antiinfektiv-antiinflammatorische Lokaltherapie in der Fixkombination aus Miconazol und Flupredniden angewendet. Das Steroid sollte dabei der Entzündungsreaktion begegnen. Miconazol ist an sich ein Breitspektrumantimykotikum, hat aber auch eine extrem hohe therapeutische Breite gerade gegen zu vermutende grampositive Keime. Außerdem wurde die mehrfach täglich Anwendung antiseptischer Umschläge mit Octenidin-Lösung empfohlen. Die systemische Juckreizstillung erfolgte mit dem Antihistaminikum Desloratadin.

Bei Stichreaktionen kann in aller Regel das ursächliche Insekt nur vermutet werden, da es in den meisten Fällen bereits von Opfer abgelassen hat. Was glauben Sie, welche Arthropodenart für den Biss verantwortlich ist?

Gerne können Sie dies in der Kommentarfunktion diskutieren. Die Auflösung folgt in Kürze.

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Arthropoden- und Spinnenbisse in Deutschland: Vorkommen und Reaktionen

In unseren Breiten erfolgen Arthropodenangriffe im Freien und gerade in Gewässernähe in aller Regel durch Mücken, Gnitzen, Kribelmücken und Bremsen. Diese können zwar sehr starke Stichreaktionen auslösen, jedoch ist typischerweise eine verzögerte Reaktion zu beobachten, die zunächst vor allem Juckreiz verursacht. Der eigentliche Stich wird dabei häufig gar nicht bemerkt. Die ebenfalls häufigen Attacken durch Bienen, Wespen oder Hornissen verursachen einen sofortigen heftigen Schmerz, teils bleibt der Stachel in der Läsion stecken. Eine hämorrhagisch-nekrotische Reaktion allerdings ist nicht zu erwarten. Flöhe und Wanzen passen nicht zu dem anamnestisch infrage kommenden Habitat und zeigen auch immer disseminiert-gruppierte Stichstellen auf. Die Stiche werden zunächst subjektiv nicht bemerkt und die Stichreaktion wird erst mit einer teils 24- bis 72-stündigen Latenz auffällig. 

Spinnenbisse in Deutschland zählen zu den seltenen Ereignissen, handelt es sich doch um recht scheue, an sich harmlose und sogar nützliche Untermieter sowohl im Freien als auch in menschlichen Behausungen. Grundsätzlich gleichen sich alle Spinnengifte, entscheidend für die Wirkung ist die Menge des Giftes und die Größe der Beißklauen, mit denen die Neurotoxine in die menschliche Haut injiziert werden. Die meisten der hierzulande zahlreich vertretenen Spinnenarten sind einfach zu klein, um mit Ihren Beißwerkzeugen die menschliche Haut überhaupt zu durchdringen. Bislang waren einzig die Kreuzspinne und allenfalls noch die Feldwinkelspinne in der Lage, vor allem bei Kindern oder Menschen mit zarter Haut vorübergehende Schmerzen und kleinere Hautrötungen hervorzurufen, doch es gibt inzwischen eine auch bei uns potenziell gefährliche Spinnen-Art.

Ursprünglich aus den warm gemäßigten bis subtropischen Zonen vom östlichen Mitteleuropa und dem Mittelmeerraum ostwärts bis Zentralasien kommend, ist der „Ammen-Dornfinger“ inzwischen auch in Deutschland heimisch geworden. Mit einer Leibesgröße von 15 mm ist diese Spinne der größte Vertreter der Gattung Cheiracanthium in Europa. Auffällig ist die Warntracht des Arthropoden mit einem orangeroten Vorderkörper, einem gelbgrünen Hinterleib, braunen Beinen und schwarzen Beißklauen (Abb. 2).

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Abb. 2a

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Abb. 2b

Der Ammendornenfinger lebt in Gespinstnestern, in Getreideähren und langem Wiesengras, an Saumbiotopen wie Waldlichtungen, Bahndämmen und Gräben. Besonders beliebt - bei der Spinne - ist das Landreitgras. Die Spinne wird immer ihr Gelege verteidigen. Wie bei allen Spinnenbissen sind paarige Einstichstellen zu erkennen. Aufgrund der kräftigen Kieferklauen des Ammendornenfingers sind jedoch deutliche und paarige Blutungen sowie eine stark juckende, schmerzhafte Rötung und Schwellung typisch. In seltenen Fällen kann es auch zu lokal begrenzten hämorrhagisch-nekrotischen Reaktionen kommen. Wenngleich nicht tödlich, so kann der Biss des Dornenfingers doch allgemeines Unwohlsein, Übelkeit und Erbrechen erzeugen.

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Abb. 3: „Ammen-Dornfinger“ in seiner charakteristischen Warntracht mit starken Beißklauen. Paargespinst mit durchscheinendem Beingewirr. (Abbildungen: Kripp, Forum für Naturfotografen)   

Schon bei Reisen in mediterrane Urlaubsgebiete kann man auf die Europäische Schwarze Witwe treffen, deren Biss erhebliche Schmerzen und Systemreaktionen verursachen und bei vorerkrankten Menschen und Kleinkindern sogar letal enden kann. Die mit einer Körperlänge bis 15 mm größte Kugelspinne Europas hat einen schwarzen Leib mit drei leuchtenden Punkten. Sie kreiert große Fangnetze. Die Namensgebung ist treffend, da das Männchen nach der Paarung unmittelbar dem Weibchen zum Opfer fällt. Das Verbreitungsgebiet der xerophilen Spinne ist vorwiegend auf den Süden des Mittelmeerraums begrenzt. Lange war die Schwarze Witwe allenfalls eine Rarität als mitgereister blinder Passagier in deutschen Hafenstädten. Seit dem kontinuierlichen Temperaturanstieg wird sie, wenn auch weiterhin sehr selten, tatsächlich auch in Deutschland angetroffen. Tabelle 1 stellt die klinisch relevanten Spinnenarten in Deutschland vor.

Tabelle 1: Gefährliche Spinnen in Deutschland

Kreuzspinne               Feldwinkelspinne           Ammen-Dornenfinger Europäische schwarze Witwe
Lateinischer Name Araneus Eratigena agrestis Cheiracanthium punctorium Latrodectus tredecimguttatus
Vorkommen Feld, Wald, Garten, Keller, Schuppen Rasen, Gehölze, Hecken Feld, Wald, hohes Gras Trockenes Gras, sonniger Steingarten
Größe in mm 7-18 9-12 10-15 7-15
Farbe Variabel grau-braun-schwarz Gelbbraun Rot-orange Schwarz
Charakteristik Rückenkreuz Gelber Streifen vorn Rotgrüne "Warntracht" Rote Flecken auf Hinterleib 
Gefahrenpotenzial Sehr gering Sehr gering Moderat Hoch
Biss Kleine Quaddel  Kleine Quaddel Schwellung, Hämorrhagie Rötung, Schwellung, Blasenbildung Potenziell letal
Abbildungen KreuzCZ.png Feldwinkel-CZ.png AmmmendornCZ.png WitweCZ.png

Anders als bei Spinnen, deren Biss zum Ergreifen und Lähmen der Beute dient, oder bei Hymenopteren (wie Wespen, Bienen und Hornissen), die ihren Stich zur Verteidigung einsetzen, verfolgen Stechmücken und ihre Verwandten das Ziel, das Blut des Wirts zu saugen. In Vorbereitung einer optimalen Blutmahlzeit werden über den Stechrüssel zunächst zahlreiche verschiedene biogene Proteine eingespritzt. Diese wirken einerseits gerinnungshemmend, was die hämorrhagische Komponente erklärt. Zudem sorgen lokalanästhetisch wirkende Proteine dafür, dass der Juckreiz erst eintritt, wenn die Anthropoden sich bereits wieder zurückgezogen haben. Andererseits bewirkt die allergene Wirkung weiterer Proteine eine individuell unterschiedliche Stichreaktion, die bei entsprechender Reaktionslage zu ausgedehnten Entzündungen bis hin zu Ulzerationen führen kann. In seltenen Fällen kann es zu Systemreaktionen mit Fieber und Unwohlsein oder sogar zu anaphylaktischen Komplikationen kommen.

Direkt über den Stich oder Biss des Arthropoden, häufiger jedoch sekundär über Kratzläsionen können Bakterien in die Haut eindringen und sekundäre Pyodermien in unterschiedlicher Ausprägung hervorrufen. Dabei handelt es sich zumeist um grampositive Kokken, aber auch um Enterobacteriaceae. 

Eine besondere Stellung nimmt dabei das Erythema chronicum migrans ein, bei dem die Zecke selbst Träger der Borrelien ist, die sie in die Haut des Wirtes einbringt und das Krankheitsbild der Lyme-Borreliose initiieren kann. 

Die Pathopotenz sowohl der Stichreaktion an sich als auch der sekundären bakteriellen Infektion hängt auch vom Manifestationsort ab. Das Mittelgesicht und die Schleimhäute, aber auch die Leisten- und Genitalregion zeigen aufgrund der starken Vaskularisierung in aller Regel besonders heftige Immunreaktionen. Infektionen der Haut neigen zur Progredienz, beispielsweise als Abszess, Phlegmone oder Fasziitis.

Im vorliegenden Fall hatte anfänglich eine starke Immunreaktion der Patientin zu heftigem Pruritus geführt. Der erhöhte Gesamt-IgE-Wert deutete auf eine atopische Veranlagung hin, die bei der Patientin mit einer erhöhten Neigung zu allergischen Reaktionen verbunden ist. Der klinische Befund der großflächigen schmerzhaften Rötung mit teigiger Schwellung und Überwärmung mit subfebrilen Temperaturen und allgemeiner Zustandsreduktion weist auf die bakterielle phlegmonöse Entzündung hin. Es galt, weitere Komplikationen wie Abszessbildung oder sogar Sepsis (Blutvergiftung) zu verhindern. Weichgewebsinfektionen im Leisten- und Genitalbereich wiederum können zur Abszedierung bis in kleine Becken oder auch zur Nekrotisierung bis hin zu Fournier'schen Gangrän führen.

Verhaltensratgeber bei Spinnenbissen raten oft dazu die Spinne lebend einzufangen und zum Arzt mitzunehmen. Allerdings gelingt dem Angreifer im Zuge der oft chaotischen arachnophobischen Panikreaktionen zumeist die Flucht. Spinnenbisse sollten in der Akutsituation desinfiziert, gekühlt und steroidal-antiphlogistisch lokal behandelt werden. Der Spinnenbiss und auch die betroffene Person als solche sollte für 30 min bis 60 min genau auf etwaige Systemreaktionen beobachtet werden.

Fazit

Stichreaktionen nach Insekten- bzw. Arthropodenangriffen sind häufig. Die Reaktionen reichen von leichten lokalen Symptomen wie Juckreiz oder Rötung oder Schwellung bis hin zu Nekrosen und auch potenziell lebensbedrohlichen Systemreaktionen. Immer auch muss mit bakterieller Superinfektion gerechnet werden. Spinnenbisse sind hierzulande selten, Praxisrelevanz erlangt der inzwischen heimische Ammendornenfinger

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